Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

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alf Teckentrup, 61, hat die Condor
schon einmal gerettet. Vor 15 Jahren
war das. Damals lag der Charter -
flieger seinen Muttergesellschaften, der
Lufthansa und dem Karstadt-Konzern,
schwer auf der Tasche.
Nun wiederholt sich die Geschichte, nur
unter umgekehrten Vorzeichen. Condor
gehört mittlerweile zu Thomas Cook. Der
insolvente Reiseriese hätte seine
Flugtochter diese Woche beinahe
in den Abwärtsstrudel gezogen.
Um den deutschen Ferienflieger
zu retten, hat Condor-Chef Tecken -
trup eine in der deutschen Luft-
fahrt ungewöhnliche und riskante
Operation gestartet: Er will Con-
dor von Thomas Cook abtrennen,
einen Käufer suchen und so einen
Neustart wagen. Was ihm noch
fehlt, ist ein Investor.
Der erste Schritt immerhin ver-
lief erfolgreich: Am Mittwoch be-
antragte Condor das sogenannte
Schutzschirmverfahren, eine Art
schonende Insolvenz in Eigen -
verwaltung. Damit kann das Ma-
nagement um Teckentrup erst ein-
mal weitermachen, assistiert von
dem gerichtlich bestellten Sach -
walter Lucas Flöther, der bereits
die Air-Berlin-Pleite betreut.
Der Bund und das Land Hessen sicher-
ten den Plan mit einem Überbrückungs-
kredit von 380 Millionen Euro ab. Die
Politiker rückten das Geld so bereitwillig
heraus, weil sie wie die Condor-Führung
fest davon ausgehen, dass sich ein Investor
findet, der die Fluglinie in den kommen-
den Monaten kauft. Mit dem Kaufpreis
ließe sich das staatliche Darlehen zurück-
zahlen – das allerdings muss binnen sechs
Monaten geschehen.
Zu den Interessenten, so heißt es im Bun-
deswirtschaftsministerium, zähle eine aus-
ländische Airline. Der US-Investor Indigo
Partners, der bereits mehrere Fluglinien
besitzt, soll ebenfalls interessiert sein. Ge-
handelt wird zudem der europäische Fi-
nanzinvestor Triton, der erst kürzlich zwei
Reiseveranstalter in den Beneluxstaaten
aufkaufte.


Auch Thomas-Cook-Konkurrent TUI
und die Lufthansa tauchen immer wieder
als potenzielle Interessenten auf, sie müss-
ten aber mit kartellrechtlichen Auflagen
rechnen. Beide Unternehmen haben erst
einmal abgewinkt, doch das muss nichts
heißen, derlei Bluffs gehören beim Über-
nahmepoker dazu.
Die Lufthansa soll bereits im Frühjahr
knapp 200 Millionen Euro für Condor ge-
boten haben, als Thomas Cook seine Flug-
linien verkaufen wollte. Nun müsste ein
Erwerber fast das Doppelte aufbringen,
schon allein, damit der Überbrückungs-
kredit zurückgezahlt werden kann.
Bei Condor gibt man sich selbstbewusst,
eine solche Summe auch wert zu sein. Das
Unternehmen sei mit dem Schutzschirm-
verfahren schließlich seine kostspieligen
Verpflichtungen gegenüber der insolven-
ten Mutter losgeworden und damit deut-
lich wertvoller als vorher.
Falsch ist das nicht. Wie bei den meisten
Großunternehmen war auch Condor bei

Thomas Cook in ein sogenanntes Cash-
Pooling-System eingebunden. Die liquiden
Mittel flossen dorthin, wo sie gerade ge-
braucht wurden. Im Idealfall ist das ein Ge-
ben und Nehmen, mal zahlt der eine ein,
mal der andere. Der Condor-Geschäftsfüh-
rung war allerdings schon im Frühjahr auf-
gefallen, dass sie selbst nur noch einzahlte
und Mutter und Schwestern sich kräftig
bedienten. Deshalb hielten »Tecke«, wie er
bei Condor genannt wird, und seine Kolle-
gen Teile des Geldes zurück, als Vorsorge
für den nachfrageschwachen Winter.
Die Konzernführung in London forderte
hartnäckig den Solidarbeitrag der Deut-
schen ein. Doch die verwiesen auf ihre Ver-
mögensbetreuungspflicht als Geschäftsfüh-
rer der Condor Flugdienst GmbH. Offen-
bar ahnten sie schon, dass es mit Thomas
Cook kein gutes Ende nehmen würde.

