Die Welt - 21.09.2019

(Rick Simeone) #1

D


er DFB war auf alles vorbereitet,
die Rechtsordnung war eindeutig.
Also schrieb Präsident Dr. Her-
mann Gösmann am 25. Juni 1962
an seine Kollegen im Vorstand:
„Der weitere Weg ist m. E., daß Herr Herberger
gegen Tilkowski gem. § 18 der Rechtsordnung
vorgehen würde, und zwar vor das Bundesge-
richt. Ich verweise auf § 18 Ziffer d, wo auch Ver-
fffahren gegen DFB-Angehörige vor dem Bundes-ahren gegen DFB-Angehörige vor dem Bundes-
gericht eingeleitet werden können ...“ Auch eine
Privatklage sei möglich, doch nicht zu empfeh-
len, da „vermutlich sämtliche
Nationalspieler als Zeigen er-
scheinen müssten.“

VON UDO MURAS

Das traurige WM-Aus von
Chile hatte ein kaum bekanntes
Nachspiel. Der ehrwürdige Bun-
destrainer Sepp Herberger,
WWWeltmeistermacher 1954, wareltmeistermacher 1954, war
„tief erschüttert“ über die ver-
meintlichen Verleumdungen
Hans Tilkowskis und trug sich
mit dem Gedanken, seinen Tor-
wart anzuklagen. Ein unerhörter
VVVorgang in Folge der WM, beiorgang in Folge der WM, bei
der Tilkowski einen Tag vor dem
ersten Spiel den Zweitliga-Tor-
hüter Wolfgang Fahrian vor die
Nase gesetzt bekam. Dass Til-
kowski das mit Gelassenheit er-
tragen hätte, wie es in den letz-
ten Elf-Freunde-Tagen noch er-
wartet wurde, wäre glatt gelo-
gen. Er erklärte sofort seinen
Rücktritt aus der Nationalmannschaft, forder-
te den Reisepass, um heimfliegen zu können,
und ließ seine Wut am Zimmermobiliar aus.
Tilkowski schrieb in seinem Buch „Und ewig
fffällt das Wembley-Tor“: „Einer der Stühleällt das Wembley-Tor“: „Einer der Stühle
steht mir im Weg, als ich ins Zimmer stürzte.
Mit aller Kraft, die einen Ball bis in den gegne-
rischen Strafraum befördert hätte, trete ich
den Stuhl quer durch den Raum. Daraus wird
dann in einigen Presseberichten, der randalie-
rende Tilkowski habe im Trainingsquartier der
deutschen Mannschaft das Mobiliar zerlegt. Da
war nicht viel zu zerlegen.“
Es sind Geschichten wie diese, die dieser Ta-
ge, die von einer heftigen Torhüter-Debatte im
deutschen Fußball geprägt sind, wieder präsent
werden.
Marc-André ter Stegen, der Keeper vom FC
Barcelona, hatte mit einer öffentlichen Klage
über seine Reservistenrolle im Nationalteam ei-
nen Disput auch mit Kapitän Neuer ausgelöst.
Daraufhin hatten auch die Bayern-Bosse Uli
Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge mit
scharfen Worten in die Debatte eingegriffen, ter
Stegens Aussagen kritisiert und von den Verant-

wortlichen der Nationalmannschaft mehr Rü-
ckendeckung für Neuer gefordert. DFB-Direk-
tor Oliver Bierhoff hatte die Attacken der
Münchner Klubführung zurückgewiesen.
Der Unmut war groß. Auch damals – bei Hans
Tilkowski. Er konnte sich auch nach der Lan-
dung nicht beruhigen und gab der „WAZ“ ein In-
terview, das Herberger in der Seele schmerzte.
So seien die Spieler „über seine Maßnahmen
und Anordnungen, die sich manchmal wider-
sprachen, verärgert und manchmal auch belus-
tigt“ und mit seiner Taktik sei „niemand einver-

standen gewesen“. Ein nie da gewesener Affront
im Hause DFB.
Der Bundestrainer schrieb seinem Präsiden-
ten: „Ein Mann, den wir für einen Kameraden
hielten, hat aus Schäbigkeit und Profitgier alles,
was uns seit Jahren hoch und heilig war, be-
schmutzt.“ Die Verleumdungsklage ersparte
Herberger allen Beteiligten, erst nach einein-
halb Jahren kam es zur Versöhnung und Til-
kowski schickte ihm sogar eine Weihnachtskar-
te. 1966 stand er im WM-Finale, wenn auch un-
ter einem anderen Trainer. Nicht immer ging es
so gut aus wie beim ersten deutschen Torwart-
Zoff, denn wenn Nationaltorhüter um ihren
Platz fürchten oder sich übergangen fühlen,
schlagen die Emotionen hoch. Wie jetzt im Fall
Manuel Neuer/Marc-André ter Stegen, der mitt-
lerweile auf anderer Ebene ausgetragen wird
und weit größer geworden ist als der zwischen
den Rivalen. Schon Tilkowski hatte mit Fahrian
kein Problem, „zwischen uns hat es keinen
Streit und kein böses Wort gegeben.“
So ähnlich war es auch in den 60ern, als Re-
kord-National-Torhüter Sepp Maier (95 Län-
derspiele) regierte. Weitgehend unangefoch-

