Der Spiegel - 28.09.2019

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geschlagen, ihn die Treppe hinuntergesto-
ßen, sagt Müller. In Pfarrer M. traf er je-
manden, der sich offenkundig freute, ihn
zu sehen. »Meine Situation hat er dann
schamlos ausgenutzt.«

Einige Monatenachdem Timo Ranzen-
berger ihn 2006 angezeigt hatte, sei Pfar-
rer M. mit einem Messdiener über das Fas-
nachtswochenende in den Schwarzwald
gefahren. So erzählt es Manuel K., 28. Er
sitzt in der Wohnung eines Freundes in
der Nähe von Freisen und schildert seine
Erfahrungen mit Pfarrer M.
Der Priester habe ihn getauft, zur Kom-
munion geführt und zur Firmung. »Er lob-
te mich, ich sei einer seiner besten Mess-
diener, ich hätte mir mal eine Belohnung
verdient«, sagt Manuel K., »so überredete
er mich zu diesem Wochenende.«
Weil er zunächst nicht mitfahren wollte,
habe Pfarrer M. ihn und seine Mutter ins
Pfarrhaus gebeten und von der Fahrt vor-
geschwärmt. »Meine Mutter hat dann zu-
gestimmt, und zum Dank hat er ihr noch
eine Flasche Wein mitgegeben.«
Im Schwarzwald habe er nicht wie er-
wartet in der Jugendherberge übernachtet,
sondern in einer Ferienwohnung, in die
ihn der Pfarrer mitnahm. Eines Abends
sei dieser dort in sein Zimmer gekommen,
habe ihm die Hand in den Schlafanzug
und die Unterhose gesteckt und ihn be-
fummelt, dabei habe er ihm ins Ohr ge-
stöhnt. Als der Geistliche wollte, dass er
auch ihn berühre, habe er sich widersetzt,
und der Pfarrer habe aufgehört. Am nächs-
ten Tag habe er sich krank gestellt, damit
er schnell nach Hause komme.
Manuel K. sucht nach Worten, das Spre-
chen darüber fällt ihm schwer. Doch er
möchte, dass der Pfarrer zur Verantwor-

tung gezogen wird. »Er soll für das, was
er mir angetan hat, bestraft werden.«
Er habe all die Jahre geschwiegen, weil
der Pfarrer so großen Einfluss und hohes
Ansehen in der Gemeinde hatte. Doch im
Herbst 2018, nachdem er in anonymen
Drohbriefen selbst des Missbrauchs be-
schuldigt wurde, habe er sich schließlich
einem anderen Pfarrer anvertraut, der das
Bistum informierte. Als nichts passierte,
habe er dann Anzeige erstattet. Dass der
Pfarrer »mit Jungs allein in Urlaub fährt«,
sagt Manuel K., hätten in der Gemeinde
viele gewusst.
Nach dem Wochenende im Schwarz-
wald habe ihm Pfarrer M. zu Ostern und
Weihnachten Geldgeschenke zugesteckt,
mal 50, mal 100 Euro oder mehr. Hat er
das als Schweigegeld verstanden? »Er hat
nichts dafür verlangt«, sagt Manuel K., »er
hat auch nicht mehr versucht, sich mir zu
nähern.«
In seinem Fall ermittelt die Staatsanwalt-
schaft Saarbrücken seit Anfang des Jahres.
Das Bistum hat eine kirchenrechtliche
Voruntersuchung eingeleitet. Kirchenrich-
ter Weitz habe sich bei ihm bisher nicht
gemeldet, sagt Manuel K.

Der Trierer Bischof Ackermann,Miss-
brauchsbeauftragter der Deutschen Bi-
schofskonferenz, räumte öffentlich erst im
Frühjahr 2018 ein, »dass vonseiten des
Bischofs und des Bistums mit dem bereits
im Jahr 2006 gegenüber Pfarrer M. erho-
benen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs
proaktiver und entschiedener hätte umge-
gangen werden müssen«. Ackermann setz-
te hinzu: »Als Bischof bin ich von Pfarrer
M. enttäuscht.«
2006 hieß der Trierer Bischof Reinhard
Marx, heute Kardinal, Erzbischof von

München und Freising und Vorsitzender
der Bischofskonferenz. Marx wusste von
den Vorwürfen, hielt es aber nicht für nö-
tig, ihnen weiter nachzu gehen. Er saß in
der Runde, in der von der Einstellung der
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ge-
gen Pfarrer M. berichtet wurde. »Es plagt
ihn noch immer sehr«, sagt sein Sprecher,
»er sagt heute, dass er damals hätte wa-
cher sein müssen.«
Im April 2015 wurde Pfarrer M. schließ-
lich beurlaubt und dann feierlich in den
Ruhestand verabschiedet – nicht wegen
Missbrauchsvorwürfen, sondern weil er
Weisungen missachtet habe, sagt das Bis-
tum. Dabei waren längst weitere Vorwürfe
bekannt geworden, und das Bistum hatte
selbst Anzeige gegen ihn erstattet.
Welche der Fälle nun im Strafverfahren
verhandelt werden, darüber gibt das Kir-
chengericht keine Auskunft, es will noch
nicht einmal sagen, wie viele Be troffene es
als Zeugen anhört. Zum Ende der Beweis-
aufnahme wird Kirchenrichter Weitz Pfar-
rer M. vernehmen. Der lebt jetzt an der
Mosel in einem idyllischen Weinort mit
Straußenwirtschaften und Schiffsanleger.
Der Priester habe die Vorwürfe bisher
bestritten, so das Bistum. Wird er das auch
tun, wenn Kirchenrichter Weitz ihn auf
die Bibel schwören lässt? Christoph Lerg,
der Anwalt von Pfarrer M., der auch Miss-
brauchsbeauftragter des Deutschen Or-
dens ist, sagt, sein Mandant wolle sich we-
gen des laufenden Verfahrens nicht äußern.
Wie auch immer das kirchliche Urteil
über Pfarrer M. ausfällt, seine mutmaßli-
chen Opfer bekommen die Entscheidung
nicht zu sehen. »Ich habe Zweifel«, sagt
Ranzenbergers Anwältin Rosetta Puma,
»dass am Ende mit der Herangehensweise
des Kirchengerichts wirklich festgestellt
wird: So war es gewesen.« Die Beweisauf-
nahme habe sie als Strafrechtlerin bisher
als »wenig professionell« empfunden.
Für Pfarrer M. könnte das Urteil im
schlimmsten Fall die Entlassung aus dem
Klerikerstand bedeuten, es ist die härteste
Strafe für solche Vergehen. Im Mai wurde
sie gegen einen ehemaligen Priester am
Berliner Canisius-Kolleg verhängt, dort
war 2010 der erste große Missbrauchsskan-
dal in der katholischen Kirche Deutsch-
lands öffentlich geworden.
Matthias Katsch, Sprecher der Betrof-
feneninitiative Eckiger Tisch, hat jahrelang
für dieses Urteil gekämpft. Er war selbst
von dem Jesuiten missbraucht worden. Bei
allen Mängeln des Verfahrens habe er es
doch als Genugtuung empfunden, sagt
Katsch, »dass nun kirchenamtlich feststeht:
Er war ein Täter«.
Auf diesen Satz warten jetzt die
mutmaß lichen Opfer von Pfarrer M. aus
Freisen. Annette Großbongardt
Mail: [email protected]

DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019 53

FRANK RUMPENHORST / DPA


Kardinal Marx: »Er hätte damals wacher sein müssen«
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