Die Welt - 21.09.2019

(Rick Simeone) #1
britischen Parlamentarier auch. Es gibt
bereits Pläne, was mit den dann freiwer-
denden Sitzen passieren wird: Der Groß-
teil soll leer bleiben, andere auf unterre-
präsentierte Länder verteilt werden.
Für Dance, der 2014 zum ersten Mal ins
Europarlament gewählt wurde, droht die
seit dem 2. Juli laufende Amtszeit histo-
risch kurz zu werden: nicht einmal vier
Monate könnte sie dauern. Weitere 69
britische Abgeordnete teilen das Schick-
sal des 37-Jährigen. Sie sind Parlamenta-
rier mit begrenzter Haltbarkeit, aus ei-
nem Land, das sich darauf vorbereitet, die
EU zu verlassen – und 29 von ihnen gehö-
ren ohnehin der Brexit-Partei an.
AAAbgeordneter auf Abruf, das klingtbgeordneter auf Abruf, das klingt
nach Café au Lait trinken und Zeit absit-
zen. Weit gefehlt, Dance zumindest läuft
aaauf Hochtouren. Selbst für ein kurzesuf Hochtouren. Selbst für ein kurzes
Treffen zum Händeschütteln findet er
kaum Zeit: Morgens um 9 Uhr vor der
Brexit-Debatte, schlägt sein Mitarbeiter
vor. „Tut mir leid, können wir es verschie-
ben?“, textet er am Vorabend. Auf dem
WWWeg in die Debatte könne er, heißt es ameg in die Debatte könne er, heißt es am
Morgen. „Ach nein, doch nicht.“ „Mo-
ment.“ 15 WhatsApp-Nachrichten später
ist klar; Dance kommt raus, nachdem er
seine einminütige Rede gehalten hat.
AAAber dann erscheint er doch nicht amber dann erscheint er doch nicht am
vereinbarten Treffpunkt. Die Klingel, die
im ganzen Haus zu hören ist, erinnert be-
reits daran, dass in zehn Minuten eine
AAAbstimmung ansteht, für die alle Abge-bstimmung ansteht, für die alle Abge-
ordneten wieder im Saal sein müssen. Wo
aaaber steckt Dance? Berlusconi lungert vorber steckt Dance? Berlusconi lungert vor
der Saaltür herum, Parlamentarier ren-
nen vorbei, aber kein Dance. Dann taucht
er endlich auf: glatt rasiert, im Anzug oh-
ne Krawatte und tipptopp frisiert steigt

E


s ist nur eine knappe Minute,
aaaber für Seb Dance sind esber für Seb Dance sind es
die vielleicht wichtigsten 60
Sekunden der Woche. „Herr
Dance für eine Minute“, sagt
die Versammlungsleiterin. Dance steht,
nein springt geradezu auf, und schlägt
gleich zu Beginn seines Beitrags aus Ver-
sehen das Mikrofon auf dem Pult vor ihm
zur Seite: „Ich will ganz deutlich sagen,
wo die Schuld für diesen Schlamassel
liegt“, sagt er zu den Plätzen gewandt, wo
die Abgeordneten der britischen Brexit
Party sitzen. „Sie behaupten, das briti-
sche Volk habe für Versorgungsengpässe
bei Medikamenten und Lebensmitteln
gestimmt. Das haben sie nicht!“

VON TOBIAS KAISER
AUS STRASSBURG

Das Europäische Parlament debattiert
den aktuellen Stand der Brexit-Verhand-
lungen. „Das Land, das ich liebe, ist bes-
ser als Johnson“, sagt Dance mit Verweis
aaauf Premierminister Boris Johnson, deruf Premierminister Boris Johnson, der
Großbritannien auf jeden Fall zum 31. Ok-
tober aus der EU führen will. Der Ton ist
aaauch in den anderen 73 Redebeiträgenuch in den anderen 73 Redebeiträgen
dringlich, denn ein harter Brexit ohne
vertragliche Vereinbarungen ist inzwi-
schen wahrscheinlich.
Es ist nicht die erste Brexit-Debatte im
Europaparlament; aber für Sebastian
„Seb“ Dance könnte es die letzte gewesen
sein. Der Abgeordnete der britischen La-
bour-Partei ist so direkt wie kaum jemand
vom Brexit betroffen. Sollte sein Heimat-
land tatsächlich nach dem 31. Oktober die
EU verlassen, würde er am nächsten Tag
sein Mandat verlieren – wie die übrigen

