Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1
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Finanzskandale


Dubiose Anlagefirma PIM


Gold beantragt Insolvenz


 Der mutmaßliche Betrugsskandal um
die hessische Edelmetall-Investment -
firma PIM Gold erreicht einen neuen
Höhepunkt: PIM und die dazugehörige
Vertriebsgesellschaft Premium Gold
Deutschland haben beim Amtsgericht
Offenbach Insolvenz beantragt (AZ: 8
IN 403/19 und 8 IN 402/19). PIM hatte
in den vergangenen Jahren Anleger mit
Gold-Investments gelockt. Mit den
Kundengeldern will das Unternehmen
3,38 Tonnen des Edelmetalls mit einem
Marktwert von derzeit etwa 150 Millio-
nen Euro erworben haben. Die Staats-
anwaltschaft Darmstadt hat indes den
Verdacht, dass ein großer Teil des Gol-
des nicht existiert und die PIM-Mana-
ger ein Schneeballsystem betrieben
haben. Sie durchsuchte Anfang Septem-
ber Geschäftsräume der Firma, fror
PIM-Gold-Konten ein und verhaftete
den Geschäftsführer. PIM war für eine
Stellungnahme nicht zu erreichen. Die
Firma hatte Anlegern Renditen von
drei Prozent und mehr versprochen,
wenn sie das Gold einlagerten, was die
meisten auch taten. Die Verzinsung
sollte über Handelsgeschäfte erzielt
werden. Der Vertrieb erfolgte über
Kunden, die für ihre Leistung Provision
kassierten. Syndikusanwalt Mirco Lehr
von der Frankfurter Rechtsfragenplatt-
form Qthority geht davon aus, dass
rund 10 000 Anleger betroffen sein
könnten. BAZ


Der Rücktritt von Sabine Lautenschläger aus dem Direktorium
der EZB markiert den Tiefpunkt einer besonderen Tradition deut-
scher Geldpolitik: Vier der fünf Berufungen und Kandidaturen
deutscher Notenbanker für das oberste Führungsgremium der
Frankfurter Zentralbank endeten vorzeitig. Als Erster verzichtete
der damalige Bundesbank-Präsident Axel Weber Anfang 2011 auf
seine Kandidatur für den Chefposten bei der EZB. Seine Begrün-
dung: Unzufriedenheit. Ihm passte nicht, wie sich die Eurozone
entwickelte. Wenige Monate später legte EZB-Chefvolkswirt Jür-
gen Stark sein Amt nieder. Sein Motiv: Unzufriedenheit. Er war
nicht einverstanden damit, wie die EZB auf die Eurokrise reagier-
te. Es folgte Jörg Asmussen. Sein Beweggrund: Unzufriedenheit,
dieses Mal mit den Lebensumständen in Frankfurt. Nun also Lau-
tenschläger. Ihr Anlass, man ahnt es: Unzufriedenheit. Sie kann
sich, nach allem, was man weiß, nicht mit den jüngsten Beschlüs-
sen abfinden, die Zinsen zu senken und wieder Anleihen zu kau-


fen. Trotz ihres markigen Auftretens und der harten Linie, die sie
in geldpolitischen Fragen gern verfolgen, scheinen deutsche
Notenbanker doch eher von weichem Naturell zu sein. Die Aus-
nahme: Bundesbank-Präsident Jens Weidman. Er hält eisern Kurs.
Was bedeutet das für die Suche nach einer Nachfolgerin für
Lautenschläger (dass ein Mann zum Zuge kommt, gilt als ausge-
schlossen)? Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sollte nicht nur auf
ökonomische Prinzipienfestigkeit achten. Ebenso wichtig wäre
Frusttoleranz. Die Neue muss es aushalten können, ständig zur
Minderheit zu gehören, obwohl sie sich im Besitz der besseren
Argumente wähnt. Hilfreich könnte auch sein, die eigene Position
nicht für den einzigen Hebel zur Rettung der Welt zu halten. Öko-
nomie im Allgemeinen, Geldpolitik im Besonderen, sind schließ-
lich keine exakten Wissenschaften. Kurzum: Nützlich wäre ein
Schuss Pragmatismus. Das erleichtert vieles und bewahrt viel-
leicht vor Rücktritten. Christian Reiermann

Kommentar

Gesucht: Frau mit Frusttoleranz


Schon wieder tritt ein EZB-Direktoriums-Mitglied zurück. Was sagt das aus über deutsche Notenbanker?

Weltwirtschaft

Containerboom trotz


Handelsflaute


 Im Exportland Deutschland steigt die
Furcht vor einer Rezession, die Handels-
konflikte bremsen die Weltkonjunktur –
doch das Geschäft in den internationalen
Seehäfen läuft erstaunlich gut. Der Con-
tainerumschlag hat laut vorläufiger Schät-
zung im August einen neuen Höchstwert
erreicht. Das RWI-Leibniz-Institut für
Wirtschaftsforschung in Essen und das
Institut für Seeverkehrswirtschaft und
Logistik in Bremen ermitteln monatlich
einen Index. Er bildet den Umschlag in
83 Häfen weltweit ab und gilt als verläss-
licher Indikator für die globale Konjunk-
tur. Dass der Wert deutlich von der trü-
ben Stimmung vor allem in Deutschland
abweicht, überrascht auch RWI-Konjunk-

turchef Roland Döhrn. Der Ökonom
erklärt die Diskrepanz so: Die aktuelle,
in vielen Ländern beobachtete Schwäche
der Autoindustrie fließe nicht in den
Index ein, weil Autos nicht in Containern
verschifft würden. Sie werden vor allem
mit der Bahn oder auf speziellen Fähren
transportiert. Auch bei Schüttgütern,
etwa Agrarwaren wie Soja, die mit Sank-
tionen belegt seien, schlage sich ein mög-
licher Rückgang nicht im Index nieder.
Verzerrt werden könnte der Umschlags-
wert laut Döhrn auch dadurch, dass ver-
mehrt Container ohne Ladung unterwegs
seien, weil in den Entladehäfen weniger
Waren auf den Versand warten. Gleich-
wohl hält der Wissenschaftler den Index
weiter für »einen guten Spiegel der Glo-
balisierung«. Belastet werde die Weltwirt-
schaft derzeit durch die extrem hohe
Unsicherheit, die der Containerumschlag
nicht abbilden kann. AJU

GETTY IMAGES
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