von alexander menden
A
nlässlich der Münchner
Dreharbeiten zu ihrer 1971
fürs deutsche Fernsehen pro-
duzierten Show „Monty Py-
thons Fliegender Zirkus“ be-
suchten Michael Palin, Terry Jones, Ter-
ry Gilliam, Graham Chapman, John Clee-
se und Eric Idle nicht nur das Hofbräu-
haus, sondern auch das Konzentrations-
lager Dachau. Als sich bei ihrer Ankunft
zeigte, dass die Gedenkstätte schon ge-
schlossen war, rief Graham Chapman:
„Sagt ihnen, dass wir Juden sind!“ Eine
Anekdote aus Eric Idles Memoiren, die
illustriert, was den Kern des Python-
Humors ausmachte: die permanente
Bereitschaft, zu weit zu gehen.
Dieser Wille zur Grenzüberschrei-
tung war es, der die BBC-Erstausstrah-
lung von „Monty Python’s Flying Cir-
cus“ am 5. Oktober 1969 zu einem Wen-
depunkt in der Fernsehgeschichte ma-
chen sollte. Die Bedeutung
der Show war damals weder
an ihrer Reichweite zu mes-
sen – sie wurde spätabends
gezeigt und von der BBC
nicht beworben –, noch dar-
an, dass sie mit Stars aufwar-
ten konnte. Nur John Cleese
hatte Ende der Sechzigerjah-
re bereits einen gewissen Be-
kanntheitsgrad. Python be-
stand vielmehr aus jungen,
aber bereits erfahrenen TV-
Comedy-Autoren, die sich
selbst ihr Wunschmaterial
auf den Leib schrieben. Das
Ergebnis war eine Show, wel-
che in einer Zeit, in der Sub-
version noch nicht zum Co-
medy-Standardrepertoire
gehörte, das Fernsehen in bis
dahin nie dagewesener Wei-
se mit seinen eigenen Mit-
teln sabotierte.
Monty Python’s Flying Circus zweck-
entfremdete die Konventionen des Me-
diums: Mal wurde der Vorspann ans En-
de gesetzt, und das Ende irgendwann
mitten in der Sendung gezeigt. Oft führ-
te die Show bekannte Formate ad absur-
dum, indem sie etwa ein Stück Holz zum
Gast in einer Talkrunde machte. Die Sen-
dung unterlief alle Prinzipien herkömm-
licher Comedy-Shows. Es war keine sau-
bere Abfolge separater Sketche, die auf
eine Pointe zusteuerten, sondern eher
eine Aneinanderreihung absurder Mo-
mente. Die Sendung verband surrealisti-
sche Lust am Nonsens mit der ungerühr-
ten Boshaftigkeit der großen Python-
Vorbilder Peter Cook und Spike Milli-
gan. Autoritätsfiguren wie Polizisten,
Richter, Offiziere oder „die Spanische In-
quisition“ waren Hauptziele dieser Art
anarchischer Satire. Und immer wenn
es schien, als führe eine Szene ins
Nichts, schoben sich die anMad Magazi-
negeschulten Animationen Terry Gilli-
ams mit ihrem ebenso komischen wie
verstörenden Körperhorror ins Bild.
Ein besonders hartnäckiges Klischee
besagt, Monty Python sei „typisch briti-
scher Humor“. Das greift zu kurz. Im Ver-
einigten Königreich verlaufen die Gren-
zen der Begeisterung für diese aus Pri-
vatschul- und Oxbridge-Absolventen
bestehende Gruppe vielmehr großen-
teils entlang klassengesellschaftlicher
Demarkationslinien. Wenn etwa eine
Oma, gespielt von Terry Jones, in einer
fiktiven Rateshow eine absurd kompli-
zierte philosophiehistorische Frage kor-
rekt mit „Henri Bergson“ beantwortet,
und sich als Preis einen „Schlag auf den
Kopf“ wünscht, bedient diese Mischung
aus Bildungshuberei, Slapstick und krei-
schenden Männern in Frauenkleidern
eine Komiknische, die vielen kindisch
und prätentiös vorkommt. Wer aber den
selbstreferentiell-unreifen Studenten-
humor der Junior Common Rooms engli-
scher Eliteuniversitäten kennt, fühlt
sich in dieser Nische ganz zu Hause.