er über die Kordel, die den Zugang zum
Plenarsaal abtrennt.
KKKurzes Händeschütteln, ein wenigurzes Händeschütteln, ein wenig
Small Talk, dann ertönt um fünf vor zwölf
unerbittlich die Klingel – Zeit, um wieder
aaauf den Platz zu gehen. Ringsherum has-uf den Platz zu gehen. Ringsherum has-
ten jetzt Abgeordnete mit wehenden Sak-
kos aus Meetings und Gesprächen in
Richtung Plenarsaal. Während der Gene-
raldebatte waren nur wenige der 751 Plät-
ze besetzt, jetzt beinahe 700.
Bei der Abstimmung demonstriert das
Parlament Einigkeit. Mit einer Mehrheit
von 544 zu 126 Stimmen bekräftigt es sei-
ne bisherige Position: Einem Austritts-
vertrag mit Großbritannien wird es nur
zustimmen, wenn auf der irischen Insel
keine neue harte Grenze entsteht. Und
einer Verschiebung des Austrittsdatums
nur, wenn die britische Seite sich deutlich
bewegt.
Nach der Abstimmung sitzt Dance in
der Cafeteria direkt neben dem Plenar-
saal, die hier Member’s Bar heißt. Cap-
puccino trinkt er und einen Orangensaft.

„Eigentlich vermeide ich Zucker“, sagt er
und meint damit, dass er den Saft eigent-
lich nicht trinken sollte. „Aber das hier ist
meine tägliche Portion Vitamin C.“
Und dann vergisst er Saft und Kaffee
und redet los. Natürlich über den Brexit.
Zu relativer Berühmtheit hat Dance es
Anfang 2017 durch einen Stunt im Plenar-
saal gebracht. Während der britische
Ukip-Politiker Nigel Farage in einer Rede
die Politik von US-Präsident Donald
Trump verteidigte, hielt Dance dahinter,
gggut sichtbar für die Kameras, ein Blatt Pa-ut sichtbar für die Kameras, ein Blatt Pa-
pier in die Höhe: „He’s lying to you“ – Er
lügt Euch an – stand darauf in großen Let-
tern.
Derlei Aktionen sind umstritten, weil
sie aus Sicht vieler Parlamentarier dem
Ansehen des hohen Hauses schaden, den
Urhebern bringen sie aber Sendezeit und
Berichterstattung – und von beidem be-
kommen Europaparlamentarier wenig.
Dance tippt auf seinem Smartphone; sein
Pressereferent hat ihm gerade einen Clip
seines Redebeitrags von eben geschickt,

sogar mit Untertiteln. „Das macht er ganz
schnell“, sagt Dance. Und trotzdem ist er
unzufrieden: Auf den Tisch vor sich hatte
er extra eine britische und eine Europa-
ffflagge gestellt – die haben die Saalkame-lagge gestellt – die haben die Saalkame-
ras nicht eingefangen. Egal, der Clip geht
aaauf Twitter.uf Twitter.
Großbritannien mag auf dem Weg aus
der EU sein, der überzeugte Europäer
Dance lässt sich davon nicht beirren. Und
andere auch nicht: In dieser Legislaturpe-
riode wurde er zum Vizevorsitzenden des
mächtigen Umweltausschusses berufen.
Durch den muss ein großer Teil der EU-
Gesetzgebung von Lebensmitteln bis
VVVerkehr. Sein Terminkalender ist deshalberkehr. Sein Terminkalender ist deshalb
dichter getaktet als je zuvor, Brexit hin
oder her.
Am Vortag etwa hat sich Virginijus Sin-
kevičius mit ihm getroffen. Die designier-
te Kommissionspräsidentin Ursula von
der Leyen will den Litauer zum Kommis-
sar für Umwelt und Ozeane machen – ei-
ne Personalentscheidung, die vom Um-
weltausschuss abgesegnet werden muss.

