Süddeutsche Zeitung - 21.09.2019

(Greg DeLong) #1

D


as waren noch Zeiten, als Brad
Pitt und Angelina Jolie ein Paar
waren! Die ganze Zeit konnte
man genüsslich neidisch sein – auf die
Schönheit, den Erfolg, und am wichtigs-
ten: die Klamotten. Aber jetzt müssen
wir uns, in Ermangelung solch galakti-
scher Verbindungen, mit einem neuen
It-Couple zufriedengeben: dem Popstar
Dua Lipa und Anwar Hadid. Weil das so
irre langweilig ist, überschlägt sich die
Modepresse online (Vogue USA) wegen
der Tatsache, dass die beiden neulich
auf der Burberry-Show in London einen
Styling-Fauxpas zum angeblichen neu-
en Top-Look erhoben haben – die Kom-
bination von Streifen und Karos. Wir
wussten nicht, dass Paare ihr Styling,
abgesehen von Hochzeiten, aufeinander
abstimmen müssen, auch wenn Brad
Pitt ja bekannterweise seine Frisur stets
an die der aktuellen Angebeteten anpass-
te. Unterbewusst natürlich. Im Fall Li-
pa/Hadid jedenfalls kann von einem
Bewusstsein irgendeiner Art gar keine
Rede sein. Eine Verbeugung vor der
Redakteurin, die sich diesen hanebüche-
nen Scoop aus den Fingerspitzen geso-
gen hat! So blieb ihr natürlich die Stilkri-
tik erspart, die wir hier übernehmen: ein
Streifenpulli über einem Bodysuit mit
Reißverschlüssen zu Tussitasche und
High Heels, echt jetzt? So was wäre noch
nicht mal dem Label Patrizia Pepe in den
Sinn gekommen, für das Dua Lipa vor
nicht langer Zeit als Testimonial fungier-
te. Aber jetzt ist sie ein sogenannter
Superstar, weil sie von einem Label wie
Burberry ausgestattet und in die erste
Reihe geladen wird. Oder vielleicht ha-
ben echte Superstars einfach keinen
Bock mehr auf Modenschauen, wer
weiß.julia werner


B


ei diesem holden Knaben mit
lockerem Haar handelt sich um
Anwar Hadid. Der Nachname
signalisiert es schon – wie seine omni-
präsenten Schwestern Gigi und Bella ist
auch Anwar mit seinen 20 Jahren Teil
der internationalen Model-Elite. Seit er
sich darüber hinaus mit der Sängerin
Dua Lipa datet, hat die Fashionwelt ein
neues Glamourpaar. Nun ist es aber,
gerade bei männlichen Mannequins,
nicht selbstverständlich, dass sie auch
ohne Stylist und Kleiderständer im Rü-
cken besonders fashionable wirken.
Nicht wenige Modelmänner pfeifen in
ihrer Freizeit auf jede diesbezügliche
Anstrengung – sie sind da wie Sportler
oder Rennpferde, die ihren Körper tags-
über mit Trainingsanzügen und Wärme-
decken behängen, um dann nur im rech-
ten Moment mit ihren Bodyparts zu
glänzen. Dieser legere Partnerlook nun
aber, mit dem die beiden Dekorativen
bei der Burberry-Show auftauchten, war
derVoguedoch eine eingehende Bespre-
chung wert. Gestreiftes und Kariertes
kongenial zusammengebracht! Ja, nun,
mag sein, egal. Aus Männerperspektive
ist die unkonventionelle Tragweise der
Jacke interessanter. Hadid hat sich die
Innenfutter der Burberry-Ärmel zur
Schärpe geknotet! So was wäre jeman-
dem, der nicht aus einer Modelfamilie
stammt, nicht mal im Kinderfasching
eingefallen. Der Knabe aber trägt’s im
sicheren Wissen, dass bei seinem derzei-
tigen Status jede Albernheit von irgend-
wem als genial und wegweisend empfun-
den wird. Ach, es muss sehr entspan-
nend sein, zu den It-Menschen zu gehö-
ren. Dann kann man sich endlich mal
wieder gehen lassen.max scharnigg


Für sie:


Echt jetzt?


Für ihn:


Pfeif drauf!


