Süddeutsche Zeitung - 21.09.2019

(Greg DeLong) #1
von korbinian eisenberger

D


er Knast macht auf Kneipe.
Die Tore sind geschlossen, die
Ausgänge versperrt, und drin-
nen steht ein Mann mit E-Gi-
tarre und singt Hotel Califor-
nia. Das bekannte Lied der Eagles, den „Ad-
lern“ aus den Staaten, kaum ein anderer
Bandname, der das Gefühl von Freiheit bes-
ser ausdrücken könnte. Wer aber diesen
Auftritt sehen will, muss hinter Gittern sit-
zen. Genauer: In der Gefängnismensa von
München Stadelheim, wo gerade eine
Band aus Grafing vor einhundert Männern
spielt. Die Häftlinge dürfen nicht von ihren
Stühlen aufstehen. Also tanzen sie einfach
so gut es geht im Sitzen zu Hotel California.
What a nice surprise, bring your alibis,
heißt es in einer Songzeile.
Stadelheim ist eines der größten Gefäng-
nisse Deutschlands, steht in Giesing und
beginnt hinter einer sechs Meter hohen
Schiebewand in Grün. Hoffnung kommt
dabei nur in eine Richtung auf: Man will
das grüne Tor möglichst schnell wieder
von außen sehen. Bedrückend wirkt die Au-
ra dieser gigantischen Gefangenenburg. Al-
lein die Mauern, die Türme, und ihre be-
waffnete Besatzung, die im äußersten Not-
fall auch abdrücken kann. Wie lässt es sich
hinter diesen Mauern aushalten?
Ausgerechnet diesen Ort haben sie sich
ausgesucht: Fünf Männer und eine junge
Frau, zusammen nennen sie sich die Roxai-
ten, Geige, E-Bass, Gitarren und Gesang.
Klaus Beslmüller ist der Kopf der Gra-
finger Band, ein 56 Jahre alter Mann mit
Mantel und Hut, Künstlertyp, Architekt
und Kirchenmusiker. Vor zwei Jahren ist er
schon mal hier aufgetreten. Ähnlich wie
Johnny Cash, Pionier der Gefängniskonzer-
te, der nach seinem legendären Gastspiel
im kalifornischen Folsom-Gefängnis einst
von Wärtern in „Todesangst“ sprach, weil
die Gefangenen außer sich waren. Beslmül-
ler sagt: „Ich gehe davon aus, dass nur kom-
men darf, wer sich gut geführt hat.“
Mittagsstunde in Stadelheim, noch 30
Minuten bis Konzertbeginn. Die Roxaiten
sind beim Soundcheck, solange führt der
Justizvollzugsbeamte Michael Zaunick
über das Gelände. Der 54-Jährige ist so et-
was wie der Eventmanager hier, der einzi-
ge Beamte, der an diesem Tag keine Uni-
form trägt, sondern ein Seenotrettungs-
Shirt. Ein Mann, mit zehn Jahren Stadel-
heim-Erfahrung, der einerseits sagt:
„Wenn du diese Mauern betrittst, gibst du


dein Handy, deinen Ausweis und deine
Identität ab.“ Er sagt aber auch: „Hier gibt
es Hunderte Zellen, und hinter jedem Git-
ter sitzt ein Mensch.“
Darum geht es ihm. Seine Aufgabe ist
der Mensch, nicht der Häftling. Deswegen
steht er jetzt vor sechs Musikern auf der
Bühne und winkt die Männer aus dem
Nordbau herein. Von zwei Beamten beglei-
tet, stürmen sie regelrecht nach vorne und
besetzen die ersten Reihen. Auch ohne
Johnny Cash braucht es in der Gefängnis-
mensa zusätzliche Stühle. Zaunick be-
grüßt Gefangene und Personal, ein Hand-
schlag hier, ein „Servus“ da. Wie er mit all

