Süddeutsche Zeitung - 21.09.2019

(Greg DeLong) #1
interview: franz kotteder

S


eit 150 Jahren gibt es den Schichtl
auf dem Oktoberfest, er ist damit
nach der Festhalle Schottenha-
mel der zweitälteste noch existie-
rende Betrieb auf der Wiesn. Der
Schichtl ist aber auch Manfred Schauer.
Der 66-Jährige ist der Rekommandeur je-
ner bunten Schaustellertruppe, der Inha-
ber des „internationalen Provinztheaters“,
das vor allem durch seine „Enthauptung ei-
ner lebenden Person auf offener Bühne“
bekannt ist und weitere typische Jahr-
markts-Attraktionen im Angebot hat. Seit
34 Jahren ist Manfred Schauer Inhaber
und Gesicht des Schichtl. Der Mann ist ei-
ne wahre Kalauerschleuder, zu einem Med-
ley aus Musikstücken des Films „Blues Bro-
thers“ und mit bisweilen fast valentines-
ken Sprüchen lockt er die Leute in sein Vari-
eté und ist über die Jahre selbst zu einem
Münchner Original geworden.


SZ: Herr Schauer, Sie sind jetzt zum
35.Mal auf der Wiesn, haben Sie noch
nicht genug?
Manfred Schauer: Also, früher sagten die
Leute: „Wie lange machst du das schon?
Acht Jahre? Wahnsinn!“ Heute sagen sie:
„Wie lange willst du das denn noch ma-
chen?“ Aber ich habe halt Bedenken, ob
der Schichtl die 175 Jahre noch schafft. Die
Wiesn verändert sich sogar dann, wenn sie
gerade gar nicht stattfindet. Sie ist sowieso
Münchens gönnerintensivste Zone, bar jeg-
licher Eitelkeit. Und die Bescheidenheit,
die auf diesen paar Hektar unterhalb der
Bavaria herrscht, die ist schon toll. Deshalb
werde ich mich ganz gegen meine Art zu-
rückhalten und vor der eigenen Türe keh-
ren. Aber es wird der Tag kommen, an dem
ich aufhöre, und dann hoffe ich, nicht de-
ment zu sein.
Seit Sie 1985 den Schichtl übernommen
haben, haben Sie sicher einiges erlebt.
Für mich ist das eine geostationäre Weltrei-
se, hier läuft quasi der ganze Planet an mir
vorbei. In den vergangenen 33 Jahren wa-
ren jeweils durchschnittlich 6,3 Millionen
Menschen auf der Wiesn, das sind bis heu-
te insgesamt 207 900000 Menschen, die
theoretisch zum Schichtl hätten gehen kön-
nen. Gekommen sind ungefähr die letzten
fünf Nullen, vielleicht mit einer vier davor.
Wie sind Sie selbst zum Schichtl gekom-
men?
Zu Fuß, weil mit dem Auto kann man nicht
hinfahren.
Anders gefragt: Wie wurden Sie 1985 zum
Schichtl?
Ich war nie im Schichtl, ich war nie vor dem
Schichtl, ich war damals seit 20 Jahren in
der Großmarkthalle und habe mit grünen
Löchern gehandelt – Adventskränze, Fried-
hofskränze.
Das war ja eher ein trauriger Beruf, oder?
Kann man so nicht sagen. Auf meinem Lie-
ferauto stand anfangs: „Schauer – schnel-
ler als der Tod!“ Dann sagten die Leute von
den Blumenläden und Bestattungsunter-
nehmen, an die ich geliefert habe: „Das
kannst du noch nicht machen, wir haben
Kundschaft im Laden, deren Angehörige
grad gestorben sind, und du kommst mit
so einem Auto daher!“ Dann habe ich halt
draufgeschrieben: „Keine Trauer ohne
Schauer!“
Dieser Humor passt immerhin zu einem
Varieté, in dem geköpft wird. Aber warum
übernahmen Sie den Schichtl?
Ein Spezl von mir hatte damals den glei-
chen Steuerberater wie Franziska Eichels-
dörfer, sie war die Vorbesitzerin vom
Schichtl. Die Dame war damals schon 84
Jahre alt und hat ihren Steuerberater ge-
fragt, ob er jemand wüsste, der den Laden
übernehmen wolle. Der hat das meinem
Spezl und dem Gerd Käfer erzählt. Wir wa-
ren damals mit einer gewissen Naivität aus-
gestattet, die partiell noch heute in mir
haust, und haben uns gesagt: „Klar, das ma-
chen wir!“ Wir haben uns also beworben
und bei Frau Eichelsdörfer vorgesprochen.
Die war dann einverstanden, und weil wir
wussten, dass der Gerd Käfer schon bei ihr
gewesen war, fragten wir, was denn mit
dem Mitbewerber sei? Sie sagte: „Der war
gestern, am Sonntag, da und wollte gleich
bar bezahlen. Aber jemand, der am Sonn-
tag mit so viel Geld rumläuft, der kann
nicht seriös sein.“ Das muss man sich mal
vorstellen! Nur deshalb hatten wir den Zu-
schlag bekommen. Für mich war der Gerd
Käfer ganz sicher kein unseriöser Mensch,
das hab’ ich in dem Fall aber einfach wegge-
schwiegen.
Der Start war dann aber nicht mehr ganz
so einfach?
Allerdings! Frau Eichelsdörfer war mit ih-
ren 84 Jahren nicht mehr so ganz mittei-
lungsfähig, aber es hieß, sie habe einen
langjährigen Mitarbeiter, der könne mir al-
les erklären. Als ich ihn traf, stellte sich her-
aus: Der war auch schon 89 und nicht mehr
so ganz auf der Höhe der Dinge ... Als ich
dann anfing, hat mich das Ensemble hin-
ten und vorne geschnitten, weil sie gesagt
haben: „Der Depp hat doch null Ahnung.“
Die haben mir das Leben sehr schwer ge-
macht. An meinem vierten Tag habe ich
mir gedacht: „Entweder du meldest dich
krank, oder du lässt dir gleich einen Toten-


