Süddeutsche Zeitung - 21.09.2019

(Greg DeLong) #1

Klimaanlage, elektrische Fensterheber,
das Interieurin Edelvelours: Für DDR-Ver-
hälnisse bot der Volvo 264 TE üppigen
Komfort. Nur eine Servolenkung war nicht
lieferbar, und auch kein Antiblockiersys-
tem (ABS). „Das begünstigte im Ernstfall
die Fluchtwende“, erklärt Martin Wund-
rack. Der Berliner ist Mitglied des Fuhr-
park Ost-West. Der Oldtimer-Verein küm-
mert sich um eine ganz spezielle Sorte von
automobilen Klassikern: um ehemalige
Dienst- und Regierungsfahrzeuge. Der ge-
lernte Kraftfahrzeugbauer Wundrack
pflegt den dunkelblauen Volvo 264 TE aus
der Flotte des Politbüros der DDR. Deren
Mitglieder saßen in den kantigen, verlän-
gerten Schweden-Klassikern stets im
Fond, am Steuer ihre Personenschützer.
Zu deren Ausbildung gehörte auch die
Fluchtwende im Falle eines Hinterhalts, al-
so eine rasante 180-Grad-Drehung mit
Vollgas. Und die gelingt ohne ABS deutlich
besser.
Das dunkelblaue Dickschiff umgibt
auch 30 Jahre nach dem Mauerfall noch ei-
ne besondere Atmosphäre. „TE stand da-
mals für Top Exklusiv“, sagt Wundrack. Ba-
sis war die legendäre 240er/260er Baurei-
he, deren Autos für viele heute als der Vol-
vo schlechthin gelten. Viel Ecken und Kan-
ten prägen ihr Design. Was Knautschzone
und passive Sicherheit betrifft, setzten
240er und 260er in den Siebziger Jahren
Maßstäbe. Dazu kam eine für damalige
Verhältnisse üppige Ausstattung.


Die TE-Version wurde ursprünglich für
das schwedische Königshaus entwickelt
und bot neben allerlei Komfortextras eine
um 70 Zentimeter verlängere Karosserie.
1976 begann dann die Staatsführung der
DDR, den Volvo 264 TE als Repräsentati-
onsfahrzeug zu ordern. Vor der Rücksitz-
bank befand sich eine zusätzliche dritte
Sitzreihe mit Klappsitzen für Dolmet-
scher, manchmal wurde auch ein Schemel
zum Ausstrecken der Füße installiert.

Der dunkelblaue Sechszylinder, der bei
Martin Wundrack in Pflege ist, lief 1982
vom Band. „Er diente Konrad Naumann
als Dienstfahrzeug“, berichtet der 47-Jähri-
ge. Naumann wurde 1976 Mitglied des Po-
litbüros des Zentralkomitees der SED. Sei-
nen Wohnort hatte er wie die meisten Polit-
büromitglieder in der Waldsiedlung Wand-
litz. Bei den täglichen Fahrten zwischen
dem streng abgeschirmten Areal und den
Regierungsstellen in Ost-Berlin rauchte
Naumann offensichtlich gerne – davon
zeugen heute noch graue Krümel in den
Aschenbechern im Fond des Volvo.
„Der hat die Zigaretten gefressen“, sagt
Wundrack lapidar. Aber auch dem Alkohol-
konsum soll Naumann zugeneigt gewesen
sein. Nach einer kritischen Rede wurde er

im November 1985 seiner Ämter entho-
ben. Damit war er einer der wenigen Polit-
büromitglieder, die vor der friedlichen Re-
volution 1989 ihre Posten verloren.
Vom Volvo 264 TE orderte die DDR-
Staatsführung ab 1976 insgesamt 135 Ex-

emplare, zu einem Stückpreis von satten
100000 D-Mark. Gebaut wurden die ver-
längerten Limousinen zunächst bei Berto-
ne in Italien, später dann beim schwedi-
schen Karosseriebauer Nilsson. Ihre Vor-
gänger als Dienstfahrzeuge, russische

Tschaikas, waren in der DDR in Jahre ge-
kommen. Eigentlich sollte das sozialisti-
sche Bruderland Tschechoslowakei Nach-
folger der Marke Tatra liefern. Doch die wa-
ren teuer und galten als technisch unzuver-
lässig. Dazu kam der luftgekühlte V8 der
Tatras, der unglaublich laut gedröhnt ha-
ben soll. „Da haben die in der DDR-Füh-
rungsriege gesagt: Dat Auto für dit Geld –
niemals“, erzählt Martin Wundrack. Am
liebsten wäre man in Ost-Berlin Mercedes
gefahren, doch die Marke des Klassen-
feinds sei politisch nicht korrekt gewesen.
Also entschied man sich für Volvo.

