Süddeutsche Zeitung - 21.09.2019

(Greg DeLong) #1
ZwillingeRaphael undNikolas, das Foto
ist ein paar Jahre alt. Inzwischen sind sie
schon acht. Dass man als Vater auch mal
Schmarrn machen kann, finde ich herr-
lich. Einmal wollte Clarissa am Wochen-
ende unbedingt Spiegelei, da bin ich ein-
fach ins Bad gegangen und hab den Spie-
gel abmontiert, und dann haben wir ihr
die Eier darauf serviert – bis heute ist das
der Running Gag der Familie. Beide
Jungs sind inzwischen sensationelle Ski-
fahrer, sie lieben schwarze Pisten. Nach-
dem ich zuvor dreißig Jahre nicht mehr
Skifahren war, muss ich mich ganz schön
ranhalten, um hinterherzukommen. Als
nicht mehr ganz junger Vater versuche
ich einigermaßen fit zu bleiben, das ist
auch ein Grund, warum ich jetzt Mara-
thon laufe. Zugleich lerne ich durch Ra-
phael und Nikolas noch mal ganz neue,
jüngere Leute kennen, die vierzigjähri-
gen Väter der Klassenkameraden.

Bill ClintonDas war vergangenes Jahr
bei uns in der Käfer-Schänke auf der
Wiesn, ein ganz schöner Auftrieb. Allein
die Security! Wenn ein ehemaliger ame-
rikanischer Präsident so einen Besuch
macht, wird das ganze Zelt vom Secret
Service durchleuchtet, die haben acht
Leute vorbeigeschickt, um alle Flucht-
wege zu untersuchen, jeden Eingang zu
checken. Aber dann, am Abend selber,
war alles relativ normal, Bill und Hillary
haben ihr Bier getrunken und ihr Hendl
gegessen, er in bayerischer Tracht mit
Lederhose und Weste, sie im Kostüm.
Bill Clinton gibt einem ja das besondere
Gefühl, dass er sich wirklich für dich in-
teressiert – selbst wenn das Gespräch
nur fünf Minuten dauert. Er hat mir er-
zählt, dass er als 24-Jähriger schon ein-
mal auf der Wiesn war. 2018 war er auf
Einladung von Maya von Schönburg-
Glauchau bei uns, die Schwester von Glo-
ria von Thurn und Taxis. Sie wusste,
dass sie Krebs hatte und wollte bei der
Feier ihres 60. Geburtstags noch einmal
ihre Freunde um sich haben, die Wiesn-
Einladung war ein Abschied für sie.
Dass die Clintons extra aus den USA an-
reisten, hat sie sehr gefreut.

FaschingDa war ich Faschingsprinz bei
der Narrhalla – und man sieht schon an
meinem Gesichtsausdruck, dass es kei-
ne ganz leichte Zeit war. Aber ich hatte
mich eben verpflichtet, auch weil mein
Vater sehr aktiv in der Faschingsgesell-
schaft war. Meine Prinzessin Stephanie
Heiden wirkt deutlich entspannter, sie
hat später übrigens einen echten Fürs-
ten geheiratet! Ich weiß noch, wie wir
Anfang 1983 wochenlang in der ganzen
Stadt unterwegs waren, wir fuhren mit
der Prinzengarde von Veranstaltung zu
Veranstaltung. Für einen, der nicht so
gerne ganz vorne im Rampenlicht steht,
ist das eine Herausforderung. Ich erin-
nere mich an einen Auftritt mit der Narr-
halla im Olympiastadion vor 50 000
Menschen beim Spiel des FC Bayern ge-
gen Fortuna Düsseldorf, da war die Höl-
le los, wir kriegten das Mikrofon in die
Hand gedrückt und mussten da irgend-
einen Schmarrn erzählen, gemeinsam
mit den Düsseldorfer Narren und Franz
Josef Strauß, dem damaligen Minister-
präsidenten. Das schlimmste Erlebnis
war der Termin bei der Nymphenburger
Sektkellerei, wo ich als Faschingsprinz
einen Humpen austrinken musste. Ich
trinke ja selten Alkohol, deshalb hat mir
das den Rest gegeben, ich war danach ta-
gelang krank. Zum Glück macht man so
was nur einmal im Leben.

ClarissaMeine Frau, mein Glücksfall!
Wir haben uns vor 13 Jahren kennenge-
lernt. Vorgestellt hatte uns der Münch-
ner Musikmanager Monti Lüftner, ein
großer Netzwerker. Er rief bei mir an: Es
gebe da „zwei ganz tolle Mädels“, beide
Anwältinnen, die sich gerade beruflich
neu orientieren wollten. Zufällig suchte
ich eine Leiterin für das Rechnungswe-
sen. Daraufhin kam Clarissa, sie war
mir extrem sympathisch, aber überqua-
lifiziert für den Job; sie hätte gleich die
kaufmännische Leitung übernehmen
können. Wenig später sah ich sie wie-
der, am ersten Tag des Oktoberfests, sie
saß in der berühmten „Monti-Box“ in
unserer Käferschänke. Und dann ging al-
les ruckzuck, eineinhalb Jahre später ha-
ben wir in Fuschl geheiratet. Durch Cla-
rissa bin ich in meinem Leben angekom-
men. Sie hat eine ungeheuere Energie
und ist eine wunderbare Mutter.