FOTO: GETTY IMAGES

LADIES & GENTLEMEN


von marten rolff

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as Jahr 2019 ist bisher über-
durchschnittlich heiß, und be-
sonders heiß ist es für die
Fleischersatzindustrie. Die
Klimadebatte verleiht dem Ab-
satz von Pflanzeneiweiß, ob aus Soja, Wei-
zen oder Linsen, immer neue Schübe. Star
der Szene ist das kalifornische Unterneh-
men Beyond Meat, das besonders herzhaf-
te Burgerbuletten aus Erbsenprotein her-
stellt. Im Mai löste der Börsengang einen
Hype aus, im Juli sollen sich Kunden bei
Lidl um die ersten Beyond-Meat-Patties ge-
stritten haben, zur selben Zeit lag der Akti-
enwert der Firma schon bei acht Milliar-
den Dollar – bei 80 Millionen Umsatz.
Der Boom hat gerade erst begonnen. Ei-
ne aktuelle J. P.-Morgan-Studie geht da-
von aus, dass binnen zehn Jahren 30 bis 40
Prozent aller tierischen Eiweiße in Lebens-
mitteln durch pflanzliche ersetzt werden –
weltweit. Deutschland ist heute, vor Groß-
britannien und den USA, der wichtigste
Markt für Veggie-Produkte. Selbst Wurst-
produzenten wie Rügenwalder denken
brav um und stellen alles, was die Fleisch-
theke hergibt, nun auch aus Pflanzen her –
vom veganen „Mühlen Geschnetzelten
Typ Hähnchen“ bis zum panierten Schnit-
zel aus Weizen, Soja und Rapsöl. Die Wurst-
nation präsentiert sich immer mehr als
Schlemmerparadies mit Gewissen. Der
Fleischkonsum geht zurück, und auch Ve-
ganer dürfen endlich Mainstream sein. Al-
les super also?

Die Frage ist dann nur: Warum bleibt
der Genuss dabei derart auf der Strecke?
Die Zahl der Deutschen, die auf Fisch
und Fleisch verzichten, nähert sich der
Acht-Millionen-Marke, doch die Küche da-
zu entwickelt sich kaum weiter, besonders
schlecht steht es um die vegane. Der viel zi-
tierte Siegeszug der Vegetarier und Vega-
ner, er drückt sich vor allem in Zahlen aus.
In Anhängerstärken, Aktienwerten, Klima-
bilanzen, Fitnessleveln. Fast vergisst man,
dass es ums Essen geht. Denn alles, was gu-
tes Essen ausmacht, kommt so gut wie nie
zur Sprache: Produktqualität, interessante
Zubereitung oder – gute Güte! – Spaß.
Und nein, das ist nicht das Vorurteil be-
ratungsresistenter Steak-Ultras. Vielmehr
finden vegane Köche selbst, dass in der
fleischlosen Küche gerade sehr viel falsch
läuft. Fragt man etwa Surdham Göb, einen
der erfahrensten veganen Köche Mün-
chens, nach den Defiziten, dann sagt er:
„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“
Vielleicht bei den Supermärkten? Denn
die muten immer mehr an wie bizarre La-
ger für pflanzenbasierte Tierprothesen,
vom grauen „Next Level Hack“ aus Erbsen,
Gluten und raffiniertem Kokosfett über fal-
sche Hühnerschlegel bis zum Bio-Seitan-
Stick mit Chorizo-Aroma. „Ich bin erschüt-
tert von der Menge an veganen Fertigpro-
dukten im Supermarkt“, sagt Surdham
Göb, „jetzt wird derselbe Quatsch mit Ge-
müse gemacht wie zuvor mit Fleisch.“
Göb hat 16 Jahre als Küchenchef in vega-
nen Restaurants auf der ganzen Welt gear-
beitet, heute betreibt er einen Cateringser-
vice. In Kochbüchern und Kursen vermit-
telt der 43-Jährige, wie man mit frischen
Produkten arbeitet, wie Desserts ohne tieri-
sches Eiweiß toll schmecken oder mit wel-
chen Techniken man Gemüsegerichte ab-
wechslungsreich zubereitet. Fast alle Er-
satzprodukte findet er „furchtbar und
nicht nachhaltig“. Ihn stört schon, dass Her-
steller sich auf den Patentschutz berufen,
um Fragen zur Herstellung zu umgehen.
„Isoliertes Erbsenprotein, was soll das
sein?“, fragt Göb. „Isoliert von was? Und
warum wird das mit Geschmacksverstär-
kern wie Maltodextrin angereichert?“
Man muss den Nachbau von Fleisch
nicht stigmatisieren. Zweifelhaft bleibt er
schon wegen seiner Künstlichkeit. Wieso
ist das wichtigste Ziel, Pflanzen so lange im
Labor zu bearbeiten, bis sie wie Tier schme-
cken? Jeder nur halbwegs naturnahe Profi-
koch fände so ein Vorgehen absurd. Seine
Aufgabe ist ja nicht, dafür zu sorgen, dass
XY wie Z schmeckt, sondern geschmack-
lich alles aus XY herauszuholen.
Allein von den Möglichkeiten der Gemü-
sezubereitung ist nur ein Bruchteil ausgelo-
tet. Ein gut gemachter Fond aus gerösteten
Karotten kann enorme Tiefe entwickeln.
Eine Suppe mithilfe von Pilzen oder Algen
große Komplexität. Köche, die so etwas
können, müssten Pilgerströme auslösen.
Doch für die meisten Veganer oder Vegeta-
rier spielen sie keine Rolle. Selbst in den we-
nigen Sternerestaurants mit fleischloser
Küche (es gibt weltweit nur eine Handvoll)
sitzen fast nur: interessierte Fleischesser.
Wer fragt, warum die Qualität vieler ve-
ganer Produkte so schlecht ist und den
Konsumenten das oft egal zu sein scheint,
der kommt an den Motiven für fleischlose
Ernährung nirgends vorbei. Denn die vie-
len Bücher und Artikel, die den Verzicht
auf Fleisch propagieren, haben zwei auffäl-
lige Gemeinsamkeiten: In kaum einem ist
von Genuss die Rede. Und fast keiner der
Autoren hat Kenntnisse vom Kochen.
So arbeitete sich die Autorin Karen Du-
ve für ihren Bestseller „Anständig essen“
im Selbstversuch durch verschiedene Er-
nährungsstile, um am Ende aus Überzeu-
gung auf Fleisch zu verzichten. Doch ihr
Ausgangspunkt ist Hähnchengrillpfanne

