Sabine Rennefanz
Meinung
10 * Berliner Zeitung·Nummer 231·5./6. Oktober 2019 ·························································································································································································································································································
Die Achse
derVernunft
H
orst Seehofer hat sich auf den
Weggemacht,indieTürkeiund
nach Griechenland.Er spricht mit
den Verantwortlichen dortüber die
Flüchtlingskrise.ÜbtesichderBun-
desinnenminister imSommer 2018
noch darin, das innenpolitische
Klima aufzuheizen, so geht er jetzt
denanderen,denkonstruktivenund
verantwortungsvollenWeg.Gutso.
Quantitativ betrachtet geht es
nichtsosehrumdieBootsflüchtlinge
auf demMittelmeer,deren Dramen
uns im Sommer beschäftigten.Der
aktuell größteMigrationsdruck be-
stehterneutausderTürkeiüberGrie-
chenland. Dortkommen zuweilen
1000 Migranten an und landen in
völlig überfüllten, menschenunwür-
digenLagern–1000pr oTag.
Stimmte dieThese,dass der Bür-
gerkrieg vorbeiseiunddieMenschen
nach Syrien zurückkehren könnten,
dann würden nicht inJordanien un-
verändertknapp700000,imLibanon
knappeineMillionundinderTürkei
über 3,5Millionen Syrerausharren,
vielfach inBehausungen, in denen
kein Deutscher würde leben wollen.
Hinzukommt:Sowieder Zuzugvie-
ler Flüchtlinge bei uns innenpoliti-
sche Spannungen erzeugt, so tut er
diesauchindengenanntenStaaten–
obwohl sie ebenfalls islamisch sind.
DertürkischePräsidentRecepTayyip
ErdoganwirddasFlüchtlingsabkom-
men mit derEuropäischenUnion
nicht kündigen–weil dieTürkei da-
vonfinanziell profitiert.Derzeit aber
treibt er denPreis in die Höhe und
lässt die Grenzkontrollen offenbar
wenigergründlichausfallen.
Nein, Erdogans Idee,auf syri-
schemTerritorium Siedlungen für
Flüchtlinge zu errichten, ist aus völ-
kerrechtlichenGründen inakzepta-
bel. DieChancen für europäische
Strategiensindjedochgestiegen,seit
der Innenminister inItalien nicht
mehr Matteo Salvini heißt.Undsie
könntenweiter steigen,wenn statt
der flüchtlingsfeindlichen FPÖ die
österreichischenGrünen in dieRe-
gierung einzögen.So könnte eine in
derFlüchtlingsfragenichtunwichtige
Achse der Vernunft Rom–Wien–Ber-
linentstehen.SolltebeimEU-Innen-
ministertreffen am 8.Oktober ein
Mechanismus für dieVerteilung von
Bootsflüchtlingen beschlossenwer-
den,andemsichnochmehrStaaten
als bisher bekannt beteiligen, dann
könnte dies dieBlaupause für eine
neue EU-Flüchtlingspolitik sein, ge-
stütztvonderkommendenEU-Kom-
missionschefinUrsulavonderLeyen.
EsöffnetsichvielleichteinZeitfenster
miteinereinmaligenChance.Umes
zunutzen,müsstensichKonservative
und Linke inSachen Migration auf-
einanderzubewegen.
Es gibt es in derFlüchtlingsfrage
keineLösungen,dienichtaufKosten
unserer humanitären Standards
oderdesgesellschaftlichenFriedens
gehen.Eswäreschonvielgewonnen,
wennesgelänge,demThemadurch
vorausschauende und ausglei-
chende Politik dasVerhetzungspo-
tenzial zu nehmen.Gerade Horst
Seehoferkönntedazuaufseinealten
Tageeine Mengebeitragen.
Flüchtlingsabkommen
Markus Decker
hofft auf Horst Seehofers
Sinn fürVerantwortung.
Es wär eschon viel
gewonnen,wenn
es gelänge,dem
Thema durch
vorausschauende
und ausgleichende
Politik das Verhet-
zungspotenzial
zu nehmen.