Wie von der Leyen selbst schwärmen die
Kommissare deshalb über die Flure des
Parlaments, um am Rande der Sitzungen
fffür sich zu werben.ür sich zu werben.
„Er ist so jung und war schon Minis-
ter“, sagt Dance über den 28-Jährigen Li-
tauer. „Da fühle ich mich richtig unzu-
länglich.“ Er habe den Politiker der Grü-
nen- und Bauern-Partei auch auf LGBT-
Rechte angesprochen, sagt Dance, der mit
dem Labour-Strategen Spencer Livermo-
re verheiratet ist. Genauso wie den pakis-
tanischen Botschafter bei der EU, den er
zuvor getroffen hatte. Das mache er bei
allen Gesprächspartnern, in deren Hei-
matländern oder Parteien der Respekt ge-
genüber Schwulen, Lesben und anderen
Minderheiten zu wünschen lasse.
AAAuch heute ist Dance eng getaktet.uch heute ist Dance eng getaktet.
Über dem Mittagessen in der Kantine be-
spricht er Personalfragen. Anschließend
treffen sich alle Labour-Mitglieder im
Parlament. Abgeordnete und Mitarbeiter
mit Parteibuch nehmen teil, trotzdem ist
es nur ein kleiner Haufen, der im fenster-
losen Sitzungssaal N1.2 zusammen-
kommt. „Wir sind nicht mehr viele“, sagt
Dance. Zehn Labour-Abgeordnete sitzen
im Europaparlament, die britische Brexit
Party stellt fast dreimal so viele.
Das anschließende Treffen mit Michael
RRRussell, dem schottischen Minister fürussell, dem schottischen Minister für
Regierungsbeziehungen, findet zwei
Stockwerke höher statt. Diesmal kommt
wenigstens durch die Oberlichter Tages-
licht in den Konferenzraum. „Gibt es hier
keine Klimaanlage?“, fragt eine Teilneh-
merin. Anderswo reden Leute erst mal
üüübers Wetter, um sich warmzulaufen,bers Wetter, um sich warmzulaufen,
hier, wo viele Abgeordnete den gewalti-
gen Parlamentskomplex nur zum Schla-
fffen oder für ein Abendessen verlassen,en oder für ein Abendessen verlassen,
machen sie erst mal Witze über das Ge-
bäude, um die Stimmung aufzulockern.
WWWobei die Stimmung ohnehin gelöstobei die Stimmung ohnehin gelöst
ist; die Runde hat eine gemeinsame Agen-
da. Von allen britischen Parteien, die ge-
gen den Brexit sind, sitzt ein Vertreter am
runden Tisch: Labour, Liberal Democrats,
Grüne, Schotten und Waliser. Sie reden
nicht über den EU-Austritt, sondern auch
üüüber das mögliche Auseinanderbrechenber das mögliche Auseinanderbrechen
von Großbritannien.
Der Austausch mit dem schottischen
Minister wirkt dabei streckenweise wie
das Treffen einer Selbsthilfegruppe.
„„„Wenn es keinen Brexit gibt, wird die To-Wenn es keinen Brexit gibt, wird die To-
rrry Party zerbrechen“, sagt einer in dery Party zerbrechen“, sagt einer in der
RRRunde. „Das ist doch ein Lichtblick“, ent-unde. „Das ist doch ein Lichtblick“, ent-
gegnet die Vertreterin der Grünen. „Es
muss Römer gegeben haben, die sich so
gefühlt haben wie wir, bevor das Reich
zerbrochen ist“, sagt die Liberale Cathe-
rine Bearder. „Aber einen Vorteil hat das
Ganze, wir brauchen keine weitere Lan-
debahn am Londoner Flughafen.“
ZZZwei Stunden später sitzt Dance imwei Stunden später sitzt Dance im
Radiostudio des Parlaments. Er wird live
in eine Sendung von BBC 5 geschaltet. Es
geht – natürlich – um den Brexit. „Es ist
gggut, dass auch mal ein Brite zu Wortut, dass auch mal ein Brite zu Wort
kommt, der gegen den Brexit ist“, sagt
der Toningenieur. Die englischen Sender
wwwürden fast nur noch mit Abgeordnetenürden fast nur noch mit Abgeordneten
sprechen, die den Brexit befürworten, das
gelte selbst für die BBC.
AAAuch Dance weiß um seine Sonderrol-uch Dance weiß um seine Sonderrol-
le. „Ich bin einer der wenigen, die darauf
hinarbeiten, dass wir in der EU bleiben“
sagt er. Und wenn der Brexit am 31. Okto-
ber stattfindet? „Dann werde ich dafür
kämpfen, dass wir in die EU zurückkeh-
ren.“