vom Discounter (2,99 Euro), eines ihrer
Leibgerichte. Für Küche interessiert Duve
sich mit keiner Zeile; was natürlich ein Pro-
blem wird, wenn man möchte, dass die Kü-
che sich ändert. Ähnlich herdfern argumen-
tierteZeit-Journalist Bernd Ulrich, der in ei-
ner viel beachteten Magazingeschichte sei-
nen Entschluss thematisierte, sich vegan
zu ernähren. „Vegan kann definitiv auch
deftig. Fast alles schmeckt nach Wurst,
wenn man Senf draufschmiert“, schrieb er
frohgemut über fleischlose Speisepläne.
Solche Selbsterfahrungsberichte stellen
ethische und ökologische Motive ins Zen-
trum: Tierwohl, Nachhaltigkeit, Klima. Es
sind richtige und wichtige Motive. Das Pro-
blem ist nur: Jedes der Argumente endet
im Dogma („Du darfst nicht ...!“), doch das
Dogma führt in der Küche nirgendwo hin.
Mit Vorträgen über steigende Meerespegel
wird es nicht gelingen, das Ratatouille zu re-
volutionieren. Mit dem Wunsch, die perfek-
te Tomatensorte zu finden, schon eher. Ver-
führung hat bei Tisch fast immer funktio-
niert, Bevormundung noch nie.

Wer Fleischverzicht fordert, der fordert
nichts anderes als den Radikalumbau unse-
rer Ernährung, er käme also eigentlich gar
nicht umhin, sich für Geschmack und Ge-
nuss zu interessieren. Denn die Aufgabe ist
enorm, und sich an den Herd zu stellen ist
angesichts der Steuerung unseres Speise-
plans durch Großkonzerne und Agrarlob-
by heute fast schon ein politischer Akt. Es
bleibt ein Rätsel, dass ausgerechnet eine
Gemeinde, die Ernährung vorgeblich so
ernst nimmt und die sich durch den Ver-
zicht auf Fleisch als besonders achtsam be-

