Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

chin, die bei Günther Glaß zwei Tage ein-
gearbeitet werden sollte, bevor sie dort al-
lein Schichten übernehmen würde, wie
Life line versprach. Glaß protestierte: »Ich
brauche eine Intensivpflegerin, jemanden,
der weiß, was er tut.«
Ihr wurde versichert, die Frau habe die
nötige Qualifikation, sei Intensivpflegerin
und spreche Deutsch. Zudem habe man
derzeit keine andere Pflegerin. Einen deut-
schen Satz habe sie von der Frau de facto
nie gehört, nur »ja, ja«, sagt Glaß. Andere
Lifeline-Mitarbeiter hätten ihr berichtet,
die Tschechin habe in einer Intensiv-WG
zuvor leichte Pflegearbeiten ausgeführt –
und geputzt.
Für den Montag, an dem Liba zum ers-
ten Mal allein kam, war bei Günther Glaß
ein Wechsel der Kanüle im Hals vorgese-
hen. Weil die Tschechin das allein nicht
hätte durchführen dürfen und noch nie ge-
macht hatte, sollte der Wechsel verscho-


ben werden. So war es in den Pflegedoku-
menten schriftlich festgehalten.
Elisabeth Glaß war an dem Tag zu Hau-
se. Sie telefonierte im Nebenraum. Als sie
das Zimmer ihres Mannes betrat, war sein
Hals voller Blut gelaufen. Liba habe gesagt:
»Kanüle gewechselt« und »ging schlecht
raus«. Die neu eingesetzte Kanüle war
noch dazu die falsche. Liba habe geweint
und geschrien. Glaß dachte nur: Ich muss
sofort die Pflegeleiterin anrufen.
Die kam dann auch und setzte eine neue
Kanüle ein. Die blutgetränkte Bettwäsche
wechselte sie nicht. Auch Elisabeth Glaß
wagte das nicht, weil ihr Mann beim Um-
drehen immer wieder anfing zu bluten.
Bis zum Morgen war beim Absaugen
immer wieder Blut im Schlauch. Die Pfle-
geleitung von Lifeline habe sie beruhigt,
sagt Glaß: Ihr Mann erhalte ja Blutverdün-
ner, da sei das ganz normal. In den kom-
menden Tagen werde man die Kanüle

sonst noch einmal wechseln. »Ich habe ge-
dacht, die haben das im Griff, die werden
eine solche Situation ja schon häufiger er-
lebt haben«, erinnert sich Glaß.
Tatsächlich verschlechterte sich der Zu-
stand ihres Mannes in den Tagen danach
zusehends. Als er bei einem Hustenanfall
keine Luft mehr bekam und auch das Ab-
saugen nicht mehr gelang, rief Glaß den
Notarzt. Der versuchte, ihren Mann mit
Herzmassage am Leben zu halten, ohne
Erfolg. Als Todesursache notierte der Me-
diziner: Herzstillstand.
»Sie haben ihn mir umgebracht«, sagt
Glaß. Sie erstattete Anzeige wegen fahr-
lässiger Tötung, doch im Januar dieses Jah-
res stellte die Staatsanwaltschaft Hof das
Verfahren ein. Es sei nicht eindeutig fest-
zustellen, ob der Kanülenwechsel wirklich
falsch durchgeführt wurde, und wenn, ob
dies auch zum Tod geführt habe. Es sei
»rechtlich ohne Belang«, ob die Pflegerin
berechtigt gewesen sei, die Kanüle zu
wechseln oder nicht.
Der MDK führte kurz nach dem Tod
von Günther Glaß eine Sonderprüfung
bei Lifeline durch. In den Dokumenten
fanden die Prüfer Notizen, dass die Tsche-
chin bis dahin »nur als 2. Pflegekraft zu-
geschaut« hatte. Der Pflegedienst selbst
hatte notiert: »Gespräch nicht möglich.
Sprachschwierigkeiten«. Lifeline, so be-
merkten die Prüfer, beschäftige darüber
hinaus weitere ausländische Pflegekräfte
in der 1:1-Intensivpflege, die nicht über
die nötige Anerkennung in Deutschland
verfügten.
Aus der Personalakte der Pflegerin, die
Glaß inzwischen einsehen konnte, gehe
hervor, dass die Tschechin erst ein Jahr
nach dem Tod von Günther Glaß ihre Prü-
fungen zur Intensivpflegerin ablegte. Life-
line teilte auf Anfrage nur mit, man weise
die Vorwürfe zurück.
Die Staatsanwaltschaft München ermit-
telt nun wegen Abrechnungsbetrug – vor
wenigen Monaten wurden die Räume des
Pflegedienstes durchsucht und Dokumen-
te sichergestellt. Man kooperiere mit den
Ermitt lungsbehörden, heißt es dazu von
Lifeline.
Elisabeth Glaß hat sich einen anderen
Anwalt genommen und will Lifeline wo-
möglich auch zivilrechtlich verklagen. Sie
will verhindern, dass andere erleiden müs-
sen, was ihr und ihrem Mann passiert ist.
»Es kann jeden Tag wieder geschehen«,
sagt sie. »Und keiner tut was.«
Kristina Gnirke, Isabell Hülsen
Mail: [email protected]

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»Sie haben ihn mir umgebracht.«


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Das kaputte System

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DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019

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