Süddeutsche Zeitung - 05.10.2019

(Ron) #1
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E


s gibt eigentlich nur zwei The-
men, über die es sich zu reden
lohnt: Das eine Thema ist die Lie-
be, das andere der Tod. Deshalb
ist das Reden, deshalb ist die Auseinander-
setzung über die Organspende so bedeut-
sam, so gewichtig, tiefgreifend und exis-
tenziell. Es geht hier nämlich um beide
Themen, um die Liebe und um den Tod.
Es geht hier um Liebe in der Form der
Nächstenliebe; die Organspende ist Inbe-
griff der Solidarität und des Humanen. Zu-
gleich geht es um den Tod, der bei der Or-
ganspende immer im Raum steht; es geht
um den Tod des Spenders; dieser ist Vor-
aussetzung für die Organspende „post
mortem“, über die der Bundestag in den
nächsten Wochen zu entscheiden hat.
„Nach meinem Tod“ steht heute im Organ-
spendeausweis der Menschen, die für den
Fall des Falles ihre Erklärung zur Organ-
spende abgeben. Aber: Wann ist der
Mensch tot? Wie bereitet er sich darauf
vor? Wann darf also ein Organ entnom-
men werden? Das sind Fundamentalfra-
gen. Sie müssen fundamental diskutiert
und beantwortet werden.
Die „Explantation“, also die Entnahme
von Organen, von Augen, Herz, Niere oder
Gliedmaßen, aus einem Körper ist ein un-
geheuer massiver Eingriff in die körperli-
che Unversehrtheit, die auch dem sterben-
den und dem toten Menschen zusteht. Es
berührt daher die letzten Dinge, es be-
rührt Menschenwürde und Totenruhe,
wenn der Gesetzentwurf des Gesundheits-
ministers Jens Spahn mit der sogenann-
ten Widerspruchslösung jeden Menschen
zum potenziellen Organspender macht –
einen jeden, der einer Organentnahme
nicht rechtzeitig widersprochen hat.
Darf das der Staat? Darf er das Selbstbe-
stimmungsrecht des Menschen an sich zie-
hen, weil der sich nicht in klarer Weise ge-
äußert hat? Darf mich der Staat zwangs-
weise zum Organspender machen, nur
deswegen, weil ich es versäumt oder mich
geweigert habe, mich mit meinem eige-
nen Tod zu befassen? Weil ich es womög-
lich nicht verkraftet habe, mir meinen ei-
genen sterbenden, lebensunfähigen, to-
ten Körper vorzustellen? Darf der Staat
diese Scheu als angebliche Bequemlich-
keit bezeichnen und beiseiteschieben?
Darf der Staat stellvertretend für mich rati-
onal und nüchtern sein, weil ich es nicht
bin? Es gibt keine emotionaleren Themen
als die Liebe und den Tod. Darf der Staat
meine Beklemmung ersetzen durch seine
Entschlossenheit, Logik und Nützlich-
keitserwägungen? Darf er mich meiner Or-
gane entäußern, weil ich mich dazu nicht
geäußert habe?
Ein solcher staatlicher Zwangsakt passt
schon nicht zu dem Wort Spende. Eine
Spende, die nicht dem freien Willen ent-
springt, ist keine Spende, sondern verord-


nete, also erzwungene Solidarität. Der
Staat denkt ja auch nicht daran, einen Teil
des Vermögens eines Verstorbenen zu kon-
fiszieren, um es dem Welternährungspro-
gramm der Vereinten Nationen zur Verfü-
gung zu stellen – also einem guten Zweck,
der Lebensrettung. Auch hier ließe sich sa-
gen: „Der hätte ja rechtzeitig Widerspruch
einlegen können.“ Der Staat darf mir mei-
nen Körper nicht wegnehmen, er darf es
noch sehr viel weniger, als er Grundstücke
enteignen darf. Er darf es nicht einmal
zum allerbesten Zweck, auch nicht, um ei-
nen Mangel an Spenderorganen zu behe-
ben und Leben zu retten.