greift, dafür so schwache Antennen hat.
Warum liefert sie sich, ob Veganer, Vegeta-
rier oder Flexitarier, dermaßen unwider-
sprochen der Lebensmittelindustrie aus?
Wie man das Dogma kapert und kapitali-
siert, kann man bei Rügenwalder lernen.
Unter achtsam orchestriertem Beifall der
Medien warf die Firma soeben die beliebte
Currywurst zum Aufwärmen in der Plastik-
schale aus dem Sortiment – ein Produkt,
das man schon aus Scham für seine Erfin-
dung eigentlich still hätte beerdigen müs-
sen. Im Gespräch mit der Deutschen Pres-
se-Agentur dozierte Rügenwalder-Chef
Godo Röben dazu: „Es ist jetzt an der Zeit,
mal 50 Prozent weniger Fleisch zu essen.“
Schon erstaunlich, wie dick Unterneh-
men neuerdings bei der Weltrettung auftra-
gen. Sogar solche, die seit Jahrzehnten dar-
an verdienen, Supermärkte mit Streich-
mett und Würsten in Gläsern zu versorgen.
Doch wenn der Bock sich plötzlich als Gärt-
ner aufspielen darf, dann auch, weil wir be-
reits in der Verbotsfalle sitzen: Wer wäre in
Zeiten brennender Amazonaswälder so
wahnsinnig, Röben zu widersprechen –
und damit die Mitgliedschaft in der Partei
der Zukunftsblockierer zu beantragen?
Denn die Debatte um Fleischverzicht
wird fast nur ideologisch geführt. Ernäh-
rungspsychologen sehen sie gar als eine
Art Kulturkampf. Fleisch sei traditionell
ein Symbol für die Macht und den Reich-
tum von Männern, erklärt etwa Christoph
Klotter, der an der Hochschule Fulda zur
Wirkung von Essen forscht. „Plötzlich ist
derVerzichtdarauf das neue Statussym-
bol. Er soll moralische Überlegenheit attes-
tieren; vorgelebt wird das mehrheitlich
von jungen, gebildeten Frauen aus der
Großstadt.“ Der Kampf reduziert Essen auf
eine Frage der Geisteshaltung. In sozialen
Netzwerken trägt man Ernährungsstile zur
Imagepflege vor sich her. Ums Kochen geht

es dabei immer seltener. Geschmacksver-
lust als Kollateralschaden der Weltrettung.
In Deutschland komme erschwerend
hinzu, dass Genussskepsis Tradition habe,
sagt Klotter. „Das kann man schon bei Goe-
the und Eichendorff nachlesen, die sich in
ihren Büchern bewusst von der Opulenz ita-
lienischer und französischer Speisen abset-
zen.“ Genuss war stets mit dem Verdacht
verbunden, zu prassen und sich gehen zu
lassen. Bis heute geht es eher ums günstige
Sattwerden als um Verfeinerung. „Nun erle-
ben wir, wie sich diese Genussskepsis mit
dem Gebot des Fleischverzichts verbin-
det“, sagt Klotter, „und wer nicht folgen
will, wird standrechtlich erschossen.“
Köche wie der Münchner Surdham Göb
wünschen sich, dass in der fleischlosen Kü-
che die Produkte endlich eine größere Rol-
le spielen; „dass wir uns mal darum küm-
mern, wie unser Gemüse besser wird“. Wie
wenig der Genuss verbreitet sei, zeige sich
auch daran, dass es in einer Großstadt wie
München bis heute kein gutes rein veganes
Restaurant gebe. „Ich schäme mich leider
für die vegane Gastronomie bei uns“, sagt
Göb. Wenn der Koch überhaupt noch essen
geht, dann höchstens in der Trattoria um
die Ecke; auf eine Pasta mit Tomatensoße
oder Pizza ohne Käse.

