Die Welt - 21.09.2019

(Rick Simeone) #1
ist. Die Lisong-Quelle beispielsweise ist so
ein Geheimtipp. Die heiße Quelle nahe
Haiduan ergießt sich aus der Felswand di-
rekt in eine flache Stelle des Xiwulu-Flus-
ses. Tief in den Bergen des Südostens gele-
gen, muss man auf der Karte schon ein we-
nig suchen, bis der Finger über den Namen
gleitet. Keine Straße führt dorthin – aber
genau das ist natürlich der Reiz der Sache.
Immerhin, auf TripAdvisor ist die Quelle
gelistet, da kann es so schwer nicht sein,
dorthin zu kommen. Falsch gedacht: Es ist
schwer.
Der Weg zur Quelle führt über den Sout-
hern Cross-Island Highway und einige kur-
vige Wege, für die ein Allradantrieb nicht
schadet. An einem Gemüsefeld auf 1500
Metern liegt der unspektakuläre Start-
punkt des Pfades. Überraschend sind aller-
dings die Hunderte von Baumwollhand-
schuhen, die klamm vom Morgennebel
über den Seilen am Wegesrand hängen.
Der lokale Guide Xiu Yongfu, ein rüstiger
Rentner des indigenen Stammes der Bu-
nun, drückt jedem ein Paar Handschuhe in
die Hand: „Ohne geht es nicht.“

ABGESEILT: AM TAU IN DIE TIEFE

Die ersten 400 Höhenmeter geht es steil
bergab durch subtropischen Wald voller
Vogelgezwitscher, die Seile rechts und
links helfen dem Wanderer dabei, die vie-
len Wurzeln und Unebenheiten zu über-
winden. Nun erweisen sich auch die Hand-
schuhe als sinnvoll, denn ohne sie wären
die Handinnenflächen nach einer halben
Stunde bis aufs Blut wund gescheuert.
Kurz vor dem Ende des Abstiegs ver-
schwindet der Weg plötzlich scheinbar im
Nichts. Da runter? Über glattgewaschene
Felsen, dicke Wurzeln, Kies – und nur mit
zwei dicken Tauen zum Festhalten? Dass
man diesen Hängepartie durchaus bewälti-
gen und überleben kann, beweisen einige
Camper am Fuß des Abgrunds. Anderer-
seits: Vielleicht leben die ja auch schon seit
Wochen da unten? Wäre es so, sie hätten
zumindest genug Wasser. Es ist sogar so
viel, dass die Wanderer zu guter Letzt auch
noch eine kleine Schwimmstrecke einlegen
müssen. Der Xiwulu-Fluss ist an trockenen
Tagen kein großes Hindernis, nun aber
heißt es, bis zur Brust durch das eiskalte
Gebirgswasser waten oder schwimmen
und am gegenüberliegenden Ufer noch-
mals Hunderte Meter über Felsen den
Fluss entlangklettern.

ABGEBRÜHT: BAD IN DER QUELLE

Beim Anblick der Quelle freilich ist die An-
strengung erst einmal vergessen, denn op-
tisch gibt die Lisong-Quelle alles: Damp-
fend schmeißt sich das heiße Wasser von
der 50 Meter hohen Felswand in die
Schlucht, es fällt über unwirklich türkis-
weiße Marmorierungen, die genauso gut
aus der Palette eines modernen Künstlers
stammen könnten. In einem Seitenbecken
des Flussbetts liegen schon ein paar Wan-
derer, die sich ihre müden Beine einmal or-
dentlich durchkochen lassen.
Nur ein paar Strudel gurgeln vor sich
hin, die Vögel zwitschern, und das Wasser
ist gerade so hoch, dass man sich flach hi-
neinlegen kann. Einfach für immer dablei-
ben und in den warmen Fluten liegen, das
ist für einen Moment eine wirklich ange-
nehme Vorstellung. Nicht nur, weil es in
der Schlucht gar so idyllisch ist. Im Hinter-
kopf wartet die Gewissheit, dass der Rück-
weg bergauf auch nicht leichter wird. Gut,
dass der wortkarge Guide gleich einen gan-
zen Sack Vorräte dabeihat. „Stärkung für
den Rückweg.“ Er selbst braucht das wohl
nicht: Ohne auch nur einmal anzuhalten
klettert er den Berg samt Kochgeschirr und
anderem Ballast herunter und später wie-
der herauf, baut eine Feuerstelle und kocht
erstaunlich lecker auf. In guten Zeiten
macht er den Weg täglich, sagt er.