Deshalb eignet sich Monty Python
auch nur bedingt als Volksgut. Trotz sei-
ner Zitierfähigkeit, besonders der Fil-
me, („Sie wissen schon, Sie
wissen schon!“; „Er ist nicht
der Messias, er ist nichts wei-
ter als ein unartiger Bengel!“)
ist das Python-Material zu
eigenartig, zu stachelig, um
je ganz vom britischen Hang
zur Nostalgie vereinnahmt
werden zu können. Natürlich
waren die Liveshows der ver-
bliebenen Python-Mitglie-
der im Londoner O2 vor fünf
Jahren binnen Sekunden aus-
verkauft. Und doch werden
die familienfreundlichen
Sketche von Duos wie Eric
Morecambe und Ernie Wise
oder Ronnie Barker und Ron-
nie Corbett im Vereinigten
Königreich immer ein noch
breiteres Publikum finden.
Legendär ist auch der grandi-
os gescheiterte Versuch der
Redenschreiber Margaret
Thatchers, 1990 eine Parteitagsrede
durch Zitate aus dem „Papageien-
sketch“ aufzupeppen, der vielleicht kon-
ventionellsten Python-Nummer. Das Er-
gebnis war hochpeinlich. Python verwei-
gerte sich der politischen Aneignung.
Monty Python’s Flying Circus verän-
derte das Fernsehen, weil Palin, Jones,
Gilliam, Chapman, Cleese und Idle alle
Regeln kannten und sie alle brachen.
Die surreale Sprachkaskaden eines Ed-
die Izzard, Serien wie „Little Britain“,
„The Mighty Boosh“ oder „The League
of Gentlemen“ wären ohne sie nicht
denkbar gewesen. Selbst Kunstfiguren
wie Ricky Gervais’ David Brent oder
Steve Coogans Alan Partridge verdan-
ken ihre Fremdschämorgien der von
Monty Python vorangetriebenen Erwei-
terung dessen, was im Fernsehen akzep-
tabel war. Die Pythons bahnten also den
Weg, ohne dabei je einen Ansatzpunkt
zur Imitation zu bieten. Kein Komiker
kann sie ignorieren, keiner kann sie ko-
pieren. Darum bleibt Monty Python’s
Flying Circus auch nach einem halben
Jahrhundert das, was es von Anfang an
war: vollkommen einzigartig.
Aus „Monty Python’s Flying Circus“ ist
dieSzene gut erinnerlich, in der eine ge-
meine junge Frau Familienfotos zerreißt,
die ihr eine ältere Dame zeigt. Jählings,
wie direkt aus der Hölle, erscheinen da
drei rotgewandete Kardinäle der Spani-
schen Inquisition. In den Kerker schlep-
pen sie aber die Oma, die ratlos fragt, was
man ihr vorwerfe, und höhnisches La-
chen erntet. Weil sie nicht gesteht, wird
sie ausgesuchten Grausamkeiten unter-
worfen, mit einem weichen Kissen ge-
stupst und in dencomfy chairgesetzt,
den gemütlichen Sessel: „Dort bleiben
Sie sitzen, bis es Zeit für den Lunch ist!“
Monty Python, das war anarchischer,
absurder, rabenschwarzer Humor. Die
Komiker schonten niemanden und wur-
den dafür geliebt. Aber man stellt sich
mit Frösteln vor, sie würden erst heute
anfangen, in einer Zeit, in der die Men-
schen so überaus gern beleidigt sind, spe-
ziell die neue Gattung der stets vorwurfs-
vollen Überkorrekten.
Männer, die sich als hässliche Frauen
verkleiden! Frauen, die sich als Männer
verkleiden, um bei der Steinigung zuse-
hen zu dürfen! Sketche, in denen sich
fremde Kulturen von sehr dubiosen Sei-
ten zeigen! Eindeutig auftretende homo-
sexuelle Soldaten! Ein toter Papagei („Die-
ser Papagei ist tot!“ „Nein, er ruht sich
nur aus!“)! Nicht die Spanische, sondern
die digitale Inquisition würde über Mon-
ty Python hereinbrechen und ganz ande-
re Folterwerkzeuge bereithalten als den
comfy chair. Denn nichts fürchten Eiferer
mehr als Humor. joachim käppner
Niemand suche sich das freiwillig aus,
erzählt ein verschüchterter Talkshow-
gast einem Moderator in „The Mouse Pro-
blem“. Das Gespräch ist Teil eines Nach-
richtenbeitrags, der sich der Frage wid-
met, warum immer mehr Menschen in
England sich unwohl in ihrem Körper füh-
len und anders leben möchten: nicht
mehr als Menschen, sondern als Mäuse.