DerWartungsservicewarda. HEIK OSAKURAI
Vonwegen
Win-win
D
er 18. Juni markierteine Zäsur.
An diesemTag, einemDienstag,
hat der rot-rot-grüneSenat das
Eckpunktepapier beschlossen,
dasdie GrundlagefürdenMietendeckellie-
fert. DerSenathatsichfüreinbeherztesRe-
gulieren eines aus demRuder gelaufenen
Wohnungsmarktes entschieden. Eines
Marktes,aufdemderKapitalismusseitJah-
renseinhässlichesGesichtzeigt.WasderSe-
natandiesem18.Junibeschlossenhat,war
mutig, einStatement gegenProfitgier und
für eineStadt, die Platz und(Wohn)-Raum
für alle bieten will.Balsam für dieSeelen
nichtnurvonlinkenSozialromantikern.Und
trotzdem wirft diese Idee ein schlechtes
Licht auf denSenat, denn so schnell das
Thema MietendeckelFahrtaufgenommen
hat, so schnell haben sich dieKoalitionäre
auch schon wieder im politischen Klein-
Klein verfahren. Undmittendrin steht der
Regierende BürgermeisterMichael Müller
(SPD),derdabeikeineguteFigurmacht.
ImKerngehtesumdieFrage,obd ieMie-
ten nur eingefrorenwerden, wie es derRe-
gierendewill,oderobzuhoheMietenkorri-
giertwerdenkönnen.SowillesdieLinke,die
in den Gesetzentwurfeinen sogenannten
Absenkungsanspruch aufnehmen ließ.So
sollfestgelegtwerden,dass Mietenoberhalb
desDeckelsauchnachträglichnochgesenkt
werdenkönnen.UndgenausohatderSenat
das Papier dann auch beschlossen.Nurwill
der Regierende Bürgermeister davon nichts
wissen.
MichaelMüllerwilldieAbsenkungsklau-
sel nicht, er hält sie nicht fürrechtssicher,
denMietendeckelmiteinersolchenZusatz-
klausel für überfrachtet.Unddamit geht er
auch hausieren,vorallem außerhalb des
parteipolitischenDiskurses.Gerade erst er-
Mietendeckel
Arno Schupp
staunt, wie sich der
Berliner Senat das Leben schwer macht.
teilte Müller derAbsenkungsklausel in ei-
nem Interview mit demZentralen Immobi-
lienAusschuss,demSpitzenverbandderIm-
mobilienwirtschaft, eineAbsage.Natürlich
sehrzumVerdrussvielerLinker.
DieaktuelleDebatteunddieArt,wiesie
geführtwird, zeigteinmalmehr,wietiefdie
Verwerfungslinien sind, die sich durch das
Regierungsbündnisziehen–vorallemzwi-
schen Sozialdemokraten und Linken, zwi-
schen Müller undStadtentwicklungssena-
torin KatrinLompscher.Mülleragiertdabei
jedoch alles andereals umsichtig.Er hat
sich vonden Linken in eineEcke drängen
lassen,ausdererkaumwiederherauskom-
menkann.DennwennsichderRegierende
unddieSPDdurchsetzen,wirdamE ndeüb-
rigbleiben,dassbeimMietendeckelfürdie
Berlinermehrdringewesenwäre,wenndie
SPDnurmutigergewesenwäre.Übrigblei-
benwir dauch,dassMüllerseinWortnicht
gehaltenhat.SchließlichistdasEckpunkte-
papierzumMietendeckelam18.Juniim Se-
nat beschlossen worden, und ein solcher
Beschluss muss auch eineBedeutung ha-
ben.InVergessenheitgeratenwirddagegen,
dass es eigentlich die SPD war,die das
Thema Mietendeckel überhaupt erst ange-
schobenhat.
Dergroße Profiteur einer solchenSitua-
tionwär edieLinke ,diederSPDdasThema
quasidurchdiekalteKücheabgeluchsthat.