Parlamentarier mit


begrenzter Haltbarkeit


Seb Dance ist Abgeordneter der Labour-Partei im Europaparlament.


Kommt der Brexit tatsächlich am 31. Oktober, verliert er sein Mandat.


Doch er reagiert typisch britisch – und macht weiter wie bisher


Eine Minute hat der britische Labour-Abgeordnete Seb Dance (stehend) für seine Rede im Europaparlament

FRED MARVAUX

/FRED MARVAUX

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21.09.19 Samstag, 21. September 2019DWBE-HP


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DWBE-HP

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6 POLITIK DIE WELT SAMSTAG,21.SEPTEMBER


bestätigten im berüchtigt korrupten Ru-
mänien, was die Bürger immer vermutet
hatten: (Fast) Jeder in Amt und Würden
ist käuflich. Sie bewies aber auch, was nie-
mals jemand geglaubt hätte: Man kann
aaauch jeden bestrafen, egal wie reich, egaluch jeden bestrafen, egal wie reich, egal
wie mächtig, wenn man nur will.
VVVon den sieben Bürgermeistern Buka-on den sieben Bürgermeistern Buka-
rests (ein Oberbürgermeister und sechs
fffür die Stadtteile) bekam sie sechs wegenür die Stadtteile) bekam sie sechs wegen
Schmiergeldern zu fassen. Nicht immer
war sie erfolgreich. Ex-Ministerpräsident
VVVictor Pontaictor Ponta, deswegen „Ex“ weil er 2015
wegen Kövesis Ermittlungen zurücktre-
ten musste, wurde 2018 freigesprochen.
Ponta gab damals auch den Vorsitz der re-
gierenden Sozialdemokratischen Partei
(PSD) ab. Sein Nachfolger Liviu Dragnea
wwwurde 2016 ebenfalls zum „Opfer“ derurde 2016 ebenfalls zum „Opfer“ der
Staatsanwältin und sitzt inzwischen hin-
ter Gittern.
AAAuf dem Höhepunkt ihres Schaffensuf dem Höhepunkt ihres Schaffens
standen permanent Kamerateams vor der
Pforte ihrer Behörde, um keinen spekta-
kulären Verdächtigen zu verpassen. Bei
allem Trubel um ihre Person prägt Köve-
sis Arbeitsstil aber vor allem ein ausge-
sprochener Teamgeist. „Das eigentliche
Erfolgsgeheimnis war ein Esprit de
Corps, ein geduldig aufgebauter Team-
geist in der DNA“, meint der Bukarester
Journalist Catalin Gombos. Mit ihren Er-
fffolgen machte sie sich mächtige olgen machte sie sich mächtige Feinde.