dem umgeht? „Ganz normal“, sagt Zaun-
ick, „so wie mit den Leuten draußen auch“.
Klaus Beslmüller und seine Truppe spie-
len „Time for bedlam“ von Deep Purple.
Saying farewell to daylightlautet eine Zei-
le, und auch in der Halle mit den Neonröh-
ren ist es ein Abschied vom Tageslicht.Mit
gebrochenen Fingern kratze ich mich durch
die Wände des Kerkers, so die übersetze Zei-
le aus dem Deep-Purple-Song. Vorne links
wippt das erste Knie im Takt mit. Es dauert
eine Viertelstunde, da bewegen sich auch
die hinteren Reihen zur Musik. Weiße und
Schwarze, Männer aus anderen Ländern
und Einheimische – hundert Menschen
mit hundert Geschichten, die das Leben in
dieser Halle zusammen geführt hat.
In Stadelheim sind Häftlinge aus 70 Nati-
onen untergebracht, die meisten davon
aus Deutschland, viele in U-Haft, also in
laufenden Verfahren – deshalb sollen sie
nicht mit Reportern sprechen. 1500 Men-
schen haben in Stadelheim Platz, 1430
sind es an diesem Tag Mitte September.
„Vom Eierdieb bis zum Mörder“, sagt Zaun-
ick. Der Großteil sitzt wegen Diebstahls,
Körperverletzung oder Drogendelikten,
das geht aus der Gefängnisstatistik hervor.
Weil die Fluktuation recht hoch ist, halten
sich in den Zellen pro Jahr aber insgesamt
5000 Männer auf. Gerade in diesen Tagen
ist wieder viel Bewegung in den Trakten
und am grünen Tor. „Vor dem Oktoberfest
müssen wir jedes Jahr Platz schaffen“, sagt
Zaunick. „Nach einer Massenschlägerei im
Bierzelt kann es sein, dass wir hier viele un-
terbringen müssen.“ So werden immer im
September Straftäter aus Stadelheim in an-
dere Gefängnisse verlegt. Weil sich die Be-
sucher der Festwiese verlässlich daneben
benehmen.
Im grellen Licht der Mensahalle gilt:
Wer Benimmregeln bricht, ist für Konzerte
oder Lesungen raus. Zaghaft, fast schüch-
tern schleicht eine Gruppe Männer in den
Raum. In der vorletzten Reihe dreht sich ei-
ner zum Hintermann um: „Kannst du gut
sehen?“ Je nach Gebäude tragen sie ver-
schiedene Blautöne, manche haben Basket-
ballshirts oder bunte Pullover an, das ist re-

gelkonform. In den Reihen sitzen Männer,
die gut und gerne in der US-KnastseriePri-
son Breakmitspielen könnten, doch das
sind die wenigsten. Ein Mann mit welli-
gem grauen Haar sitzt in Häftlingsmontur
auf seinem Stuhl, aufrecht, mit erhobe-
nem Kinn, der stolze Blick ist ihm nicht ab-
handen gekommen. Er wippt im Takt und
singt leise mit, es scheint, als könne er je-
des Lied auswendig.

Es sind Momente, die kurz vergessen las-
sen, dass man in einem Gefängnis unter
Häftlingen sitzt. Klar, für die Insassen gibt
es Tischtennisplatten, das Fußballfeld, ei-
ne Bibliothek oder den Schulungsraum, in
dem ein Aquarium steht. Mit einem Bart-
agamen-Reptil namens Spezi, das solida-
risch mit den Häftlingen in Gefangen-
schaft lebt. „Den meisten hier sieht man
trotzdem an, wie sehr sie sich nach Ab-

wechslung sehnen“, sagt Sophia Jeanty,
Chemikerin und als Musikerin sonst in
Kneipen und Theatersälen unterwegs. Sie
sagt: „So wie hier im Gefängnis geht unser
Publikum sonst nie ab.“
Das Konzert neigt sich dem Ende, und
auf den Sitzen wird geklatscht und gejohlt,
fast wie bei einem Open Air, nur dass die
Leute weniger bunt gekleidet sind. Der ble-
cherne Hall ist vergessen. Zum Instrume-
tal-Stück „Carry on Jon“ – Mach weiter Jon


  • bewegen sich die vorderen Reihen wie in
    Trance. Ein Mann in Gefangenenkluft sitzt
    ganz außen. Er trägt eine Brille, hat einge-
    fallene Wangen, dünnes grauschwarzes
    Haar. In der einen Hand hält er eine bunte
    Kette fest, die andere hat er auf seine Brust
    gelegt. Wie jemand, der gerade an eine
    schöne Zeit denkt, die lange zurück liegt.


Ein polizeibekannter Dieb hat bei einem
Einbruchsversuch in eine Neuperlacher
Bäckerei offenbar unfreiwillig seinen Na-
men am Tatort hinterlegt. Bei dem Ver-
such, eine Tür mit seiner Versichertenkar-
te zu öffnen, war die Karte abgebrochen.
Die Filialleiterin fand ausgerechnet den
Teil mit dem Namen des Versicherten
und rief die Polizei. Der ist der Wohnsitz-
lose von früheren Taten bekannt. anh


Ein 23-Jähriger hat am Dienstag in der Ot-
tobrunner Parksiedlung einen Fußgän-
ger offenbar absichtlich mit dem Auto
umgefahren. Anschließend beschleunig-
te er und fuhr davon. Der Neißeweg ist an
dieser Stelle für Autos gesperrt. Das
38-Jährige Opfer wurde mit einer Platz-
wunde am Kopf und einer Fraktur der
Brustwirbelsäule in ein Krankenhaus ge-
bracht. Laut Polizei sind die beiden Män-
ner miteinander verwandt und hatten
sich vorher gestritten. anh