Wem gehört der Mensch? Er gehört sich
selbst. Der Körper gehört nicht dem Staat,
er gehört nicht der Gesellschaft. Er ist das
Aller-Ureigenste des Menschen. Der
Mensch hat nicht nur einen Körper, er ist
ein Körper. Der Mensch kann sich ohne sei-
nen Körper nicht denken. Und er ist nicht
nur Gehirn; das Gehirn ist ein Organ, kein
autonom lebendiges Wesen. Es ist nicht
hoch genug zu würdigen, es ist Selbsthin-
gabe, wenn ein Mensch im Fall des Hirnto-
des bereit ist, Organe zu spenden, um ei-
nem anderen, der ihm in der Regel fremd
ist, das Leben zu retten. Aber dieser Ret-
tungsakt darf nicht dekretiert werden. Es
würde dann aus einem Akt der Nächsten-
liebe eine staatlich befohlene Opferung.
Sterben ist ein Prozess. Die Organspen-
de verkürzt diesen Sterbeprozess. Das
geht nur mit der ausdrücklichen und frei-
en Zustimmung dieses Menschen. Schwei-
gen ist keine Zustimmung. Sie kann hier
auch nicht als Zustimmung interpretiert
werden. Das wäre Missachtung der Ehr-
furcht vor dem Sterben. Nun heißt es, ein
Widerspruch sei doch nur eine kleine Mü-
he; ein solches „Nein“ zur Organentnah-
me zu formulieren, sei daher jedem Men-
schen zuzumuten. Es wäre aber die Um-
kehrung jeglichen Rechtsverständnisses,
wenn man gezwungen würde, das Norma-

le, das Selbstverständliche, also die Ach-
tung von Integrität, Unantastbarkeit und
Selbstbestimmung durch eine Erklärung
erst sicherstellen zu müssen.
Darf ein Mensch gezwungen werden,
sich vor Augen zu halten, dass ihm die Au-
gen entnommen werden, dass sein Herz
ausgelöst wird, dass Gliedmaßen abge-
schnitten werden? Man mache sich nichts
vor: Wenn man sich selbst als Organspen-
der denken soll, hat man solche Bilder im
Kopf. Jeder Mensch hat aber das Recht,
vom Staat in Ruhe gelassen zu werden mit
solchen Bildern und den Fragen, die sich
damit verbinden. Ist das Feigheit? Selbst
wenn: Der Mensch darf auch feige sein.
Es gibt Menschen, die sich ihr Nein zur
Organspende hart erarbeiten. Sie arbeiten
sich in die Tiefen des Themas ein, spüren
Skrupel auf, posten Horrorvorstellungen
von den letzten Stunden des Organspen-
ders, in denen ihm womöglich Schmerzen
zugefügt werden. Sie haben Zweifel, ob sie
wirklich nichts mehr spüren, wenn sie für
hirntot erklärt worden sind; sie legen des-
halb Widerspruch ein. Es gibt andere Men-
schen, die weichen der Auseinanderset-
zung aus, sie informieren sich gar nicht –
und sagen Nein zur Organentnahme oder
aber gar nichts. Ist das eine Nein legitim,
das andere illegitim? Es ist ein Gewaltakt,
Menschen unter Druck zu setzen, sich Vor-
stellungen von Explantationen und Ampu-
tationen an seinem beatmeten sterben-
den Leib auszusetzen. Ein gesunder
Mensch, in Vollbesitz seiner Kräfte, wird
das vielleicht nicht so schlimm finden. Ein
Mensch, der in einer Lebenskrise ist, wird
das womöglich nicht aushalten.
Die Widerspruchslösung widerspricht
dem Hauptsatz des Grundgesetzes: Die
Würde des Menschen ist unantastbar. Der
Satz gilt auch im Sterben. Diese Würde ist
nicht staatlich explantierbar.

Heribert Prantl ist
Kolumnistund Autor der
Süddeutschen Zeitung.

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DEFGH Nr. 230, Samstag/Sonntag, 5./6. Oktober 2019 HMG MEINUNG 5


Letzte Dinge


Bei derOrganspende geht es um Fundamentalfragen
des Menschseins. Die Widerspruchslösung wird dem
nicht gerecht. Sie widerspricht dem Grundgesetz

VON HERIBERT PRANTL


HURZLMEIERMALEREI


Wem gehört der Mensch? Nicht
dem Staat,nicht der Gesellschaft.
Er gehört sich selbst

Das beste Team, die beste Marke, der beste Fahrer: Audi wird zum dritten Mal

Tr iple-Sieger der DTM. Wir gratulieren René Rast und den Audi Sport Teams.

Danke an Aston Martin und BMW für einen fairen Wettkampf


und danke an unsere Fans für all die Unterstützung. #DankeBesteFans


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