„Irgendwann merkte ich, dass ich mich
mit anderen Mäusen wohler fühlte“, ant-
wortet der Mann, gespielt von John Clee-
se, auf die Frage, wann er diese „Tenden-
zen“ erstmals bemerkt habe. Während
das BBC-Publikum 1969 wohl vor allem
über den ungewohnt schüchternen Clee-
se kicherte, karikiert die Gruppe im weite-
ren Verlauf der Sendung das gesellschaft-
liche Stigma, das Homosexualität damals
mit sich brachte, und macht sich über das
vermeintliche Privileg der Heteronorma-
tivität lustig. Anstatt die Anonymität des
Gastes zu wahren, wird der volle Name
und die Adresse von Cleeses Charakter
eingeblendet. Ein Psychiater schätzt das
„Mouse Problem“ vor allem wegen seiner
Illegalität als besonders attraktiv für jun-
ge Menschen ein. In einer Umfrage wer-
den dann Menschen auf der Straße zu
dem „sich verbreitenden sozialen Pro-
blem“ befragt. Die meisten reagieren
feindselig. Graham Chapman, der den
Sketch schrieb und selbst homosexuell
war, antwortet auf die Frage, wie er das
mit den Maus-Menschen finde: „Die kön-
nen ja nichts dafür, oder? Aber, äh, da
kann man nichts machen. Also, äh, ich
würde sie umbringen.“ theresa hein
Ein Kinderwagen, der alte Damen ver-
schlingt, ein riesiger Fuß, der guillotinen-
artig vom Himmel heruntersaust: Die
Animationen bei Monty Python sind wie
ein kurzer, verstörender Blick in eine Par-
allelwelt, in der nichts und niemand
sicher und alles möglich ist. Das Surreale
und Anarchische der Gruppe sind hier ins
Unendliche potenziert.
Ihr Schöpfer, Terry Gilliam, produzier-
te sie im Cut-Out-Verfahren, einer Tech-
nik, die in ihrem Wesen ziemlich genau
dem Komikkonzept von Monty Python
entspricht: Man nehme etwas (Anstand,
Religion, Logik), zerstöre es mit Inbrunst
und setze es zu etwas sehr viel Lustige-
rem zusammen. Man kann ihm dabei in
einem Youtube-Video (ein Ausschnitt aus
der Kindersendung „Bob Godfreys Do-It
Yourself Film Animation Show“) zuschau-
en. Ein paar Magazine mit interessanten
Motiven (am besten historische Figuren,
am besten in Uniformen), eine Schere
und eine Kamera, viel mehr brauche man
nicht, um zu animieren, erklärt Gilliam.
Das ist natürlich eine grobe Untertrei-
bung. Gilliams Animationen sind meister-
lich inszeniert, mit perfektem Gespür für
Timing und voll von dem fantastischen
Irrwitz, den auch seine späteren Realfil-
me prägen sollten. Den Vorwurf, seine
Bildwelten seien zu gewalttätig, entschul-
digt Gilliam in dem Video indes sehr ge-
schickt: Das Cut-Out-Verfahren erlaube
einfach nicht so elegante Bewegungen
wie gezeichnete Trickfilme – da müssen
die Füße notgedrungen mit Wumms vom
Himmel sausen. luise checchin
Allein wie John Cleese als Oberkellner auf
Deutsch „Wwunderrrbaar!“ sagt, als er
die amerikanischen Wirtshausgäste emp-
fängt und dazu seinen Körper auf altmit-
teleuropäische Weise servilst verbiegt,
allein das zeigt in einem Moment seine
ganze komische Kunst und seine interkul-
turelle Genialität. Er mag eigentlich die
Deutschen sehr, hat John Cleese immer
wieder erzählt, und er hat eine, nun, wun-
derbare deutsche Aussprache. Und eben-
diese versteckte Liebe hat sich immer wie-
der in gnadenlosen Humorattacken auf
die Deutschen ausgedrückt, wie sie dem
Verhältnis zwischen britischem und an-
geblich inexistentem deutschen Humor
eben angemessen sind.
In dem Wirtshaus-Sketch schlagen die
Kellner schuhplattlermäßig auf Schenkel
und Tische und skandieren extra anglizis-
tisch „In Bavaria, in Bavaria!“, dass den
Amerikanern bange wird, obwohl sie ja al-
les wunderbar finden müssen, bis sie am
Ende ihrer Tortur mit „Schweinewasser“
begossen werden. Der Sketch war Teil
der Sendung, die Monty Python 1971 für
den WDR in München drehten, und die
fast noch abgedrehter ist als die BBC-
Shows – als wollte man den Deutschen
noch einmal mehr Absurdität servieren.
Auch sonst wurden sie liebevoll bedacht,
etwa in Form des berühmten Fußball-
teams der Philosophen, das nicht recht
zum Abschluss kommt. Und Cleese mach-
te weiter in „Fawlty Towers“ – Völkerver-
ständigung mit Hitlerwitzen und der
sprichwörtlich gewordenen Devise:Don’t
mention the war! johan schloemann
Kann man sich wirklich totlachen? In
einem Sketch aus der TV-Serie „Monty
Pythons Flying Circus“ erfindet der Witz-
fabrikant Ernest Scribbler (Michael Pa-
lin) den Killer-Joke – und verstirbt sofort.