LieblingsmannschaftDiese besondere
Beziehung der Bayern zu unserem Haus
besteht schon seit Beckenbauers Zeiten –
also seit es die Käfer-Schänke gibt. Hier
sieht man Manuel Neuer 2011 mit seiner
damaligen Freundin. Ich kann mich nur
an ein einziges Jahr erinnern, als der tra-
ditionelle Wiesnbesuch der Mannschaft
ausfiel – auf Anordnung des Vorstands,
weil die Bayern unter Louis van Gaal kurz
zuvor gegen Dortmund verloren hatten.
Ansonsten fühlen sich die Spieler und
Trainer sehr wohl bei uns. Erst gibt es die
obligatorischen Pressefotos auf dem Vor-
platz, da muss jeder durch, und dann kön-
nen sie in aller Ruhe ihre Maß trinken.

KindheitAufdiesem Foto bin ich viel-
leicht drei Jahre alt, das war im alten Ge-
schäft in der Schumannstraße in Mün-
chen-Bogenhausen. Mein Vater Gerd ist
sichtlich stolz auf mich, genauso wie die
Verkäuferinnen – rechts steht die Resi,
die Jahrzehnte bei uns gearbeitet hat. Wir
hatten damals Obst und Gemüse noch
draußen stehen. Weinfässer gab’s auch,
wie man hier sieht, die Kunden konnten
sich da ihre Flaschen abfüllen lassen, rich-
tig nachhaltig, würde man heute sagen.
Mein Großvater war ja ursprünglich
Weinhändler, er hat sich persönlich um
den Einkauf gekümmert. Die schwäbi-
sche Mentalität meiner Großeltern, die
1930 den Kolonialwarenladen gegründet
haben, war sehr prägend für mich, ob-
wohl ich in München geboren und aufge-
wachsen bin. Wenn ich an diese Zeit den-
ke, sehe ich meine Großmutter vor mir,

wie sie an Theke steht; sie war die graue
Eminenz des Geschäfts, ungeheuer flei-
ßig – erst mit 65 ist sie zum ersten Mal in
den Urlaub gefahren. Aus dem anfangs
bescheidenen Laden ist dann allmählich
das Unternehmen Käfer entstanden.
Wenn ich ehrlich bin, muss ich mir einge-
stehen: Ich habe zwar einige Reisen ge-
macht, aber bin nie wirklich rausgekom-
men aus Bogenhausen. Ich krieg zu
schnell Heimweh! An die Kindheit im
Feinkostgeschäft erinnere ich mich sehr
gerne zurück. Im Gegensatz zu anderen
Kindern brauchte ich keinen Kaufmanns-
laden als Spielzeug – ich lebte ja schon in
einem. Es drehte sich damals alles ums
Geschäft, um die Kunden. Ich weiß noch,
wie mein Vater nach dem anstrengenden
Weihnachtsgeschäft an Heiligabend
schon früh müde wurde; er schlief dann
zu Hause meist um neun Uhr abends ein.

FOTOALBUM


FreundschaftLinks von mir sitzt Peter
Schmuck, der früher Gastronom im
Münchner „Dürnbräu“ war, und rechts
Christian „Lemmy“ Hoffmann. Lemmys
Vater, Willi O. Hoffmann, war mal Präsi-
dent des FC Bayern, auch ein Stammgast
bei Käfer, daher die Connection. Wenn
wir es schaffen, gehen wir einmal im Jahr
wandern. Peter ist auch Patenonkel von
Raphael. Ich versuche, Freundschaften
zu pflegen, auch wenn das in meinem Be-
ruf nicht leicht ist. Umso schöner, wenn
wir endlich mal wieder zusammen sitzen.

HELL’S KITCHEN (XXXVI)


Meine Mutter ist einsehr wichtiger
Mensch in meinem Leben, wir hatten im-
mer ein enges Verhältnis. Sie ist jetzt
90 Jahre alt und leider nicht mehr fit, des-
halb wohnt sie jetzt bei uns in Bogenhau-
sen. Ich habe ihr auch extrem viel zu ver-
danken. Nach der Scheidung meiner El-
tern bin ich ja bei ihr großgeworden, in
dieser Zeit hat sie mir zuliebe auf viele
Dinge verzichtet. Von meiner Mutter ha-
be ich jedenfalls gelernt, Menschen zu
mögen. In meinem Beruf ist das eine Vor-
aussetzung, aber es fällt mir auch leicht.
Ich mag einfach die Menschen, mindes-
tens 90 Prozent sind völlig in Ordnung.
Und die anderen zehn Prozent sind mir
ehrlich gesagt wurscht. Das sind so The-
men, die mir meine Mutter früh beige-
bracht hat.

