A
m Altmarkt steht eine Gruppe
Touristen. Dresden sei bis auf ei-
nige Straßenzüge eigentlich keine
Stadt des Barock, erklärt ihnen
der Stadtführer, sondern eine des
1 9. Jahrhunderts. Ratlose Blicke der Touristen.
Gewesen, hört man ihn noch sagen.
VON MARCUS WOELLER
Hier am Rand der Altstadt ist weder von Ba-
rock noch vom 19. Jahrhundert viel zu sehen,
eher vom Wiederaufbau der Stadt nach dem
ZZZweiten Weltkrieg, von der baulichen Reprä-weiten Weltkrieg, von der baulichen Reprä-
sentation der DDR und von den Investitionen
der Immobilienentwickler, die nach der Wie-
dervereinigung das in weiten Leerstellen
brachliegende Dresden als Bauland mit Poten-
zial entdeckten. In der Erinnerung vieler Dres-
dener, auch jener, die sich an die verheerenden
Bombardierungen vom 13. und 14. Februar 1945
nicht persönlich erinnern können, ist Dresden
aaaber natürlich eine barocke Stadt. Und was fürber natürlich eine barocke Stadt. Und was für
eine prächtige!
Eine prächtig renovierte, restaurierte und
vor allem rekonstruierte. Aktuell jüngster Bau-
stein in der Wiederdresdenwerdung Dresdens
sind die gerade eröffneten Paraderäume im
Residenzschloss. Mit ihnen „ziehen die könig-
liche Majestät August II., besser bekannt als
AAAugust der Starke, und sein Sohn August III. inugust der Starke, und sein Sohn August III. in
Dresdens Stadtmitte zurück“, heißt es im Ma-
gazin der Staatlichen Kunstsammlungen. Die
Zimmerflucht des repräsentativen Paradeap-
partements von August II. im zweiten Stock-
werk der Residenz wurde in verschiedenen
Nachahmungsgraden rekonstruiert und nun
mit der Ausstellung „King Size“ für das Publi-
kum eröffnet. Und er ist tatsächlich zurückge-
kehrt, August der Starke, in alter Königstraditi-
on sozusagen in effigie, aber dazu später.
Der ambitionierte Geltungsdrang eines
durchlauchtigsten Kurfürsten, der mit der pol-
nischen Krone endlich königliche Majestät
wwwurde und gern auch die Kaiserwürde getra-urde und gern auch die Kaiserwürde getra-
gen hätte, hat Dresden erst diese Prachtentfal-
tung beschert, von der die Stadt und ihre Bür-
ger immer noch zehren. Der Verlust dieser
Pracht wurde hier immer lauter beklagt als in
vielen anderen kriegszerstörten Städten in
Deutschland und vor allem mit dem Wunsch
nach Wiederherstellung verbunden. Die baro-
cke Frauenkirche war im Feuersturm nach den
britischen Luftangriffe vollständig ausge-
brannt und einen Tag später eingestürzt. Die
RRRuinenstümpfe inmitten ihres Trümmerbergsuinenstümpfe inmitten ihres Trümmerbergs
blieben bis zur Wende als Mahnmal des Kriegs
stehen, schon 1992 wurde dann die historische
Rekonstruktion der Frauenkirche beschlossen.
Seit 2005 gemahnt sie an diesen weit über
Dresden hinausstrahlenden Wiederaufbauwil-
len mit den überall im Gebäude an Original-
stelle platzierten, dunkel patinierten Trüm-
mern.
AAAuch das Residenzschloss stand vierzig Jah-uch das Residenzschloss stand vierzig Jah-
re lang als Kriegsruine da. Bis auf die Außen-
mauern niedergebrannt, konnte die Ausstat-
tung nur in wenigen Erdgeschossräumen ge-
rettet werden, deren Gewölbedecken den he-
rabfallenden Obergeschossen standgehalten
hatten. Es war nicht die erste Katastrophe: 1701
war im Schloss ein Feuer ausgebrochen, das
den Georgenbau, den Ostflügel mit dem Rie-
sensaal und die Englische Treppe zerstörte.
AAAugust II. nutzte die innenarchitektonischeugust II. nutzte die innenarchitektonische
Tabula rasa erst zum Wiederaufbau seiner Re-
sidenz in barocker Gestalt. Und für die pracht-
volle Ausgestaltung eines Paradeappartements
kam vor 300 Jahren der geeignete Anlass – die
VVVermählung seines Sohnes Friedrich August II.ermählung seines Sohnes Friedrich August II.
(als König später August III.) mit der Erzher-
zogin Maria Josepha von Österreich. Die Hoff-
als König später August III.) mit der Erzher-
ogin Maria Josepha von Österreich. Die Hoff-
als König später August III.) mit der Erzher-
nung Augusts, durch diese Familienplanung
Chancen auf den von den Habsburgern besetz-
ten Kaiserthron des Heiligen Deutschen
Reichs zu erlangen, wurde dann nicht erfüllt.