Das britische Militär sichert die Zeilen
und testet sie in witzgeschützten Bun-
kern auf ihre tödliche Wirkung. Spezialis-
ten übersetzen den Witz ins Deutsche,
aus Sicherheitsgründen jeweils nur ein
Worte. Im Zweiten Weltkrieg wird die
Witzwaffe dann zum durchschlagenden
Erfolg gegen die deutschen Truppen. Die
Soldaten lachen sich reihenweise tot.
Achtung, bitte nicht weiterlesen, wenn
Sie ein schwaches Herz haben! Aus doku-
mentarischen Gründen müssen wir nun
das Risiko eingehen und den angeblich
tödlichen Witz einmal hinschreiben. Er
lautet: „Wenn ist das nun Stück git und
Schlottermeyer? Ja! Bayerhund. Das oder
die Flipperwald gespütt!“ Ähm. Ist das
lustig? Gesundheitsgefährdend? Ganz si-
cher nicht, aber grandios absurd wie das
Meiste im Monty-Pythons-Kosmos. Der
Subtext ist nicht tödlich, aber treffend:
Den Witzkrieg haben die Briten ganz
bestimmt gewonnen. Als Reaktion auf
den tödlichen Witz der Briten arbeiteten
die Nazis dem Sketch zufolge zwar noch
fieberhaft in Peenemünde an einem Ver-
geltungswitz, doch die Zeilen „Der ver
zwei peanuts, valking down der strasse,
and von vas assaulted peanut“ rissen in
Großbritannien wirklich niemanden
vom Hocker. Zum Glück ist die „Witz-
kriegsführung“ laut Genfer Konvention
seitdem verboten. titus arnu
Ein paar Typen im Auftrag des Herrn tref-
fen auf ein Kaninchen. Nein, eigentlich
ist es kein Kaninchen, sondern das pure
Böse. Die „Ritter der Kokosnuss“, als die
Monty Python das mittelalterliche Britan-
nien auf der Suche nach dem Heiligen
Gral durchstreifen, glauben den Warnun-
gen zunächst nicht. Doch als sie sich der
Höhle nähern, die das Kaninchen be-
wacht, springt ihnen die flauschige Bes-
tie an die Gurgel.
Man bläst zum Rückzug. Drei der Re-
cken haben die Begegnung nicht über-
lebt, einer hat sich in die Rüstung ge-
macht, die anderen überlegen, was nun
zu tun ist. Ein Bogen ist nicht zur Hand,
aber gelobt sei der Herr, die Ritter haben
ja noch die Heilige Handgranate von Anti-
ochia!
In einem heiligen Buch, das Bruder
Maynard zur Inbetriebnahme der anti-
ken Waffe konsultiert, wird berichtet von
St. Atilla. Dieser hielt einst die Heilige
Handgranate hoch und sagte: „Oh Herr,
ich bitte dich, segne diese deine Handgra-
nate. Möge sie deine Feinde in Stücke zer-
reißen und in die Luft sprengen.“
Weltliche Macht kommt nicht vom Be-
ten allein, es muss schon auch ein biss-
chen knallen, so lautet die frohe Bot-
schaft. Theologische Symbole verweisen
auf Ewiges. Aber die Ewigkeit tritt oft
schneller ein, als man denkt. Nämlich
wenn König Arthur die heilige Zünd-
schnur zieht, assistiert von Galahad auf
„eins, zwei, fünf“ („Drei, Sir!“) hochzählt,
den Arm spannt und dann – Halleluja!
philipp bovermann
50 Fragen,
50 Antworten
zum
Geburtstag
finden Sie
online unter:
sz.de/
monty-python
Witzkrieg
ZumTotlachen
Halleluja
Die Heilige Handgranate
Inquisition
Die Anarchie der Beleidigung ist bewahrenswert
Mausmenschen
Wie man Diskriminierung lächerlich macht
Schnipp Schnapp
Terry Gilliams Animationen
Wwunderrrbaar
Deutschland, ein dankbares Humoropfer
DEFGH Nr. 230, Samstag/Sonntag, 5./6. Oktober 2019 FEUILLETON 17
Monty Python 1971 (von links nach rechts): Eric Idle, Graham Chapman, Michael Palin, John Cleese, Terry Jones und Terry Gilliam. FOTO: IMAGO
Sieg der Anarchie
Am 5. Oktober vor fünfzig Jahren schrieb die britische Komikertruppe Monty Python Fernsehgeschichte. Mit ihren Sendungen
und Filmen definierten sie in den Jahren danach, was lustig ist in Zeiten, in denen ein schlichter Witz nicht mehr reicht