Freitagmittag in der Prinzregentenstraße: Draußen sitzen die Kunden des Feinkostgeschäfts auf den


Terrassenplätzen, es sind die berühmten milden Spätsommertage vor dem Oktoberfest. Auch Wiesnwirt


Michael Käfer, 61, hat vor dem großen Trubel etwas Zeit – für eine Reise in seine Vergangenheit.


Fast alle Fotos, die vor ihm liegen, sind in München entstanden, für Käfer die „schönste Stadt der Welt“


protokolle: christian mayer

RATTELSCHNECK


von christian zaschke

Ich verlasse Hell’s Kitchen nur ungern.
Warumauch? Es gibt hier ja alles. Den
Amish-Supermarkt zum Beispiel, der
einem Kaninchenbau gleicht. Regelmä-
ßig müssen dort Suchtrupps ausrü-
cken, um Touristen aufzugreifen, die
so tief ins Innerste des Marktes vorge-
drungen sind, dass sie tagelang den
Ausgang nicht finden. Meistens irren
sie bei den Regalen mit den hartgekoch-
ten Eiern oder denen mit Knäckebrot
herum. Neulich war das große Thema
im Viertel, dass einige Touristen in den
Bereich vorgestoßen seien, in dem die
eingelegten Anchovis lagern. Selbst
Stammkunden wagen sich dort nur
unter Begleitung einer Führerin hin.
Außerdem gibt es in Hell’s Kitchen
einen Friseurladen namens „Rafik
Barber Shop LLC“, in dem Robert mir
mit zitternden Händen Frisuren ver-
passt, ferner die exzellente Schrottbar
Rudy’s, von der aus verschiedenen
Gründen nicht verraten werden kann,
wo sie genau liegt.
Ich habe jahrelang meditiert, auf der
Suche nach den Pfeilern des Glücks.
Ich ging in meine Tiefen. Ich brütete
Tag für Tag, und dann, und so stelle ich
mir den Moment vor, in dem ein ange-
hender Zen-Mönch sein erstes Koan
löst – es handelt sich, sehr verknappt
gesagt, bei einem Koan um eine Art
Welträtsel –, fand ich diese drei Pfeiler:
verwinkelter Supermarkt, zitternder
Friseur, Geheimbar.


Wenn man in seinem Viertel diesen
Dreiklang gefunden hat, will man nicht
mehr weg. Außer mal für zwei, drei
Stunden, um durch den Central Park
zu spazieren. Nun trug es sich aber zu,
dass ich einst, es mag der Leichtfertig-
keit der Jugend geschuldet gewesen
sein, mit einer gewissen Zeitung einen
Pakt einging, der, ich paraphrasiere,
besagte, dass ich allerlei Artikel schrei-
be und die Zeitung mir dafür Geld gibt.
Im Prinzip ein tadelloses Arrangement,
aber es führt dazu, dass die Zeitung
alle naselang anruft und mich durch
Amerika schickt. In dieser Woche: nach
Washington, D. C.
Noch während der Hörer nach dem
Gespräch wieder der Gabel zustrebte,
raste ich zur Penn Station und bestieg
den Zug nach D.C. In diesem fand ich
den letzten freien Sitzplatz an einem
Vierertisch und begann ein Gespräch
mit meinen Nachbarn. Allerdings: Ich
war in den Ruhewagen geraten. Es
dauerte rund zwei Minuten, bis eine
Frau an unseren Tisch kam. „Ich will
hier nicht die Anwältin des Ruhewa-
gens sein“, sagte sie, obwohl sie exakt
das sein wollte, „aber das ist der Ruhe-
wagen, sie dürfen hier nicht sprechen.“
Ich lächelte höflich. „Sie übertreiben
vielleicht“, sagte ich, „wir reden ja nur
leise.“ „Ich übertreibe NICHT“, rief sie.
Ich schaute sie an wie ein Zen-Mönch,
der jüngst sein erstes Koan gelöst hat,
und lächelte noch höflicher. „SIE MÜS-
SEN SCHWEIGEN“, brüllte sie.
Ich hatte natürlich Reiseproviant
dabei, Knäckebrot, hartgekochte Eier
und eingelegte Anchovis. Wortlos bot
ich ihr davon an.


Schweigen


Alle naselang ruft diese
Zeitung beimir an und
schickt mich durch Amerika
FOTOS: IMAGO, PRIVAT (6), DPA (2)

50 GESELLSCHAFT Samstag/Sonntag, 21./22.September 2019, Nr. 219 DEFGH

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