Siegehtmit ei nerM aximalforderung in die
Debatteundfeiertsichdafür:„Andersalsin
Parisoder München sollen inBerlin alle
MenscheninderganzenStadtwohnenkön-
nen.WirsindmitdemMietendeckelVorrei-
ter in Deutschland und ab nächstemJahr
wirdesw ieder möglich sein, innerhalb der
Stadt umzuziehen“, heißt es auf derHome-
page derPartei. Und:„I nden nächstenWo-
chenwirdesd araufankommen,gemeinsam
mit aller Kraft standzuhalten gegen die An-
griffeandererParteienundderImmobilien-
lobby.“Sow irdder Regierenderein argu-
mentativsogarnochindieNähederImmo-
bilienlobbygerückt.
DieDritten imRegierungsbündnis sind
die Grünen.Weitgehend unauffällig und im
Windschatten der großenDebatte sind sie
dabei,redenmalhier,maldort,niezupolari-
sierend. Vielleichtauch,umdieaktuellsehr
gutenUmfragewertenichtzuriskieren.
EineWin-win-Situation wie denEntwurf
zumMietendeckelsozuv erdrehen,dassam
EndeVerlierer rauskommen–dasmussman
erst einmal hinkriegen.DemBerliner Senat
istdas Kunststückgelungen.
WennElternmal
nichtüberdie
Kinderreden
N
eulich war ich mit meinemMann zum
erstenMalseitder Geburtunsereszwei-
ten Kindes abends allein aus.Das erste Mal
seitzweieinhalbJahren. Ganzschönlang,ich
weiß.
Daswarnichtgeplant,eshatsichsoerge-
ben.MeineElternhattenmichdamalsinder
ObhutmeinerGroßelternoderTantengelas-
sen,ichselbsthabenurwenigeErfahrungen
mitBabysitterinnen.
AlsunsererstesKind,unserSohn,ein Jahr
altwar ,fandichübereineWebsiteeineFrau
namensElsie,sie stammte ausNeuseeland.
Elsie kam, als meinSohn schon schlief.Ich
erklärte ihr umständlich, was sie zu beach-
ten habe,falls er aufwachsen sollte,soa ls
handele es sich um einenKatastrophenfall,
der niemals eintreffen durfte.Mein Mann
und ich stahlen uns hinaus,wir ließen das
HandynichtausdenAugenundkehrtenauf
die Minute genau zurück.Jemand hat mal
gesagt, Babysitter seien wie Münzfernspre-
cher:Ist das Geld alle ,ist die Zeit um. Elsie
gingirgendwannnachNeuseelandzurück.
UnsereTochter wurde geboren, und die
Babysitter-F rageüberfordertemich.Aberes
istdochganzeinfach,sagteeineHamburger
Bekannte.DafürgebeesAgenturen.
SiehatteeineVollzeit-Nannyangeheuert,
eine Frau aus Sachsen, die beiBedarfauch
überNachtblieb .Über3000EuroproMonat
kostet das.Nacht-Nannys seien ein neuer
Trend, las ich beiInstagram.Aber werwill
sichdasschonleisten?Wirwolltenjanurje-
mandenfürmanchmal.
KOLUMNE
AlsmeinMannund ich jetzt zum ersten
Malnachder Geburtunserer Tochterabends
ausgingen,passteeineguteFreundinaufun-
sereKinder auf.DerAbschied war erstaun-
lichleicht.„VielSpaß“,riefmein Sohn.
MeinMannundichliefenhinaus,wirwa-
rennervöswiebeimerstenDate.Wirgingen
ineine CocktailbarinderNachbarschaftund
setztenunshin.Wasjetzt?MeinMannblät-
terteinderKarte,ichguckteaufsHandy.Ich
schrieb meinerFreundin, dass sie sichvon
meinemSohnnichtzutextenlassensolle.Sie
schriebmirzurück,ichsollemaldasHandy
weglegen.Siehatteja recht,abereswargar
nichtsoeinfach.
Zu Hause werden wir ständig unterbro-
chen, einVierjähriger und eineZweijährige
habenvielzusagen.AmEndeeinesjedenTa-
gesschauenwiraufeinenRestehaufenabge-
brochenerSätzeundnichtzuEndegeführter
Gedanken.