AAAber Sachsen insgesamt erwarteten Schick-ber Sachsen insgesamt erwarteten Schick-
salsschläge. Auch die Königskrone ging mit
dem Siebenjährigen Krieg verloren. Dresden
wwwurde wieder kurfürstlich.urde wieder kurfürstlich.
AAAber Dresden sah weder kurfürstlich aus,ber Dresden sah weder kurfürstlich aus,
noch fühlte es sich so an. Dafür hatten August
II. und III. in wenigen Jahrzehnten gesorgt.
Nicht nur durch die im 18. Jahrhundert er-
schaffenen Neubauten wie Zwinger, Frauenkir-
che oder Katholische Hofkirche. Vor allem der
aaaugusteische Repräsentationsfuror hat Dres-ugusteische Repräsentationsfuror hat Dres-
den groß gemacht. August der Starke orientier-
te sich bekanntlich an niemand geringerem als
dem Sonnenkönig, Ludwig XIV. von Frank-
reich. Und in diesem Selbstbewusstsein wurde
aaauch der Sohn erzogen. Nach einer acht Jahreuch der Sohn erzogen. Nach einer acht Jahre
dauernden Kavaliersreise durch halb Europa
wwwurde die Hochzeit Friedrich Augusts II. miturde die Hochzeit Friedrich Augusts II. mit
einem vier Wochen dauernden Fest gefeiert,
fffür das sein Vater sich nicht lumpen ließ. Die-ür das sein Vater sich nicht lumpen ließ. Die-
ser Luxus wird in den neuen Paraderäumen
nun reanimiert.
WWWas ist echt, was ist falsch, was ist original,as ist echt, was ist falsch, was ist original,
was kopiert? Irgendwas stimmt hier nicht.
AAAber was stimmt schon in Dresden? Mehrber was stimmt schon in Dresden? Mehr
noch als die gesprenkelte Fassade der Frauen-
kirche oder der von Kritikern als Disneyland
geschmähten „Altstadt“ ist das königliche
Schlossappartement ein Konglomerat aus Alt
und Neu, aus mikroskopischer Rekonstruktion
und makroskopischer Nachempfindung, aus
musealer Ausstellungsverpflichtung und tief in
der sächsischen Seele empfundener Lust an
der Bedeutung. Paradeschlafzimmer und Au-
dienzgemach sehen jetzt „in echt“ so aus wie
aaauf ihren computergerenderten Visualisierun-uf ihren computergerenderten Visualisierun-
gen. Historisch authentisch sind in den Räu-
men aber nur einige Objekte, sie gehen im En-
semble fast unter. Zum Beispiel ein mit Brokat
bekleideter Pfostenaufsatz vom Baldachin des
Himmelbetts.
„Nach dem sogenannten Bettknopf haben
wir das ganze Zimmer geklont“, sagt Dirk Syn-
dram, der Museumsdirektor von Residenz-
schloss, Rüstkammer und Grünem Gewölbe.
„Fadengenau“ wurden die Wandbehänge re-
konstruiert. Im Gegensatz zu dem ausgebli-
chenen Artefakt in der Vitrine leuchtet der
Goldbrokat nur so von den Wänden. Er ist das
Resultat kunsthistorischer und handwerks-
geschichtlicher Forschungsarbeit. Danach ha-
ben hochspezialisierte Brokat- und Seidens-
amtweber in Frankreich und Italien die Stoffe
an Handwebstühlen hergestellt, und die Staat-
liche Textil- und Gobelinmanufaktur von Burg
Giebichenstein in Halle hat alles zusammenge-
näht. Die „King Size“-Ausstattung ist ein Werk
des 21. Jahrhunderts – was fehlt, ist die Patina.
Syndram ist seit fast dreißig Jahren an den
Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Das
Projekt begleitet er von Beginn an, und die
Fragen nach dem Für und Wider von Wieder-
aaaufbau und Rekonstruktion begleiten ihn. Imufbau und Rekonstruktion begleiten ihn. Im
Schloss gibt es modern gestaltete Museums-
räume, kritisch rekonstruierte wie den Riesen-
saal und jetzt eben das Paradeappartement.
WWWann ist Nachbildung die richtige Entschei-ann ist Nachbildung die richtige Entschei-
dung? „Wir gehen von dem aus, was wir an ori-
ginalem Bestand haben und von der Geschich-
te, von der wir wissen“, sagt er im Gespräch
mit WELT. Aber es gebe Grenzen, Möbel etwa
lasse er nicht nachschnitzen, „und Gemälde
werden nur rekonstruiert, wenn es sich nicht
vermeiden lässt.“ Dreizehn Maler haben drei
Jahre lang nach 34 Fotos die beiden Deckenge-
mälde nachgemalt, die einst der Hofkünstler
Louis de Silvestre schuf. Ein Kunstwerk von ei-
genem Rang? Eine Kopie? Ein Stück Kulisse?