Solche Anekdoten können Martin
Wundrack und seine Vereinskameraden
viele erzählen. Gegründet wurde der Fuhr-
park Ost-West 2014. Ziel ist die Pflege und
Erhaltung von Fahrzeugen aus der Zeit der
friedlichen Revolution. Im Fuhrpark befin-
den sich Dutzende Autos, darunter viele
Volvos, aber auch auch Tatras, Tschaikas,
Ladas und andere Vehikel. „Fahrten in den
Autos sind Zeitreisen“, sagt der Vereinsvor-
sitzende Rolf Mahlke.
Mahlke arbeitet als Zahnarzt in Wittin-
gen, einer niedersächsischen Kleinstadt
an der ehemaligen innerdeutschen Gren-
ze. Privat pflegt er eine bemerkenswerte

Autosammlung von alten Autos aus dem
Osten. Neben mehreren Volvos und einem
Lada 2106 Funkstreifenwagen besitzt er
auch einen Citroën CX 25 Prestige aus dem
Fuhrpark von Erich Honecker. Der ehema-
lige DDR-Staatsratsvorsitzende stieg Ende
der 70er Jahre nämlich von Volvo auf die
französische Marke um.
Damals wollte Citroën in der DDR als Au-
tohersteller einen Fuß in die Tür bekom-
men – praktisch als „Anfütterung“ habe
Erich Honecker zwei CX 25 Prestige ge-
schenkt bekommen, erzählt Martin Wund-
rack. Mit ihrer hydropneumatischen Fede-
rung seien die CX förmlich über die holpri-
gen Straßen der DDR geschwebt. „Da war
Honecker natürlich begeistert.“ Und fuhr
fortan Citroën.
Bei allem Faible für die exklusiven Fahr-
zeuge gerät mitunter in Vergessenheit,
dass die Dienst- und Regierungsfahrzeuge
bei den DDR-Bürgern damals sehr unbe-
liebt waren. „Die Leute wurden rekrutiert
und mussten am Straßenrand winken“,
sagt Wundrack. Heute seien die Fahrzeuge
dagegen Publikumsmagnete auf Oldtimer-
Ausfahrten, ganz ohne Zwang. Rund 70
Fahrzeuge umfasst derzeit die Flotte des
Vereins Fuhrpark Ost-West. Bislang ist der
Osten klar in der Überzahl. Ex-Regierungs-
fahrzeuge aus dem Westen sieht man sel-
ten auf den Treffen. Lediglich der Merce-
des des früheren Hamburger Oberbürger-
meisters Henning Voscherau rollt dort
manchmal vor. haiko prengel

von joachim becker
undchristina kunkel

E


s ist eine dieser G-Schichten mit
gehörig Schmäh und Widersinn.
Wie Mercedes in Steyr ein viel-
seitiges Nutzfahrzeug entwi-
ckeln ließ – und den „leichten
Geländewagen“ dann auf einer Rennstre-
cke präsentierte. Vierzig Jahre ist das her,
und vieles, was wir auf unseren Straßen se-
hen, sind Spätfolgen dieses fliegenden Kas-
tenwagens. Nicht nur Förster, Jäger oder
Militärs konnten sich für das G-Modell er-
wärmen. Was für den professionellen Ein-
satz geplant war, brachte bald immer
mehr Privatleute komfortabel auf Skihüt-
ten, Surfer in die Dünen oder Mountain-Bi-
ker an den Alpenrand. Schließlich wurden
die kantigen Typen mit den großen Schlap-
pen zur Stadtplage: Die Geländelimousi-
nen oder SUV (Sport Utility Vehicles) entwi-
ckelten sich zum umstrittenen Symbol der
Freizeitgesellschaft.