ABGEFÜLLT: SCHNAPS VOM GUIDE

Später, nach der Rückkehr in den nahe ge-
legenen Weiler von Wulu, wo Xiu eine Pen-
sion betreibt, erzählt er doch noch ein biss-
chen von sich. Seit der Pensionierung ver-
treibt sich der Sechzigjährige die Zeit als
Trekking-Guide für Wanderer. Und nach
dem dritten Pfirsichschnaps wirft er noch
ein paar Details hinterher. Polizist sei er
gewesen, sein Leben lang, hier in der Mitte
von Nirgendwo. Jetzt kümmert er sich um
die Herberge, seine Kinder betreiben den
einzigen Laden weit und breit – und er
selbst setzt den durchschlagenden Pfir-
sichschnaps an, der den anstrengenden
Trekking-Tag ordentlich abrundet.
Ausländer sind übrigens eher selten bei
Xiu zu Gast. Während die Taiwaner mit Be-
geisterung ihre Berge entdecken, gilt die
Insel unter westlichen Hikern noch als ab-
soluter Geheimtipp. Und falls sie doch
kommen, ist der Alte bereit: „Die Strecke
schaff ich schon noch ein paar Jahre“, sagt
er, „wir Bunun sind die Sherpas Taiwans.“

TDie Teilnahme an der Reise wurde un-
terstützt von Taipei Tourism Office und
von Eva Air. Unsere Standards der
Transparenz und journalistischen
Unabhängigkeit finden Sie unter
http://www.axelspringer.de/unabhaengigkeit

TAIWANTAIWAN

TaipehTaipehTaipeh

Zhuilu-KlippenZhuilu-KlippenZhuilu-KlippenZhuilu-KlippenZhuilu-Klippen
Taroko-SchluchtTaroko-SchluchtTaroko-SchluchtTaroko-SchluchtTaroko-SchluchtTaroko-Schlucht

Southern Southern Southern Southern Southern
Cross-Island Cross-Island Cross-Island Cross-Island Cross-Island Cross-Island Cross-Island Cross-Island
Highway Highway Highway Highway Highway Highway Highway Highway

Hualien

Pazifik

CHINA

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Im Trekking-


WWWunderlandunderland


TAIWAN


D


ie Aussicht auf der Zhuilu
Old Road ist atemberau-
bend: hohe Gipfel vor blau-
em Himmel, so weit das Au-
ge reicht, dazwischen satt-
grüne Sträucher und sogar der eine oder
andere bunte Schmetterling. Unten im Tal
gluckert kristallklar der Liwu-Fluss zwi-
schen weißen Marmorfelsen. Nur dass nie-
mand so recht zu ihm herunterschauen
mag. Vom Wanderweg bis zur Talsohle sind
es gut 600 Meter steiler Abgrund. Ein dün-
nes Seil, mehr optischer als handfester
Halt, begrenzt den einen Meter breiten
Weg, der direkt in die Steilwand geschla-
gen wurde. Menschen mit Höhenangst
sind hier genauso falsch wie Wanderer mit
unsicherem Tritt. Alle anderen atmen ein-
mal ganz tief durch und wagen dann den
Spaziergang am Rande des Nichts.

VON FRANÇOISE HAUSER

Dabei beginnt der Pfad im Grunde ganz
harmlos: Gut zwei Kilometer geht es vom
Fluss aus durch subtropischen Wald den
Berg hinauf, über Hängebrücken und vor-
bei an den Grundmauern eines alten Dor-
fes bis zu den Zhuilu-Klippen. Noch 1914
endete der Weg hier. Doch um die Sied-
lungsgebiete der taiwanischen Ureinwoh-
ner besser kontrollieren zu können, ließen
die japanischen Besatzer den waghalsigen
Pfad in den Fels treiben.
Von den ursprünglich gut zehn Kilome-
tern der Zhuilu Old Road sind derzeit je-
doch nur noch etwas mehr als drei Kilome-
ter begehbar. Vor einigen Jahren hatten
sich während eines Erdbebens Felsbrocken
aus der Steilwand gelöst, die seither den
Weg just auf der schwindelerregenden Pas-
sage versperren. Gerne würde ihn die tai-
wanische Regierung wieder räumen lassen,
doch trotz wiederholter Ausschreibung
findet sich kein Unternehmen, das bereit
ist, diesen gefährlichen Auftrag anzuneh-
men. Für den Wanderer ist daher mitten an
der Wand Schluss. Wobei nicht jedem

Wanderer die spektakuläre Aussicht überWanderer die spektakuläre Aussicht über
die Taroko-Schlucht – sie ist mit 1660 Me-
tern eine der tiefsten Schluchten der Welt


  • vergönnt ist. Denn wer über den Zhuilu
    wandeln will, braucht eine Genehmigung.
    Lediglich 96 Menschen dürfen hier wo-
    chentags über eine Hängebrücke in Rich-
    tung Abenteuer starten, am Wochenende
    sind es 156. Zu groß ist die Gefahr, dass sich
    die Besucher sonst versehentlich gegensei-
    tig in den Abgrund drängen könnten.