Ichfühlte mich unterDruck, hatte mir
vorgenommen, dass wir an unserem freien
Abend in derBarnicht über dieKinder re-
den. In einer Studie hatte ich gelesen, dass
sich sechzigProz ent der GesprächevonEl-
ternumd ieKinderdrehenunddassdasdie
Beziehungruiniere.SechzigProz ent.
Icherinneremich an eine Szene aus der
Serie„ModernFamily“. Da sitzen Cameron
und Mitchell, dieElternder kleinen Lilly,
zum erstenMalseit langem imRestaurant,
und sie haben sichvorgenommen, nicht
überLillyzureden.Esistschwierig,dennei-
gentlich wollen sie über nichts anderes als
Lillyreden.EinergucktunterdemTischauf
sein Handy,guckt wieder hoch und fragt:
„WassagstduzuSyrien?“„Syrien?“,sagtder
andere.„Ja,echtschlimm.“
Ichnehme einen Schluck.Mein Mann
lobt,wietollunserSohnmitunsererFreun-
din auskommt.Ichwill ihn erst rügen und
übereinanderesThemareden,zumBeispiel
über denBrexit. Aber dannreden wir doch
überunsereKinder.DerBrexitmusswarten.
PFLICHTBLATTDER BÖRSE BERLIN
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AUSLESE
Emigration und
Immigration
V
ordreißigJahrenerschiendasBuch
schoneinmal.EswurdezumKlassi-
kerüberdenZusammenbruchdesKom-
munismus inMitteleuropa.DerHanser-
Verlaghatesjetztwiederherausgebracht
miteinemaktuellenNachwortdesAutors.
Timothy Garton Ash, geboren 1955, un-
terrichtet „EuropäischeStudien“ in Ox-
fordund Stanford. Er kennt dieProtago-
nisten vonvor dreißig
Jahrenunderkenntdie
heutigen.Demspäte-
renungarischenMinis-
terpräsidenten Viktor
OrbánzumBeispielbe-
gegneterimApril
das erste Mal, als der
„hitzige,schwarzbär-
tige Anführer der Jun-
gen Demokraten“ er-
klärte,Ungarnsolleaus
dem Warschauer Pakt
austreten.
Ashs Buch vondamals belegt, dass
man damals keineswegs an den unauf-
haltsamenSieg der samtenenRevolutio-
nen glaubte.Inseinem Nachwortzitiert
AshVáclavHavel,denerstenPräsidenten
der postkommunistischenTschechoslo-
wakei,der,alserindiePragerBurgeinzog,
erklärte:„Wir fangen als Helden an, aber
amEnde,wennsiemerken,wietiefwirin
Schwierigkeitensteckenund wie wenig
wir dagegentun können,werden sie uns
geteertundgefedertausderStadtjagen.“
DieWirtschaftskrise von2008 hat, wo
nicht die liberaleWeltordnung, doch das
Vertraueninsie untergraben. Autoritäre
Ordnungenhabenseitdemüberallinder
Welt an Attraktivität gewonnen. Ash
nenntsieeine„antiliberaleKonterrevolu-
tion“.„Befördertdurchdiespektakulären
Eigentore,diederWestenschoss–imIn-
nern,inderFinanzkrise,undnachaußen,
imIrak.“
Gleich zu Beginn seines Nachwortes
weist Ash auf einen gerne übersehenen
Sachverhalt hin: die Massenemigration.
Zwischen 1989 und 2017 emigrierten
rund 27 Prozent der Bevölkerung Lett-
lands.Ein Fünftel der Bulgaren verließ
sein Heimatland.Kaum warRumänien
der EU beigetreten, zogen drei Millionen
Rumänenum.FürdasGebietderehema-
ligen DDR gilt Ähnliches.2019, schreibt
Ash, befand sich die Bevölkerung in Ost-
deutschlandauf dem Niveau von1905.
„Esistleichter,dasLandzuwechseln,als
dasLandzuverändern.“ArnoWidmann
TimothyGarton
Ash:EinJahrhun-
dertwirdabge-
wählt,Hanser,
544 S., 26 Euro.