Die Welt - 21.09.2019

(Rick Simeone) #1

AUTORIN


Dass Katja Eichinger viel liest, wird dem, der ihre Berliner Wohnung betritt, sofort klar. Auf dem Tisch im Wohn-
zimmer liegen mehrere aufgeschlagene Bücher, vor Kurzem hat sie ihre alten Kinderbücher geschickt bekommen.
Es sei faszinierend zu sehen, was für ergreifende viszerale Eindrücke das Lesen in einem Kinderkopf hinterlasse.
Eichinger ist kurz nach dem Abitur nach London gegangen, sie habe einige Jahre ein „völlig englisches“ Leben
geführt, so erkläre sich auch ihre Liebe zu J.G. Ballard und Ted Hughes, auch zeitgenössische englische Schrift-
steller wie Hanif Kureishi oder Ian McEwan schätze sie. Englisch scheint auch, denkt man, wenn man ihr gegen-
übersitzt, ein lässiger Blick auf Oberflächen zu sein, das Verständnis, dass Popkultur genauso Erkenntnisquelle
sein kann wie die Klassiker. Gerade bringt Katja Eichinger, erzählt sie, eine Mini-Kollektion von Sweatshirts he-
raus: „Poetic Sweaters“ sind bedruckt mit Zitaten der Dichterinnen wie Sappho, Emily Dickinson und Aphra Behn,
um weiblichen Stimmen mehr Gehör und Sichtbarkeit im Alltag zu verschaffen.