Mit dem eingeleiteten Schutzschirmver-
fahren ist Condor vor dem direkten Zugriff
aus London erst einmal sicher. Auch ein
weiteres Problem ist fürs Erste gelöst. Ein
Großteil der Vermögenswerte von Thomas
Cook steckt in den Töchtern. Deshalb
haften diese für Kredite und Anleihen
mit, über die sich der Mutterkonzern in
der Vergangenheit frisches Geld besorgte.
Ohne die Insolvenz in Eigenverwaltung
wäre das deutsche Staatsgeld womöglich
gleich an britische Banken und Anleihe-
gläubiger durchgereicht worden.
Ein großer Teil der Schulden stammt aus
der Ära, als Thomas Cook noch zum Kauf-
hauskonzern Arcandor gehörte. Vorstands-
chef war damals Thomas Middelhoff. Der
versuchte, den Aktienkurs der Tourismus-
tochter auch durch schuldenfinanzierte An-
teilsrückkäufe in die Höhe zu treiben.
Zudem schleppt Condor Pensionszusa-
gen gegenüber den eigenen Mitarbeitern in
Höhe von fast einer halben Milliarde Euro
mit sich herum. Auch diese Verpflichtung
könnte das Unternehmen nun zu-
nächst elegant loswerden. Das Insol-
venzrecht erlaubt es, sie an den Pen-
sionssicherungsverein abzutreten.
Er wird von allen Firmen in Deutsch-
land finanziert, die ihren Angestell-
ten Betriebsrenten zugesichert ha-
ben. Der Verein muss in einer Situa-
tion, wie sie bei Condor eingetreten
ist, erst einmal einspringen.
Aus Großbritannien blickt man
eher bitter auf den deutschen Al-
leingang, der die Gläubiger des
Mutterkonzerns viel Geld kostet.
Auch die dortigen Mitarbeiter
fühlen sich benachteiligt. Ausba-
den muss das Teckentrups Kollege
Christoph Debus. Der frühere Air-
Berlin-Manager ist im Thomas-
Cook-Konzern für alle Fluglinien
zuständig. Eigentlich hatte Debus
sie alle retten wollen, weil jede von
ihnen Geld verdient.
Er war gerade bei Condor in Frankfurt,
als am Dienstagabend der Übergangskredit
durch die Bundesregierung bewilligt wurde.
Die Condor-Mitarbeiter feierten die Ge-
schäftsführung, die den Deal eingefädelt
hatte, mit Applaus. Einer filmte die Szene
und stellte sie ins Netz. Debus geriet mit
aufs Bild, was in London nicht gut ankam.
Die dortige Fluggesellschaft war tags
zuvor trotz seiner Rettungsversuche pleite -
gegangen. Die Beschäftigten verloren ihre
Jobs, während sich ihr Boss in Deutschland
über den Erhalt der Condor-Arbeitsplätze
freute. Über Debus brach ein Shitstorm he-
rein, den er nur abmildern konnte, indem
er Zerknirschung zeigte und sich via Twit-
ter entschuldigte.
Dinah Deckstein, Martin U. Müller
Mail: [email protected]

76 DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019


Wirtschaft

Soloflug


der Tochter


InsolvenzenDie deutsche
Charterlinie Condor hat sich von
Thomas Cook losgerissen
und braucht nun einen Käufer.
Interessenten gibt es einige.

SILAS STEIN / DPA
Condor-Flugzeuge
Sicher vor dem Zugriff aus London
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