Von Ausnahmen abgesehen, ist der Stan-
dard insgesamt ein Problem. In vielen vega-
nen Blogs und Büchern geht es eher um Ge-
sundheit als um Küche. Zu den Vorbildern
zählen auffallend oft Fitnessgurus, deren
Rezepte kaum kulinarische Substanz ha-
ben. Und im ganzen Land kopieren vegane
Lokale beliebte Wirtshausklassiker wie
Schnitzel oder Braten; oft mit der Begrün-
dung: „Die Leute finden das halt lecker.“
Göb sagt, er könne das verstehen, nur sei es
eben weder gut noch gesund oder nachhal-
tig. „Die Leute mögen es, weil sie nichts an-
deres kennen. Aber wer einmal gute Pro-
dukte gegessen hat, will nie mehr zurück.“
So schlingert die fleischlose Szene zwi-
schen Verzicht und schnellem, tröstlichem
Ersatz dafür. Eine selbstbewusste, ausge-
wogene oder gar neue Küche entsteht so
nicht. Auch, weil Defizite selten offen disku-
tiert werden. Wieso nicht? Kritik folgt ja
nicht Geschmacksfragen, sondern Kriteri-
en wie Produktqualität oder Handwerk.
Zu besprechen gibt es gerade in der vega-
nen Küche eine Menge: Die Saucen, die aus
Mangel an Technik, Wissen oder Zutaten
wie Butter leicht ins Saure rutschen. Die
Frage, warum die Salate im Burgerladen ne-
benan oft besser sind. Oder das Mysteri-
um, dass man sich als Fleischesser durch
die vegane Küche Indiens, Chinas oder
Thailands schlemmen kann, ohne etwas zu
vermissen. Aber im Lokal um die Ecke ist
das beseelte Klimaschutzlächeln des Kell-
ners weiter die wichtigste Zutat für zer-
kochtes Gemüse in Kokos-Blubber.
Das schlechte Curry an sich ist nicht das
Thema. Es geht darum, sich erst mal einzu-
gestehen, dass da Luft nach oben ist – und
die fleischlose Küche generell ein hochan-
spruchsvolles Abenteuer. Bis heute ist die
umfassendste Ausbildungsmöglichkeit
für vegane Köche in Deutschland ein sechs-
wöchiger Kurs am Plant Based Institute in
Berlin. Der recht neue Lehrgang gilt als gut,
doch was lernt man in sechs Wochen?
Wie groß das Problem ist, zeigte sich in
einem der wenigen Spitzenrestaurants mit
fleischloser Küche. Dort hatte sich die Qua-
lität nach Meinung von Gästen wie Kriti-
kern binnen weniger Monate stark verbes-
sert. Auf die Frage, wie er das so schnell ge-
schafft habe, wurde der Küchenchef verle-
gen: „Ich sage es ungern, aber es hat gehol-
fen, sich von allen veganen Köchen zu tren-
nen.“ Der Chef bat darum, nicht nament-
lich zitiert zu werden. Er wolle keinen Streit
befeuern. Nur sei es ein Unterschied, ob
man mit Pflanzen koche, weil man am Pro-
dukt interessiert sei, oder aus weltanschau-
lichen Gründen. Für Letzteres sei vor allem
in der Avantgardeküche kein Platz.
Die Avantgardeküche ist übrigens kein
Rummelplatz für Austern schlürfende An-
geber, sondern der Taktgeber der Gastro-
nomie. Dort wird heute entwickelt, was
morgen auf allen Tischen steht. Und wenn
vegane Köche fachlich nicht genügen, um
Teil dieses Motors zu sein, und das in ei-
nem Restaurant mit fleischloser Küche,
dann sollten sie dringend nachsitzen.
Es ist kein Zufall, dass nahezu alle wichti-
gen Impulse für die neue Gemüseküche –
ob Farm-to-table-Konzepte, Hyperregio-
nalismus oder Fermentation – von Köchen
kommen, die auch mit Fleisch kochen.
Ebenso wie wichtige vegetarische und teil-
vegane Kochbücher. Es sind Köche, die den
Fleischeinsatz längst reduzieren; nicht per
Dogma, sondern sukzessive, durch nach-
haltiges Wirtschaften und immer besseres
Wissen; so wie es einer guten, modernen
und naturnahen Küche angemessen ist. Es
sind Köche, die gerade den notwendigen
Umbau der Landwirtschaft anmahnen.
Wer diesen Umbau will, ob nun Veganer
oder Fleischesser, der sollte die Ideologie
außen vor lassen. Sie führt in der Küche
nicht weiter. Koch- und Warenkenntnisse
dagegen schon. Den Genuss gibt’s als Be-
lohnung obendrauf. Er erinnert uns daran,
wie sehr es sich lohnt, kritisch zu hinterfra-
gen, was da auf unseren Tellern liegt. So ge-
sehen, ist Genuss heute sogar politisch.
Denn eins ist mal sicher: Das Seitan-Raps-
öl-Schnitzel wird es nicht richten.

Wieso haben Bestsellerautoren,
die Fleischverzicht predigen,
so selten Ahnung vom Kochen?

Mit Vorträgen über steigende
Meerespegel werden wir das
Ratatouille nicht revolutionieren

Kein Witz: Wie bringt man ein
Lokal mit veganer Küche voran?
Alle veganen Köche feuern!

DEFGH Nr. 219, Samstag/Sonntag, 21./22. September 2019 57


STIL


Friss


oder stirb!


DerFleischverzicht hat den Mainstream erreicht.


Sehr gut. Doch warum ist der Ersatz


so widerlich und die vegane Küche so schlecht?


Über die Ideologie auf unseren Tellern


Perfekte Seidenbluse, glattes Hemd?
Gelingtmit einer Dampfbügelstation.
Sechs Modelle im Test  Seite 59

Faltenfreier Auftritt


„Vegan kann definitiv
auch deftig.Fast
alles schmeckt nach
Wurst, wenn man
Senf draufschmiert“,
hieß es im vergangenen
Jahr in einem viel
beachteten Artikel im
Zeit Magazin.
Die Botschaft ist
immer ähnlich: Um die
Welt zu retten, muss
man Kompromisse
eingehen, auch wenn
sie aus aromatisiertem
Tofu oder sogar aus
Weizengluten und
Rapsöl sind. Aber
solange wir unseren
Speiseplan nach
Dogmen erstellen,
kommen wir
geschmacklich nicht
weiter.
FOTO: STOCKFOOD
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