ten, auch weil die starke Bayern-Lobby um
WWWeltklasse-Libero Franz Beckenbauer imeltklasse-Libero Franz Beckenbauer im
Team das Sagen hatte. Hinter Maier versauer-
ten in Nationalelf und Verein ein gutes Dut-
zend Rivalen.
Der Mönchengladbacher Wolfgang Kleff, bei
der WM 1974 sein Vertreter, kam ihm noch am
nächsten und 1973 zu vier Einsätzen in Folge,
weshalb Maier seine Patzer bei einem 5:5 auf
Schalke damit begründete, dass die Presse Kleff
so „hochgelobt“ habe, was ihn beschäftigt habe.
Bundestrainer Helmut Schön ließ ihn daraufhin

bei zwei Spielen zu Hause, da er „so ein
schlechter Reservist“ sei. Kleff kam trotzdem
nie an ihm vorbei und trug sein Los mit Humor.
Gern erzählte er diesen Witz: „Sepp Maier hat
seinen Dackel erschlagen. Der machte dauernd
‚Kleff, Kleff‘“.
Selbstbewusster war da schon der Schalker
Norbert Nigbur, der 1975 offen sagte: „Er wird
mir nicht verdenken, dass ich, zumal ich bedeu-
tend jünger bin als er, Nationaltorwart werden
will“. Irrtum! Maiers Antwort: „An mich kommt
natürlich keiner heran, es gibt halt nur einen
Sepp Maier.“ Sticheleien, die in einer anderen
Medienzeit nur kleine Wellen schlugen. Nach
Maiers Ausscheiden 1979 nach einem Autounfall
begann die Ära Toni Schumacher, und nun wur-
de es heftig.
Der impulsive Rheinländer wurde auf Anhieb
Europameister und regierte bis 1987 meist un-
umstritten. Vor der WM 1986 erwuchs ihm je-
doch im Hamburger Uli Stein ein echter Rivale,
der so gut hielt, dass Teamchef Franz Becken-
bauer ihm angeblich versprach, bei der WM in
Mexiko zu spielen. Davon gingen vor dem Ab-
ffflug beide Keeper aus, es musste also einen ver-lug beide Keeper aus, es musste also einen ver-

bitterten Verlierer geben. Es traf Stein, der sich
daraufhin in der Halbzeit des Spiels gegen Uru-
guay mit freiem Oberkörper auf der Bank sonn-
te. Offenkundige Verdrossenheit, die zum Eklat
ffführte. Das Team war gespalten, und als Steinsührte. Das Team war gespalten, und als Steins
eher spaßig gemeinter Spruch vom „Suppenkas-
per“ Beckenbauer denunziert wurde, führte das
zum Rauswurf. Was Tilkowski verwehrt blieb,
bekam Stein: ein Rückflugticket.
Er war nicht nur auf den Trainer sauer, Stein
und Schumacher verband eine herzliche Abnei-
gung, die Steins Rückkehr unmöglich machte.

Wir lesen in den Biografien beider dies: „Schu-
macher witterte die Gefahr, er zog alle Register
des Psychoterrors inklusive persönlicher Diffa-
mierungen in den Medien um die Hausmacht zu
behalten.“ (Aus Uli Stein: „Halbzeit – Eine Bi-
lanz ohne Deckung“). Schumacher ließ sich in
seinem berühmten „Anpfiff“ 1987 über ihn so
aus: „Stein kennt vor allem unfaire Methoden,
also sitzen seine Hiebe vor allem unter der Gür-
tellinie. Ich bat den Co-Trainer, außerhalb der
Blick- und Giftzone des hasserfüllten Mitspie-
lers Stein trainieren zu dürfen.“
Danach wurde es wieder etwas respektvoller,
was nichts an der Grundproblematik änderte,
dass es für zwei nur einen Posten gab. Und
wenn auch zwischen Eike Immel und Bodo Ill-
gner kein böses Wort fiel, zeugte es nicht von
WWWertschätzung, dass Immel 1988 sofort zurück-ertschätzung, dass Immel 1988 sofort zurück-
trat, als Beckenbauer mal auf den Jüngeren
setzte. Während Illgner schon mit 21 zur Num-
mer eins aufrückte, musste Oliver Kahn bis 29
warten, ehe er Andreas Köpke endlich ablösen
durfte, nach drei Turnieren auf der Bank. Dabei
sagte er schon 1996: „Berti Vogts weiß genau,
dass ich nicht zur ewigen Nummer zwei tauge.