ABGESCHIEDEN: KEINE REKLAME

Wer keinen der begehrten Startplätze für
die Zhuilu Old Road ergattert, muss nicht
zwingend umplanen – er ist nur einer von
vielen einsamen und wagemutigen Trek-
king-Trails und Wanderwegen auf der In-
sel. Berge gibt es ja genug: Wie ein einziger
Gebirgsblock ragt Taiwan schroff aus dem
Pazifik, mit hohen Gipfeln, die den Reisen-
den befürchten lassen, die Insel könne ei-
nes Tages einfach umkippen. In der Tat
bringt es Taiwan kaum auf die Größe von
Baden-Württemberg und doch drängen
sich mehr als 260 Dreitausender auf der
kleinen Insel. Dass sich gerade hier so dra-
matische Landschaften bilden, hat einen
einfachen Grund: Genau unter Taiwan
schiebt sich die pazifische Platte mit einer
Geschwindigkeit von gut 70 Millimeter pro
Jahr unter die Eurasische Platte und häuft
dabei das taiwanische Zentralgebirge auf.
Das Beste an dieser Wildnis ist: Noch bis
in die 90er waren große Teile der Bergre-
gionen militärisches Sperrgebiet, was ih-
nen nicht nur eine ungeheure Abgeschie-
denheit bescherte, sondern sie auch davor
bewahrte, im forschen Stil der 70er er-
schlossen zu werden. Kein Betonanlagen,
keine Reklame stört heute die Harmonie.

ABGELEGEN: AN DER LISONG-QUELLE

Sogar das Wort „Geheimtipp“ bedeutet in
Taiwan noch etwas. Manchmal sogar ein
bisschen mehr, als es dem Reisenden lieb

Anreise: Etwa mit China Airlines
(china-airlines.com) täglich von
Frankfurt nach Taipeh oder mit
Eva Air (evaair.com) via Paris.
Taiwan hat ein dichtes Zugnetz,
und mit den einheitlich gekenn-
zeichneten Bussen des Taiwan
Tourist Shuttle gelangt man von
vielen Stationen direkt in die
Nationalparks; es gibt auch eine
Taroko Route (von der Hualien
Railway Station bis Tianxiang),
http://www.taiwantrip.com.tw.

Trekking:Genehmigungen für
den Zhuilu-Trail können unter
https://npm.cpami.gov.tw/en/
index.aspxbeantragt werden
und kosten 200 NTD (sechs Eu-
ro); Informationen zum Taroko-
Trail unter http://www.taroko.gov.tw/
en/. Wer zur Lisong-Quelle wan-
dern will, braucht einen Guide;
der im Text genannte Xiu Yongfu
betreibt in Wulu Cun auch das
Xiama Homestay, DZ ab 50 Euro,
buchbar etwa über booking.com.

Unterkunft:In der Taroko-
Schlucht gibt es nur das Fünf-
Sterne-Haus Silks Place, DZ ab
2 20 Euro, https://taroko.silks-
place.com. Hualien ist der
nächstgelegene Ort mit einer
Vielzahl an Unterkünften.

Auskunft: taiwantourismus.de.

Tipps und Informationen


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21.09.19 Samstag, 21. September 2019DWBE-VP1


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    Belichter: Farbe:Belichter: Farbe:Belichter:


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21.09.1921.09.1921.09.19/1/1/1/1/Rei4/Rei4 PPLATE 5% 25% 50% 75% 95%

40 REISEN DIE WELT SAMSTAG,21.SEPTEMBER2019


Wilde Berge, heiße Quellen, steile Pfade:


Wer durch diese wildromantische


Landschaft wandert, sollte schwindelfrei


sein, abgebrüht – und trinkfest


FRANCOISE HAUSER (1); DPA PICTURE-ALLIANCE / J. T. WERNER; DPA PICTURE-ALLIANCE / ANDREAS ROSE

TTTaiwansaiwans
tiefe Täler:
Einige sind Orte
der Entspannung (o.), der
Anbetung (u.r.) und
der inneren
Einkehr (u.l.)

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