Ein Münchner Eltern-Kind-Zentrum er-
langt bundesweite Bedeutung: Der Bun-
desgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat
am Freitag den Fall der Schwabinger „El-
ki“ verhandelt. Bewohner des Hauses na-
he dem Kurfürstenplatz hatten den Ver-
ein verklagt, der das Zentrum betreibt –
in den Elki-Räumen sei nur eine Nutzung
als Ladengeschäft erlaubt, außerdem ge-
he die Geräusch-Beeinträchtigung durch
das Zentrum weit über die einer norma-
len Kindertagesstätte hinaus, weil auch
Musik- und Sprachkurse sowie Eltern-
Zusammenkünfte angeboten werden.
Das Landgericht und das Oberlandesge-
richt in München hatten den Klägern
Recht gegeben. Dagegen war der Elki-Ver-
ein in Revision zum BGH gegangen.
Es gehe um eine grundlegende rechtli-
che Frage, wie Dietlind Weinland erläu-
tert, Richterin und Mitglied des V. Zivilse-
nats – nämlich um den Paragrafen 22 des
Bundesimmissionsschutzgesetzes. Er be-
sagt, dass von Kindertageseinrichtun-
gen, Kinderspielplätzen und ähnlichen
Einrichtungen „keine schädliche Umwelt-
einwirkung“ ausgeht, weshalb Lärm-
schutzwerte dort ohne Belang sind. Gilt
diese Regelung nur im öffentlichen

Recht, also etwa, wenn sich ein Bürger
von einem städtischen Kindergarten ge-
stört fühlt? Oder ist sie auch in einem zi-
vilrechtlichen Streit anzuwenden wie im
Elki-Fall, wo ein Miteigentümer der Im-
mobilie gegen einen Mieter klagt? Diese
Frage ist bislang höchstrichterlich noch
nicht geklärt, was auch der Grund ist, war-
um sich der BGH mit dem Fall befasst.
Die zweite entscheidende Frage wird
sein, ob Elki überhaupt als Kinder-Ein-
richtung angesehen werden kann. Aus
Sicht des Eigentümer-Anwaltes ist die Sa-
che klar: „Das Familienbegegnungszen-
trum ist keine Kita.“ Die Hausbewohner
müssten deshalb Lärm nicht tolerieren.
Hinter diesen Problemen tritt die dritte
ausschlaggebende Frage etwas zurück –
die, ob die Bestimmung, die Räume dürf-
ten als „Laden mit Lager“ genutzt wer-
den, auch ein Eltern-Kind-Zentrum um-
fassen könnte, wo doch etwa eine An-
waltskanzlei dort problemlos arbeiten
dürfte. Der Bundesgerichtshof will sein
Urteil am 13. Dezember verkünden – mit
grundlegenden Auswirkungen nicht nur
für Elki, sondern für Kita-Betreiber wie
Immobilienbesitzer in ganz Deutsch-
land. stephan handel

Die Justizvollzugsanstalt Stadelheim,
Bezugsjahr 1894, steht in München Gie-
sing und ist – gemessen an der Zahl
der Gefangenen – das größte Gefäng-
nis Deutschlands. Nach Angaben der
Gefängnisleitung sitzen derzeit etwa
1430 Männer aus 70 Nationen in Stadel-
heim ein, die meisten aus Deutsch-
land. Hinzu kommen knapp 130 Frau-
en in einem angrenzenden Bau. Zusätz-
lich sind 20 Jugendliche unter 18 Jah-
ren und 80 junge Männer zwischen 18
und 21 untergebracht. Nach Stadel-
heim kommen überwiegend Untersu-
chungshäftlinge, die dort maximal für
ein Jahr bleiben, teilweise aber auch
nur tageweise. Die Fluktuation ist
hoch, 5000 Häftlinge gehen pro Jahr in
Stadelheim aus und ein. In den Zellen
des 14 Hektar großen Gefängnisareals
werden aber auch verurteilte Straftä-
ter gefangen gehalten, die für mehre-
re Jahre oder gar „lebenslänglich“ ein-
sitzen“. Stadelheim hat 400 Justizvoll-
zugsbeamte, darunter 25 Frauen. Hin-
zu kommen 70 Beamtinnen, die sich
um das Frauengefängnis kümmern.
Sie alle sind dafür zuständig, dass das
Gefängnisleben 24 Stunden an sieben
Tagen in der Woche weiter läuft. KOEI

Hinter jedem Gitter sitzt ein Mensch


Schon dieAura des Gefängnisses Stadelheim ist bedrückend. Wie hält man es hinter diesen Mauern aus?
Ein Auftritt der Band „Roxaiten“ zeigt: Auch dort geht das Leben weiter

Mann fährt nach


Streit Fußgänger um


Dieb hinterlässt


Karte mit Namen


Die Grafinger Band spielt zwei Stunden lang
in der Gefängnismensa in Stadelheim.
Ihr Publikum sind Menschen aus
aller Herren Länder, die das Leben in einer be-
stuhlten Blechhalle zusammengeführt hat.
FOTOS: KORBINIAN EISENBERGER

Zu laut für einen Laden?


Karlsruher Richterverhandeln über Eltern-Kind-Zentrum


Die Roxaiten (v. links): So-
phia Jeanty, Lukasz Kolny,
Martin Deubel, Tonmann
Philippe Jeanty, Max Leut-
mayr und Klaus Beslmüller.
Vorne: Michael Zaunick.

1430 aus 70Ländern



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