Bei der WM 1998 will ich spielen.“ Mit freundli-
chen Grüßen an Köpke, der trotzdem spielte.
Aneinandergerieten sie nur einmal: Als Kahn
auf ein Testspiel gegen Saudi-Arabien verzichte-
te – er sollte nur eine Halbzeit ran –, äußerte
Köpke sein Unverständnis.
Mit Jens Lehmann gab es da ganz andere
WWWortgefechte. Lehmann schob Frust, bis zurortgefechte. Lehmann schob Frust, bis zur
WM 2006 war er die „ärmste Sau“ der deut-
schen Torwart-Geschichte, musste er doch bei
vier Turnieren in Folge die Bank drücken. Vor
der EM 2004 hielt er es nicht mehr aus „Ich hät-
te es verdient, wieder mal zu
spielen, weil ich sechs Jahre ge-
wartet und auch die Leistung ge-
bracht habe. Meine Leistung ist
konstanter. Ich kann jetzt wirk-
lich nicht sagen, dass einer bes-
ser ist als ich.“ Auf die Frage, wa-
rum er mit Kahn nicht rede, sti-
chelte der damalige Meister-Tor-
wart von Arsenal London: „Ich
wüsste nicht, was wir reden soll-
ten. Ich habe keine 24-jährige
Freundin, ich habe ein anderes
Leben.“
Für Kahn hatten Lehmanns
AAAussagen „Kindergartenniveau“,ussagen „Kindergartenniveau“,
und solange Rudi Völler ihn auf-
stellte, war alles gut. Dann kam
Jürgen Klinsmann, und Lehmann
witterte Morgenluft. „Bei der
WM stehe ich im Tor“, prophe-
zeite er schon im Oktober 2004
und schien mehr zu wissen als al-
le anderen. Denn es kam so. Als
Klinsmann die Entscheidung zwei
Monate vor der WM verkündete,
rechnete alle Welt mit Kahns Rücktritt. Doch
der „Titan“ bewies Größe, gab extra eine Pres-
sekonferenz und blieb im Team.
So erlebte das Berliner Olympiastadion einen
der bewegendsten Momente im Verhältnis
deutscher Torwart-Rivalen. Vor dem Elfmeter-
schießen gegen Argentinien reichte Kahn Leh-
mann die Hand und sprach ihm Mut zu. Seine
Erklärung ist bemerkenswert: „Ich hatte das
Glück, als 13-Jähriger Helmut Schmidt als Vor-
bild zu haben. Er wurde 1982 durch ein Miss-
trauensvotum vom Bundestag abgewählt. Es
gab einen Moment, den ich immer im Kopf tra-
ge: als Schmidt durch die Reihen marschierte
und als großer Staatsmann Helmut Kohl, sei-
nem Nachfolger und Kontrahenten als Bundes-
kanzler, die Hand reicht. Das war ein Moment
der Größe, der sich bei mir eingeprägt hat. Wie
klein wäre es 2006 gewesen, nicht zu Jens zu ge-
hen. Ich sagte zu ihm: ‚Das ist jetzt dein Mo-
ment. Nutze ihn, bring uns weiter.‘“
Lehmann brachte sie weiter, aber nicht ins Fi-
nale. Und so sagte Kahn ein halbes Jahr später:
„Mit mir wären wir Weltmeister geworden.“
Torhüterwunden heilen eben etwas langsamer.

Der Fußball schreibt viele Geschichten. Gerade in diesen Tagen wieder, in denen sehr viel und teilweise auch sehr emotional über zwei deutsche Torhüter debattiert wird – Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen

GETTY IMAGES

/TIM RIDLEY

Der EWIGE Streit


um das Tor


So gut deutsche Torhüter seit Jahrzehnten auch sind, Reibereien


untereinander haben Tradition. Nicht immer ging es so gut aus wie beim


ersten deutschen Torwart-Zoff. Denn wenn Nationalspieler um ihren Platz


fürchten oder sich übergangen fühlen, schlagen die Emotionen hoch


Ewige Rivalen in den 80er-Jahren: Toni
Schumacher (l.) und Uli Stein

Zu Beginn der 90er-Jahre waren Bodo Ill-
gggner (r.) und Andreas Köpke Konkurrentenner (r.) und Andreas Köpke Konkurrenten

PICTURE-ALLIANCE / DPA

/LREI

PICTURE-ALLIANCE / DPA

/DPA

Oliver Kahn (l.) musste vor der WM 2006
JJJens Lehmann weichenens Lehmann weichen

PICTURE-ALLIANCE / SVEN SIMON
Manuel Neuer (l.) und Rivale Marc-André
ter Stegen

AFP/GETTY IMAGES

/ JONATHAN NACKSTRAND

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21.09.19 Samstag, 21. September 2019DWBE-HP


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