Der Spiegel - 28.09.2019

(Ann) #1

I


m Tabakshop von Tareq Alabsi an der
Polk Street in San Francisco ist die Kri-
se der E-Zigaretten längst angekom-
men. In den vergangenen Jahren seien ge-
schätzte 70 Prozent seiner Kundschaft auf
das Dampfrauchen umgestiegen, sagt Alab-
si, 45. Nun aber wolle »jeder Zweite, der
in den Laden tritt, von mir wissen, ob das
Zeug gefährlich ist oder nicht«.
Alabsis Umsatz ist eingebrochen. Zwar
fragen ihn nun wieder mehr Raucher nach
klassischen Zigaretten statt nach den Kar-
tuschen von Juul und Geräten anderer
Hersteller. »Mein Minus aber kann das
nicht wettmachen«, sagt er.
Die Debatte um tödliche Risiken des
Dampfens und ein angekündigtes Verbot
aromatisierter E-Zigaretten in den USA
schütteln die Tabakindustrie gerade or-
dentlich durch. Die Hoffnung der Branche,
das schwächelnde Geschäft mit herkömm-
lichen Zigaretten durch die elektrischen
Produkte auszugleichen, ist in den vergan-
genen Monaten schwer erschüttert wor-
den. In den USA starben neun Menschen
offenbar nach dem Konsum von E-Ziga-
retten, Hunderte wurden in Krankenhäu-
ser eingeliefert.
In Verdacht geraten sind zwar vor allem
selbst gebraute Dampfflüssigkeiten (»li-

quids«), etwa solche, denen der Haschisch-
wirkstoff THC beigemischt wurde.
Trotzdem trifft die Debatte vor allem
den US-Marktführer Juul hart: Am ver-
gangenen Mittwoch trat Firmenchef Kevin
Burns zurück. Ausgerechnet ein Manager
des Tabakkonzerns Altria Group über-
nahm seinen Posten. Der Marlboro-Her-
steller hatte vor neun Monaten 35 Prozent
der Juul-Anteile gekauft. Geplatzt ist auch
der geplante Zusammenschluss von Altria
mit dem Branchengiganten Philip Morris
International. Die Fusionsverhandlungen
seien abgebrochen worden, verkündeten
beide Unternehmen am Mittwoch. Der
Traum vom großen Zukunftsgeschäft: vor-
erst verdampft.
Das Hauptquartier von Juul Labs liegt
an der Pier 70, einem alten Hafengelände
in San Francisco. Wo früher die Schwer -
industrie saß, logieren heute elegante Tech-
Firmen. Die ehemaligen Schiffswerften
werden gerade abgerissen, Bagger schie-
ben Schutt herum. Juul und seine schlan-
ken Geräte galten bisher als cool.
Doch der Abgang des Chefs ist nur der
Höhepunkt einer langen Reihe von Hiobs-
botschaften aus den vergangenen Mona-
ten. Es begann damit, dass US-Gesund-
heitsbehörden Hunderte Fälle einer mys-

teriösen Lungenkrankheit prüfen, die im
Verdacht steht, sie werde durch den Kon-
sum von E-Zigaretten verursacht.
Es folgte die Nachricht aus Washington,
dass die Trump-Regierung ein Verbot aro-
matisierter E-Zigaretten plant, um Jugend-
liche vor ihrem Konsum zu schützen.
Dann untersagte die indische Regierung
das Dampfen – ein Milliardenmarkt fällt
damit weg. Die US-Bundesstaaten Michi-
gan und New York sprachen ein Verkaufs-
verbot aus. Die Warenhauskette Walmart
hat den Verkauf gestoppt. Und führende
US-Medienkonzerne wollen keine Vaping-
Werbung mehr zeigen.
Einer von Juuls eher unbekannten, aber
mächtigen Gegenspielern sitzt im pracht-
vollen Rathaus von San Francisco. Dennis
Herrera trägt den Titel City Attorney, eine
Art Staatsanwalt für städtische Belange.
Es war Herrera, 56, der schon im Juni ge-
gen den Verkauf von E-Zigaretten vorging
und damit den Reigen von Anti-Vaping-
Maßnahmen eröffnete.
Seine Entscheidung begründete er da-
mit, dass Juul und andere Hersteller es
nicht für nötig befunden hatten, vor dem
Verkaufsstart ihrer Produkte eine Geneh-
migung der FDA, der amerikanischen Be-
hörde für Lebens- und Arzneimittel, ein-
zuholen. Er habe sich in den vergangenen
Tagen gefreut »zu sehen, dass andere Städ-
te, Bundesstaaten und Länder unserem
Beispiel folgen«, sagt Herrera am Telefon.
Man hört die Empörung in seiner Stim-
me, wenn er sagt, dass es heute in der Wirt-
schaft »offenbar überall nur um Disrup -
tion« gehe: »Diese Firmen bitten lieber im
Nachhinein um Verzeihung als rechtzeitig
um Erlaubnis.« Herrera spielt damit auf
die Überfalltaktik vieler Tech-Konzerne
wie Uber, Airbnb oder die E-Scooter-Fir-
men Bird und Lime an. Sie legen oft los,
ohne sich vorher lange um die rechtlichen
Bedingungen zu kümmern oder gesell-
schaftliche Konsequenzen zu bedenken.
Die neue Härte der Politik gegenüber
der E-Zigaretten-Branche und ihrem ame-
rikanischen Marktführer Juul – einer Fir-
ma, die von zwei Stanford-Studenten ge-
gründet wurde – erklärt sich auch aus der
Wut auf die Arroganz des Silicon Valley.
Eine Gesundheitskampagne des Staates
Kalifornien, die sich gegen die E-Zigaret-
ten richtet, trägt denn auch den Slogan:
»Sieht aus wie Tech, wirkt wie Gift«.
Laut einer US-Studie hat 2019 mehr als
jeder vierte amerikanische Highschool-
Schüler im vorangegangenen Monat »ge-
juult« – »juulen« ist längst ein stehender
Begriff geworden. 2017 war es noch jeder
achte. Weil die Firma ihre Werbung an-
fangs stark auf Jugendliche ausrichtete,
erntete Juul harsche Kritik. Der Bundes-
staat North Carolina hat Juul sogar ver-
klagt und wirft dem Konzern illegale Prak-
tiken vor, die darauf abzielten, Jugendliche

82 DER SPIEGEL Nr. 40 / 28. 9. 2019

LUCY NICHOLSON / REUTERS


Tabakhändler in Los Angeles: »Sieht aus wie Tech, wirkt wie Gift«

Verdampfte Hoffnung


KonzerneDie Tabakindustrie wollte mit E-Zigaretten ihr Milliarden -
geschäft retten. Doch die Debatte um seltsame Todesfälle und vorläufige
Verkaufsverbote stürzt vor allem Marktführer Juul in die Krise.
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