Über den Sinn und Zweck eines solchen
Universalmotorgeräts, das „kompromiss-
lose Gelände- und Straßentauglichkeit“ so-
wie „größtmögliche Verwendungsvielfalt“
miteinander verbindet, lässt sich trefflich
streiten. Nur nicht mit den Ingenieuren
der (deutschen) Premiummarken. Pionie-
re wie Mercedes, Range Rover und BMW
trieben die Nonsens-Kreuzung aus Sport-
wagen, Schneemobil und Lieferauto auf
immer neue Höhen – einfach, weil sie es
technisch konnten. Und weil die Kunden in
aller Welt viel Geld für die luxuriös ausge-
stattete Stadtgeländewagen ausgeben. Sol-
che „leichten“ Nutzfahrzeuge stehen in
den USA schon lange an der Spitze der Zu-
lassungsstatistik, im August haben sie es
auch in Deutschland geschafft: Erstmals
zogen die SUV mit der Kompaktklasse als
bisher stärkstem Segment gleich. Doch
der Begriff ist dehnbar wie Kaugummi.
Weil das Kraftfahrtbundesamt darunter al-
le „Pkw mit Offroad-Charakter“ einord-
net, die nicht speziell als Geländewagen zu-
gelassen werden, gilt heute fast jedes Auto
mit etwas höheren Sitzen als SUV.
Wo die gefühlte Grenze zum „Stadtpan-
zer“ oder „Klimakiller“ (Greenpeace) über-
schritten ist, kann man in München erfah-
ren. Wer sich mit dem Mercedes GLE ein
richtig großes Stück aus dem Asphaltku-
chen rausschneidet, wird von den meisten
Fahrradfahrern an der Ampel mit eisigen
Blicken abgestraft. Doch sie bleiben in si-
cherer Distanz zur Motorhaube, die so
hoch ist, dass nicht nur Kinder oder Liege-
radfahrer dahinter komplett verschwin-
den. Offensiver ist der Fahrer eines schwar-
zen Kleinwagens mit einem Schallplatten-
großen Atomkraft-nein-danke-Aufkleber.
Nach dem Motto: „Wer auffährt, ist
schuld“, schiebt sich der Autozwerg an ei-
ner mehrspurigen Kreuzung wiederholt ex-
trem knapp vor den fast doppelt so schwe-
ren Tech-Goliath. Nötigung aus Notwehr
könnte man das nennen: Viele Städter füh-
len sich von dem fünf Meter langen Mons-
ter-SUV offensichtlich provoziert.
Der GLE gibt ein perfektes Feindbild ab.
Mit sieben Sitzen könnte er fast als Klein-
bus durchgehen. Seine üppige Leder- und
Technikausstattung inklusive Massagesit-


zen zeigt aber, dass er weniger Familien-
Taxi als rollendes Wohnzimmer für den ge-
hobenen Vielfahrer und Pendler sein will.
Wenig verwunderlich verlangt so ein Lu-
xus-Wohnmobil einigen Tribut beim Be-
schleunigen und Tanken. Selbst der GLE
350 d 4MATIC mit dem neuen Sechszylin-
der-Diesel braucht in der Praxis gute neun
Liter auf 100 Kilometer. Dabei verfügt der

200 kW (272 PS) starke Reihenmotor über
ein Mild-Hybrid-System, das sich in kleine-
ren Modellen als echter Fortschritt beim
Spritsparen erwiesen hat. Das zusätzliche
48-Volt-Bordnetz liefert auch die Energie
für eine aktive Wankstabilisierung: Das
2,3-Tonnen-Trumm lässt sich damit hand-
licher bewegen, als erwartet. Trotzdem
fühlt sich der 1,80 hohe und über zwei Me-

ter breite Koloss erst vor den Stadttoren
halbwegs normal an. Weil SUVs auf dem
ländlichen Supermarktparkplatz gefühlt
schon in der Mehrheit sind, fällt der GLE
dort nicht weiter auf.
Womit wir beim zentralen Paradox sol-
cher Blechgebirge sind. Ihre Vorteile spie-
len die Autos mit eingebautem Wider-
spruch, wenn überhaupt, dann nur auf end-

losen (Autobahn-)Passagen oder im un-
wegsamen Gelände aus. Weil dieses in
Deutschland meist für den Privatverkehr
gesperrt ist und niemand seinen
100000-Euro-SUV verkratzen will, pen-
deln viele der Luxuskarossen eben vom
Land in die hoffnungslos überfüllten In-
nenstädte, wo sie überhaupt keinen Mehr-
wert bieten – schon gar nicht für andere
Verkehrsteilnehmer. Dieser Aberwitz wird
sich auch dann nicht ändern, wenn man
die Monster-SUV an die Ladeleine nimmt.
Weil auch Mercedes darum ringt, die CO 2 -
Flottenlimits zumindest auf dem Papier zu
erfüllen, gibt es den GLE jetzt auch als Plug-
in-Hybrid mit einem Vierzylinder-Diesel
und einer 31,4-kWh-Batterie. Wieder stellt
sich die Sinnfrage: Diese stattliche Akkuka-
pazität genügt, um kompakte Batterieau-
tos wie den E-Golf oder den BMW i3 mehre-
re Hundert Kilometer weit rein elektrisch
voran zu bringen. Im Mercedes-Hybrid
soll der 200 Kilogramm schwere Akku zu-
mindest dafür sorgen, dass man bis zu 99
Kilometer (nach WLTP) stromern kann.
Erste Ausfahrten im Stadtverkehr zeigen,
dass dieser Wert zwar nicht ganz realis-

