Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

ten haben die klare Absicht, nach dem Bre-
xit ein Handelsabkommen abzuschließen.
In diesem Fall, so sehen es die Regeln der
Welthandelsorganisation vor, können die
Regierungen darauf verzichten, Zölle zu
erheben. Die Briten haben diese Variante
auch bereits ins Spiel gebracht.
SPIEGEL:Und Brüssel sollte da mitziehen?
Felbermayr:Ja. In Europa gibt es allerdings
viele, die an Großbritannien ein Exempel
statuieren wollen. Sie wollen das Land be-
strafen, nach dem Motto: Schaut her, so er-
geht es allen, die unseren Klub verlassen.
SPIEGEL:Dafür gibt es auch gute Gründe.
Seit drei Jahren wird nun schon über den
Brexit gesprochen. Wird es nicht Zeit, dass
Brüssel sagt: Lieber ein Ende mit Schre-
cken als ein Schrecken ohne Ende?
Felbermayr:Ich kann nachvollziehen, dass
viele Europäer angesichts des politischen
Chaos in London angesäuert sind. Trotz-
dem sollten sie sich von diesen Gefühlen
nicht hinreißen lassen. Versetzen wir uns
doch mal in die Köpfe der britischen Unter -
hausabgeordneten: Sie wollen einen harten
Brexit verhindern, haben aber den Vertrag
von Theresa May dreimal abgeschmettert.
Und ehrlich gesagt: Ich kann das ver stehen.
SPIEGEL:Das müssen Sie erklären.
Felbermayr:Der Vertrag sieht vor, dass
London umgehend die ausstehenden EU-
Beiträge von mehr als 35 Milliar den Euro
begleichen und in jedem Fall in der Zoll-
union mit Europa verbleiben muss – wenn
nicht einvernehmlich etwas anderes ver-
einbart wird. Damit gibt London praktisch
alle Trümpfe aus der Hand, ohne zu wis-
sen, was bei den Gesprächen über ein künf-
tiges Handelsabkommen herauskommt.
Das ist kein guter Deal.
SPIEGEL:Aber London hat ihn unter-
schrieben.
Felbermayr:Das stimmt. Doch wenn die
Parlamentarier im Bundestag oder in der
französischen Nationalversammlung ehr-
lich wären, würden sie zugeben: Sie hätten
ihre Regierung bei einem solchen Verhand-
lungsergebnis ebenfalls nach Hause gejagt.
SPIEGEL:Nun rasen beide Seiten auf den
Abgrund zu. Was schlagen Sie vor?
Felbermayr:Ich hielte es für sinnvoll, wenn
die Europäer den Briten in einigen ausge-
wählten Punkten entgegenkämen.
SPIEGEL:Zum Beispiel?
Felbermayr:Nehmen Sie die umstrittene
Backstop-Regelung, die den bedingungs-
losen Verbleib Großbritanniens in der Zoll-
union festschreibt. Hier könnten die Euro-
päer London ein außerordentliches Kün-
digungsrecht nach zwei Jahren einräumen.
Dann müssten die Briten nicht mehr das
Gefühl haben, sich in völlige Abhängigkeit
der EU zu begeben. Und die Europäer hät-
ten London eine Brücke gebaut, ohne da-
bei viel zu verlieren.
SPIEGEL:Eine solche Regelung würde
aber die Gefahr erhöhen, dass eine harte


DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019 79


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