V


iel wurde über das Postengescha-
chere in der EU nach den Europa-
wahlen geschrieben. Aber über ei-
nen der potentiell einflussreichsten Pos-
ten wird erst jetzt entschieden: Die Lei-
tung der neuen Europäischen Staatsan-
waltschaft (EUSTA), die Ende 2020 oder
Anfang 2021 ihre Arbeit aufnehmen soll.
Diesen Posten soll die Rumänin Laura
Corduta Kövesi übernehmen. Bei einer
Probeabstimmung sprachen sich 17 der 22
Länder dafür aus, die sich an der neuen
Behörde beteiligen.

VON BORIS KÀLNOKY

Kövesi war von 2013 bis 2018 Chefin der
rumänischen Antikorruptionsbehörde
DNA. Der Ruf, den sie sich dort erworben
hat, ist einfach zu umschreiben: Niemand
ist härter als sie.
Ihre Geschichte wirkt wie erfunden für
einen Thriller. Jung, hübsch, gnadenlos.
2 006 die erste Generalstaatsanwältin in
der Geschichte Rumäniens, und damals
mit nur 33 Jahren zugleich die jüngste
Person jemals in diesem Amt. Schon ihr
VVVater war Staatsanwalt. 2013 kam sie anater war Staatsanwalt. 2013 kam sie an
die Spitze der DNA, und bald rollten die
Köpfe. Bürgermeister, Parlamentarier,
Minister kamen hinter Gitter. Und viele,
vvviele Richter. Kövesi und die zeitweiseiele Richter. Kövesi und die zeitweise
mehr als 120 Staatsanwälte ihrer Behörde

2 016 stellte sich heraus, dass frühere Mos-
sad-Agenten der israelischen Privatdetek-
tei Black Cube auf Kövesi angesetzt wor-
den waren, unter anderem um Emails ih-
rer Mitarbeiter zu hacken. Der Auftragge-
ber war nach Angaben von Black Cube
„die rumänische Regierung“ und das Ziel
„Aufdeckung von Korruption“. Alle Vor-
wwwürfe gegen sie erwiesen sich bislang je-ürfe gegen sie erwiesen sich bislang je-
doch vor Gericht als haltlos.
Klar war, dass die PSD-Regierung sie
loswerden wollte. Der konservative
Staatspräsident Klaus Johannis bestätigte
sie 2016 jedoch zunächst für drei weitere
Jahre im Amt. Ein Machtkampf entbrann-
te, den die Regierung gewann – sie wies
Johannis an, Kövesi aus ihrem Amt zu
entlassen, weil sie „dem Ansehen Rumä-
niens geschadet“ habe. Johannis musste
sich am Ende fügen.
Mit Johannis hat Kövesi einiges ge-
mein. Beide sind aus Siebenbürgen. Wie
Johannis startete Kövesi ihre Karriere in
Hermannstadt, wo er Bürgermeister war.
Dort heiratete sie einen Siebenbürger Un-
garn, dessen Familiennamen sie auch
nach der Scheidung 2007 behielt. Wie Jo-
hannis gilt sie als verlässlich, korrekt, effi-
zient. Mehr als 60 Prozent der Rumänien
vertrauen ihr. Das ergeben Umfragen, die
aaauch den Vergleichswert für das Parla-uch den Vergleichswert für das Parla-
ment liefern: Elf Prozent. Dass sie nun die
Leitung der Europäischen Staatsanwalt-

schaft übernehmen soll, empfindet man
vor allem in den korrupteren Eliten Ost-
mitteleuropas als Ankündigung eines po-
litischen Erdbebens. Ihre Ernennung
sieht zwar aus wie eine Geste gegenüber
der Region, die sich oft als zweitrangig be-
handelt fühlt: Sie ist doch aus dem Osten!
In Wahrheit aber dürfte sie gerade gegen
die gewieften Seilschaften osteuropäi-
scher Politiker und ihrer Geschäftsfreun-
de viel härter vorgehen als jeder Westeu-
ropäer. Sie kennt ihre Gewohnheiten aus
Erfahrung, und kann nicht als „arrogante
WWWestlerin“ angegriffen werden. Am meis-estlerin“ angegriffen werden. Am meis-
ten wird sie natürlich von der rumäni-
schen Führung gefürchtet, die zweitweise