tisch ist. Etwa 80 Kilometer kommt das
SUV aber schon weit, wenn man im Fahr-
modus „Electric“ im Stop-and-go-Verkehr
gelassen dahin rollt. Dass man sich dabei
ständig fehl am Platz fühlt, weil weder die
Parkplätze noch die urbanen Fahrspuren
zu den Maßen dieses SUV passen, ist ein an-
deres Thema. Hauptsache, man ist „lokal
emissionsfrei“ unterwegs, wie es so schön
heißt. Ein praktisches Problem hat Merce-
des beim GLE-Hybrid zumindest gelöst.
Anders als bei früheren Plug-in-Modellen
der Stuttgarter hat das SUV keinen Buckel
mehr im Kofferraum. Durch eine neue Hin-
terachsaufhängung passt die Batterie jetzt
komplett unter die Rücksitzbank.
Das Fahrverhalten des Teilzeitstromers
unterscheidet sich kaum von seinem Ver-
brenner-Kollegen. Die Schubkraft von ins-
gesamt 700 Newtonmetern bei einer Sys-
temleistung von 320 PS treibt den Zweiein-
halb-Tonner richtig flott voran. Bis zu 160
Stundenkilometer schnell kann man im
reinen Batteriebetrieb fahren. Doch das ist
genauso verschwenderisch wie jede rasche
Fortbewegung mit der Luftwiderstandsflä-
che einer Schrankwand. Einmal zu heftig
auf das Pedal getreten, und schon meldet
sich der Diesel mit lautem Grummeln zum
Dienst.
Genau das ist das Problem der Plug-in-
Konzepte: Wenn man die (Langstre-
cken-)Wagen nicht im Stakkato-Takt an
die Stromleitung hängt und gerne auch
mal sportlicher unterwegs ist, dann sind
die schönen Umweltversprechen nichts
wert. So ist es auch beim GLE 350 de kein
Problem, den Dieselverbrauch in zweistelli-
ge Bereiche zu treiben. Trotzdem wird der
Plug-in-Hybrid ähnlich gefördert wie ein
reines Batteriefahrzeug. Preise nennt Mer-
cedes für den Teilzeitstromer noch nicht.
Aber da man für die reine Dieselvariante
schon mindestens 70 000 Euro hinlegen
muss, dürfte der Plug-in noch einmal ein
paar tausend Euro teurer sein. Dafür be-
kommt man auch schon ein reines Elektro-
auto der Oberklasse – wer es unbedingt
braucht, auch als SUV.

An der Ampel wird man mit


eisigen Blicken abgestraft –


oder gleich geschnitten


Die DDR-Führung wäre lieber
Mercedes gefahren. Aber ein Auto
vom Klassenfeind – das ging nicht

Mit dem 2,5-Tonner in die City?
Dank des Plug-in-Hybrids soll
das umweltfreundlich sein

Honecker stieg irgendwann
auf Citroën um. Ihm gefiel die
bequeme weiche Federung

Mit dem Volvo zum Politbüro


Der Verein Fuhrpark Ost-West pflegt die einstigen Dienstfahrzeuge von Erich Honecker und Genossen. Das waren zumeist teure Autos aus dem Westen


DEFGH Nr. 219, Samstag/Sonntag, 21./22. September 2019 68


MOBILES LEBEN


Eine Front zum Fürchten: Der
Mercedes GLE versucht erst gar
nicht, bescheiden aufzutreten.
Die große Stirnfläche und das
hohe Gewicht vereiteln alle Spar-
anstrengungen.FOTO: MERCEDES

Stretch-Limousine auf Schwedisch: Martin Wundrack vor seinem Volvo 264 TE. In
der Langversion wurden Mitglieder des DDR-Politbüros chauffiert. FOTO: HAIKO PRENGEL

Unterwegs in


einem Hassobjekt


Zurzeit sind SUV die am meisten verkauften und angefeindeten


Autos in Deutschland. In der Kritik stehen vor allem die Fünf-Meter-Kolosse.


Als Fahrer bekommt man das deutlich zu spüren


Die Geschichte der Volvo-Schwester-
marke Polestarweist einige Parallelen
zur Tesla-Story auf  Seite 67

China-Connection

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