Die Aura des Originals verströmen dagegen
die Festtagskleider von August II. Auf die
Goldfäden genau perfekt ausgeleuchtet stehen
sie in den weniger opulent ausgestatteten Ne-
benräumen in entspiegelten Vitrinen. Sie sind
aaauf den ersten Blick als historische Ausstel-uf den ersten Blick als historische Ausstel-
lungsstücke erkennbar, sie tragen die Spuren
der Zeit, erzählen von den Auftritten des Kö-
nigs auf den Partyspielen der prunkvollsten
Hochzeitsfeier des 18. Jahrhunderts. Ähnlich
igs auf den Partyspielen der prunkvollsten
ochzeitsfeier des 18. Jahrhunderts. Ähnlich
igs auf den Partyspielen der prunkvollsten
sprechende Artefakte sind die in Japan gefer-
tigten Schmuckdegen, der goldbestickte
Prunksattel, den August von seinem großen
VVVorbild Ludwig XIV. geschenkt bekam, Fahnenorbild Ludwig XIV. geschenkt bekam, Fahnen
mit den Wappen von Sachsen und Polen, die
von der „Schatzkammer der europäischen Ge-
schichte“ zeugen, die Dirk Syndram in Dres-
den wiederauferstehen lassen will. „Wir ma-
chen hier kein sächsisches Museum“, betont
er, „sondern ein Museum der fürstlichen Re-
präsentation in Renaissance und Barock. In
der Mitte Europas!“
Und der Repräsentant, den man August den
Starken nannte, weil er mit eigenen Händen
ein Hufeisen zerbrochen haben soll – auch das
hat nun einen Ehrenplatz im Paradeapparte-
ment – und der strahlen wollte und konnte,
wie sonst in Europa wohl nur der Sonnenkö-
nig, ist tatsächlich zurückgekehrt. Im letzten
Raum der Parade steht er beziehungsweise sei-
ne „königliche statua“ im Krönungsornat auf
einem Podest. Ein kleiner Mann im römischen
Schurz, mit Krone, Zepter und Reichsapfel, im
blausamtenen Krönungsmantel mit Hermelin-
besatz. Und spätestens jetzt versteht man,
dass im Spiel der Repräsentation Wahrheit
und Authentizität schon immer nur eine Ne-
benrolle spielten.
Nach seiner Krönung zum König von Polen
im Jahr 1697 verfolgte August den Wunsch,
sich ein erstes Denkmal zu setzen, in Form ei-
ner lebensgroßen, naturalistisch gestalteten
und mit den leibhaftig getragenen Kleidungs-
stücken und Machtinsignien aufgeladenen Sta-
tue. Diese Effigies fungierte als symbolischer
Stellvertreter, wenn der König einmal abwe-
send war. 1704 bekam sie auch das Antlitz des
Königs nach einer Lebendmaske, die er von
seinem Gesicht anfertigen ließ. Für seinen
Wiedereinzug ins Paradeappartement des Jah-
res 2019 wurde dieser Grüßaugust einmal kom-
plett neu eingekleidet. Weil die Originalteile
zu zerbrechlich sind, um dauerhaft auf einer
Puppe drapiert zu werden, hat man alles nach-
schneidern lassen, fadengenau versteht sich,
und ihm eine blonde Lockenperücke aufge-
setzt, weil man das heute für authentischer
hält. Und nun steht er da und hält Hof.
Im Dresden der Gegenwart ist die Abwesen-
heit des Königs damit beendet. Und wenn man
wieder nach draußen tritt, dann erscheint die-
ses Dresden, an dem so einiges nicht stimmt,
plötzlich sehr echt.
IN DIESEM BILD
STIMMT ETWAS NICHT
Dresden feiert die Eröffnung des prunkvoll rekonstruierten
Paradeappartements von August dem Starken im Residenzschloss.
Eine kritische Betrachtung
SKD / JUERGEN LOESEL
/
O
LIVER KILLIG
/OLIVER KILLIG
Authentisches Goldkleid (zwischen 1705
und 1720) von August II., Kurfürst von
Sachsen und König von Polen-Litauen und
darunter seine „Königliche Statua“ im
(nachgebildeten) Krönungsornat von 1697
DPA
/SEBASTIAN KAHNERT
Original ist hier wenig: Die im
Zweiten Weltkrieg zerstörten
königlichen Gemächer wie das
Paradeschlafzimmer aus dem
- Jahrhundert wurden bis ins
Detail nachgebildet
30
05.10.19 Samstag, 5. Oktober 2019DWBE-HP
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Belichter: Farbe:Belichter: Farbe:Belichter:
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05.10.1905.10.1905.10.19/1/1/1/1/Kul1sa/Kul1sa AFREYE 5% 25% 50% 75% 95%
30 DAS FEUILLETON DIE WELT SAMSTAG,5.OKTOBER2019
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