ein Ausreiseverbot gegen sie verhängte –
vvvielleicht in der Hoffnung, sie vom Ent-ielleicht in der Hoffnung, sie vom Ent-
scheidungsprozess um die EUSTA-Füh-
rung fernzuhalten. Rumänien stellt sich
weiterhin vehement gegen ihre Ernen-
nung. Ungarn und Polen wollen vor-
sichtshalber an der neuen Behörde gar
nicht nicht teilnehmen. Bis zu seiner Ver-
haftung im Mai war Liviu Dragnea, ehe-
mals Vorsitzender der Sozialdemokrati-
schen Partei (PSD), wichtigste Kraft hin-
ter der Kampagne gegen Kövesi. Jenseits
von Rumänien, im Europaparlament, be-
kommt sie insbesondere von Konservati-
ven, Liberalen und Grünen Unterstüt-
zung. Die Europäischen Sozialdemokra-
ten (PES), zu denen auch die PSD gehört,
sind indes zurückhaltend mit Kritik am
Umgang mit Kövesi. Die europäische So-
zialdemokratin und EU-Abgeordnete Ana
Maria Gomes ist da eine Ausnahme.
Sie prangerte in einem Tweet Dragneas
Politik als „niederträchtig“ und „korrupt“
an und forderte den Ausschluss der rumä-
nischen sozialdemokratischen Partei aus
der europäischen PES. Von Seiten der
deutschen SPD-Abgeordneten war die
Unterstützung von Kövesi bestenfalls lau-
warm ausgefallen – offenbar aus Rück-
sicht auf die rumänische Schwesterpartei.
Die EUSTA – die ausschließlich in Fäl-
len ermitteln soll, die den Missbrauch von
EU-Geldern sowie grenzübergreifenden

Mehrwertsteuerbetrug betreffen – muss
mit bescheideneren Machtmitteln aus-
kommen müssen als sie Kövesi in Rumä-
nien gewohnt war. Dort konnte sie unmit-
telbar den Geheimdienst einschalten, et-
wa um Telefongespräche abzuhören.
Das war denn auch einer von zwei Kri-
tikpunkten gegen Kövesi und die DNA.
WWWenn der enn der Geheimdienst Politiker abhört,
um sie der Korruption zu überführen,
kann das leicht zu politischer Manipulati-
on führen. Der zweite Punkt: Kövesi ließ
so umfassend ermitteln, dass Projekte
mit europäischer oder staatlicher Unter-
stützung teilweise kaum mehr vom Fleck
kamen. Denn am Ende muss die Buchhal-
tung ja von den Behörden irgendwann ab-
schließend abgenommen werden, und das
zog sich oft deswegen ewig in die Länge,
weil die zuständigen Funktionäre Angst
hatten, zu unterschreiben. Sie riskierten
ja, dass die DNA bei einer Prüfung eine
Regelwidrigkeit entdeckte.
Da drohten dann ein Marsch in die
DNA-Zentrale vor laufenden TV-Kame-
ras. Bei der EUSTA werden die Geheim-
dienste nicht mitmischen. Die Behörde
kann keine Festnahmen veranlassen, nur
bei den nationalen Behörden beantragen.
Kövesis Härte dürfte also institutionell
gedämpft werden. Dennoch dürfte künf-
tig bei EU-finanzierten Projektenin vie-
len Ländern größere Vorsicht einkehren.

Die Frau, die zeigt, dass man jeden bestrafen kann


Laura Kövesi brachte in Rumänien die korrupte Elite vor Gericht. Die rächte sich und setzte sie ab. Nun ist sie zurück – als oberste EU-Staatsanwältin


Oberste EU-Staatsanwältin: Laura Kövesi

AFP/GETTY IMAGES

/ANDREI PUNGOVSCHI

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