Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

sen, entgegen seinem Versprechen Dinge
unter den Teppich zu kehren.
Zumal seine eigene Rolle im Dieselskan-
dal nicht aufgeklärt ist. Als Finanzchef
schien sich Pötsch zunächst nicht recht für
das Thema zu interessieren. Der damalige
Leiter der Rechtsabteilung habe einmal
versucht, sich Gehör bei ihm zu verschaf-
fen, sagte ein Mitarbeiter aus. Pötsch aber
habe sich lieber mit seinem Chef Winter-
korn über Fußball unterhalten. Die Herren
hätten diskutiert, wie ein Wechsel von
Kevin De Bruyne, damals Offensivspieler
beim VfL Wolfsburg, zu verhindern sei.
Ein weiterer Mitarbeiter aus der Rechts-
abteilung will Pötsch Ende Juni 2015 vor
drohenden Milliardenstrafen in den USA
gewarnt haben. VW, Pötsch und andere
bestreiten die Darstellung. Doch der Zeu-
ge steht zu seinen Aussagen, die Staats -
anwaltschaft hält ihn für glaubwürdig.
Wirklich geschadet hat Pötsch das nie.
Während die Kritik von außen zunahm,
baute er seine Macht nach innen sogar aus.
Für die Entscheidungsträger bei VW ist
Pötschs Vergangenheit kein Makel, im Ge-
genteil: Als frühere Nummer zwei hinter
Winterkorn kenne er den Konzern wie
kaum ein anderer, sei bestens verdrahtet
und komme mit allen gut aus.
Die eigentümliche Loyalität hängt da-
mit zusammen, dass der Aufsichtsratschef
allen Kräften im Haus das Gefühl gibt,
sie zu unterstützen, ohne sich je komplett
auf eine Seite zu schlagen. Dadurch ge-
nießt er fast überall Vertrauen – und hält
so die komplizierten Machtstrukturen bei
Volkswagen in der Balance. Pötsch ist
eher ein Versöhner, kein Spalter wie sein
Amtsvorgänger Ferdinand Piëch, der ge-


zielt gegen seine Führungskräfte intrigie-
ren konnte.
Pötschs meist gutes Benehmen ist keine
Selbstverständlichkeit in einem Konzern,
der von schroff auftretenden Alphatieren
geprägt ist. Seine Höflichkeit ist bisweilen
fast unterwürfig. Taucht auf einer Auto-
messe ein Mitglied der Familie Porsche
oder Piëch auf, springt der Chefaufseher
prompt auf, um seinen Stuhl anzubieten.
Vielen gilt Pötsch zudem als idealer
Gegenpart zum umtriebigen VW-Chef. Er
unterstützt dessen radikalen Reformkurs –
weg von den Benzin- und Dieselmotoren,
hin zur E-Mobilität – und überzeugt die
skeptischen Familieneigner von den nöti-
gen Milliardeninvestitionen. Gleichzeitig
empfängt Pötsch frustrierte Führungskräf-
te, wenn sie sich über die Alleingänge ihres
machtbewussten CEO beklagen wollen.
»Ohne Pötsch würde VW die Integrations-
kraft fehlen«, heißt es aus dem Umfeld
eines Großaktionärs.
Gibt es Probleme, grätscht der Ober -
aufseher beherzt dazwischen. So wie in
diesem Frühjahr, als der Vorstandschef
neue Sparpläne verkündete, ohne zuvor
den Aufsichtsrat zu informieren. Im laten-
ten Dauerclinch zwischen Diess und Be-
triebsratschef Bernd Osterloh kommt
Pötsch die Rolle des Friedensengels zu.
Dass seine lasche Aufklärungsarbeit im
Dieselskandal ihn bisher nicht beschädigt
hat, liegt vor allem daran, dass sie im bes-
ten Interesse von VW ist. Der Konzern
kann kein Interesse an lückenloser Aufklä-
rung haben: Jede Spur, die an die Spitze
des Unternehmens führt, birgt das Risiko
weiterer Milliardenzahlungen an die vie-
len Zivilkläger. Allein schon deshalb wird

das Unternehmen an Pötsch
festhalten, bis es nicht mehr
anders geht. Ein vorzeitiger
Rückzug, warnen VW-Anwäl-
te, gleiche einem Schuldein -
geständnis.
Viele Aktionäre sehen das
anders, gerade weil es bei den
Vorwürfen gegen Diess und
Pötsch um Marktmanipulation
geht. Im Zuge des Dieselskan-
dals könnten ständig neue Pro-
bleme auftauchen, die VW an
die Anleger vermelden müsse,
sagt Ingo Speich, Leiter Nach-
haltigkeit und gute Unterneh-
mensführung bei der Fonds -
gesellschaft Deka Investment.
Das Management um Diess
müsse daher besonders eng
durch den Aufsichtsrat kontrol-
liert werden: »Herr Pötsch als
selbst Angeklagter kann das
aus offensichtlichen Gründen
nicht leisten. Wir sind daher
der Ansicht, dass er sein Amt
niederlegen sollte.«
Die Zeit spielt indes für Pötsch. Das Auf-
sichtsratsgremium will die Lage neu be-
werten, wenn das Landgericht Braun-
schweig darüber entschieden hat, ob die
Hauptverhandlung eröffnet wird. Erst
wenn Pötsch wirklich vor Gericht erschei-
nen muss, dürfte es eng werden für ihn.
Ein Aufsichtsratschef, der an einem Tag
auf der Anklagebank sitzt, tags darauf auf
der Hauptversammlung den Aktionären
Rede und Antwort stehen muss, wäre der
Öffentlichkeit schwer zu vermitteln.
Noch stärker gefährdet wäre laut In-
sidern jedoch VW-Chef Diess: Die drohen-
den Präsenztermine vor Gericht wären mit
seinem engen Zeitplan als Vorstandschef
kaum zu vereinbaren.
Der Prozess wird zum Risiko, auch weil
darin ein mögliches Kontrollversagen von
Pötsch und Diess auffliegen könnte. Selbst
wenn die Staatsanwaltschaft dem Spitzen-
duo keine vorsätzliche Kursmanipulation
nachweisen kann, droht ihnen womöglich
eine Geldbuße wegen Fahrlässigkeit.
Mit einer baldigen Prozesseröffnung
aber rechnet bei VW derzeit niemand. Die
Konzernjuristen vermuten, dass die Justiz
zunächst den eigentlichen Dieselbetrugs-
fall verhandeln will, in dem weder Pötsch
noch Diess als Beschuldigte geführt wer-
den. Bis zur Hauptverhandlung wegen
Marktmanipulation, so das Kalkül, könn-
ten anderthalb bis zwei Jahre verstreichen.
Die Chancen stehen also nicht schlecht,
dass Pötsch bis zum Ende seiner Amtszeit
bei VW bleiben kann: Die läuft noch bis
zum Frühjahr 2021.
Simon Hage, Martin Hesse
Mail: [email protected]

DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019 75


ODD ANDERSEN / AFP
VW-Oberaufseher Pötsch, Vorstandschef Diess: »Nichts wird unter den Teppich gekehrt«
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