Katja Eichinger,


AUTORIN


BIOGRAFIE IN BÜCHERN


K.EICHINGER

32


21.09.19 Samstag, 21. September 2019DWBE-HP


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32 DIE LITERARISCHE WELT DIE WELT SAMSTAG, 21. SEPTEMBER 2019


(^3) Margaret Atwood: (^3) Margaret Atwood: 3
Lady Oracle
„Fänger im Roggen“ war das erste Buch,
was ich auf Englisch gelesen habe, das
zweite war „Lady Oracle“. Atwood hat mir
damit eine Art Fahrplan gegeben dafür wie
man als Frau existieren kann. Als Frau ist
es ja ansonsten völlig normal, sich mit ei-
nem männlichen Protagonisten zu identifi-
zieren, hier aber bekommt man von einer
Frau erzählt: von Lust am Drama, der Ver-
bindung von „E“ und „U“, Männerge-
schichten. Überhaupt ist ihr Humor groß-
artig, mit „royal porcupine“ und „astral-
travelling“. Mich beeindruckt, wie viel
Freiheit Atwood hier der weiblichen Prota-
gonistin gibt, ihr Leben völlig zu verän-
dern, auch wenn es um Dinge geht, die viel-
leicht unvernünftig sind. Eigentlich ist das
Buch eine große Ode an die Unvernunft!
6 J.G. Ballard: 6 J.G. Ballard: 6
Crash
Mein damaliger Nachbar in London hat
mir das Buch zu lesen gegeben, so habe
ich es entdeckt. Er hatte gehört, dass
mein Vater Unfallsachverständiger war.
Das Buch hat für mich eine Welt geöff-
net. Die Beschreibungen auch von West-
london, der A 40, die ich so oft langge-
fffahren bin. Ich liebe diesen dystopischenahren bin. Ich liebe diesen dystopischen
Blick auf die Welt, es ist unfassbar, wie
prophetisch Ballards Bücher sind in ihrer
Schilderung von Konsumkultur, emotio-
naler Vakanz und brodelnder Gewalt. Ich
hatte Ballard 2006 zu seinem letzten Ro-
man „Kingdom Come“ interviewt und
dachte, er hätte, so wie er die Verbindung
von Nationalismus und Konsum zieht,
seinen prophetischen Mojo verloren.
AAAber heute ist all das wahr geworden.ber heute ist all das wahr geworden.
J.G. Ballard ist für mich ähnlich wie An-
dddy Warhol jemand, der sich mit der Dun-y Warhol jemand, der sich mit der Dun-
kelheit des Menschen in der Konsumge-
sellschaft beschäftigt. Ich wünschte, ich
könnte heute mit Ballard reden!
4 Philip Roth: 4 Philip Roth: 4
Goodbye Columbus
Roth – da ist es, wo ich hin will, diese große
Genauigkeit der Sprache. „Der menschli-
che Makel“ von Roth ist das große Ziel was
ich nie erreichen werde. Erst nach dem
Buch habe ich begriffen, was Sprache kann.
111 Jacob und Wilhelm Grimm: Jacob und Wilhelm Grimm:
Märchen
Ich komme aus Kassel, ich bin aufgewach-
sen in der Brüder-Grimm-Straße, war auf
derselben Schule wie die Brüder Grimm
und die Vorfahrin meiner Schulfreundin
war die Märchenfrau, die den Brüdern
Grimm den großen Teil der Geschichten er-
zählt hat: Die Märchen waren also für mich
sehr präsent, sie haben eine riesige Rolle
gespielt in meinem Denken, auch „Tau-
sendundeine Nacht“ und russische Mär-
chen. Es gibt doch diese Idee von Joseph
Campbell, dass Mythen die DNA unserer
Kultur liefern, ich halte davon sehr viel.
Ebenso von der Idee des schönen Grauens,
die es dem Kind ermöglicht, sich mit der
Dunkelheit, mit Bedrohungen auseinander-
zusetzen. Märchen sind für ein Kind ja
mögliche Zukunftsszenarien. Die Wider-
sprüche des Lebens können wir durch Ge-
schichtenerzählen in eine Art Linearität
und damit Verständlichkeit packen.
2 Ulrich Plenzdorf: 2 Ulrich Plenzdorf: 2
Die neuen Leiden des jungen W.
Edgar Wibeau war mir ähnlich wichtig wie
Holden Caulfield im „Fänger im Roggen“.
Für mich war es das erste Mal, dass eine
Romanfigur so cool sein konnte und so tra-
gisch, ich hätte gern so jemand kennenge-
lernt. Noch dazu ist das Buch sehr witzig.
Für mich war es auch die erste Stimme aus
dem Osten, die ich wahrgenommen habe.
7 L 7 L 777 aura Mulvey: aura Mulvey:
Visual Pleasure and Narrative Cinema
Als ich am britischen Filminstitut Film-
theorie studierte, war Laura Mulvey meine
Tutorin. Sie hat mir beigebracht zu den-
ken. In England und Amerika ist sie eine
Ikone, ihr Text steht bei jedem Filmstudi-
um ganz am Anfang; in Deutschland kennt
sie kaum jemand. Sie stellt die ganze Phal-
lozentrik von Freud auf den Kopf, um
Mainstreamkino mit ihrem feministischen
Ansatz zu lesen. Bei ihr als Person haben
mich ihre große emotionale Offenheit und
absolute Genauigkeit im Denken faszi-
niert; bei ihr widersprechen sich Emotio-
nalität und Analyse nicht. Mulvey hat mir
wirklich eine Idee davon gegeben, was Fe-
minismus ist, dass er auch pleasurablesein
kann, dass die Auseinandersetzung mit Be-
gehren und Lust sehr wichtig ist.
9 Sappho: 9 Sappho: 9
If not Winter. Fragments
Ich finde, klassische Texte kann man auf
Englisch wesentlich besser lesen als auf
Deutsch, der leichte Singsang der Sprache
kommt besser rüber, was auch daran liegen
mag, dass, wenn man in Oxford oder Cam-
bridge Griechisch oder Latein studiert,
eben auch Griechisch oder Latein redet,
man lebt die Sprache.
1011 Ernest Hemingway: Ernest Hemingway: Ernest Hemingway: 00
Gesammelte Werke
Hemingway ist ein großer Lehrer für alle,
die schreiben: kurze Sätze, wenig Adjekti-
ve, auf den Punkt.
Protokoll: Mara Delius
8 J 8 J 888 ean Baudrillard: ean Baudrillard:
Foucault vergessen
Wir haben ja alle das Gefühl, dass wir ge-
rade in außerordentlichen Zeiten leben,
dass gewissermaßen die Robbespierre-
Phase der digitalen Revolution gerade an-
fffängt. Das zu verstehen, jenseits von denängt. Das zu verstehen, jenseits von den
Empörungsmechanismen, dafür ist Bau-
drillard so wichtig. Auch seine Idee der
Hyperrealität und der Satz „reality has
never interested anybody“. Wir geben uns
alle den Mythen hin, kollaborieren in un-
serer eigenen Selbsttäuschung. Baudril-
lard und Ballard gehören für mich zum
selben Biotop. Mit ihnen kann man anfan-
gen darüber nachzudenken, was das ei-
gentlich bedeutet, wenn fake peoplewie
die Kardashians zu ihrem eigenen Pygma-
lion werden und ihren Körper selbst mei-
ßeln und gleichzeitig wie Narzissus in ih-
rem eigenen Spiegelbild versinken. Was
macht das mit uns? Warum fasziniert uns
das so? Wahrscheinlich leben wir in viel
revolutionäreren Zeiten als uns bewusst
ist. Und es ist viel zu einfach, das alles nur
abzuwerten und lächerlich zu machen.
Sokrates’ „Ich weiß, dass ich nichts weiß“
müsste doch die Grundeinstellung eines
jeden Intellektuellen sein, alles andere ist
vermessener Machismo.
5
Ted Hughes:
Tales from Ovid
Das ist eines meiner absoluten Lieblingsbücher. Ovids „Metamorphosen“
hatte ich in der Schule übersetzt. In der Hughes Version sind Narziss und
Echo und Pygmalion besonders schön, seine Übersetzung hat mir die Poe-
sie wirklich nachgebracht. Mit Hughes’ Ovid-Übersetzungen habe ich auch
Zugang zu englischer Lyrik bekommen. Emily Dickinson zum Beispiel ist
mir dadurch erst erschlossen worden.
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