schein ausstellen.“ Aber dann hat es mich
gepackt, und ich habe das mit großer Ener-
gie gegen alle inneren Widerstände durch-
gezogen. Am Ende hat mich das Publikum
angenommen, damit war die Sache gelau-
fen. Den Ritterschlag habe ich dann von
derSüddeutschenbekommen, die schrieb
über mich unter dem Titel: „Der große
Schaustehler vom Oktoberfest“.
Es ist nicht leicht, sich durchzusetzen,
wenn man ein Varieté mit so langer Tradi-
tion führt. Die öffentliche Hinrichtung
zum Beispiel gibt es schon ewig, oder?
Seit 1872. Drei Jahre, nachdem der Schichtl
auf der Wiesn angefangen hat, hat er die-
sen Trick aus Frankreich mitgebracht. Die
sind ja damals sehr viel gereist. Der
Schichtl hat mit seiner Enthauptung ja di-
verse politische Strömungen und zwei
Weltkriege überlebt. Ich bin gespannt,
wann es mal heißt: Eine Hinrichtung ist
nicht komisch. Wir hatten früher mal eine
Tafel draußen stehen, auf der stand nur:
„Heute Hinrichtung“. Die habe ich inzwi-
schen weggenommen, weil ich mir dachte:
Wenn das so ohne Zusammenhang fotogra-
fiert wird – das muss nicht sein. Die Leute
werden immer empfindlicher, wehleidiger
und eitler auf der Suche, ihre hehre Moral
zu veräußern. Jetzt hat der Ringo eine Ta-
fel in der Hand, auf der steht: „20 Prozent
auf alles – außer Eintrittskarten.“

Wer ist der Ringo?
Der Ringo ist ein Versehen der Evolution,
der hat das Aussterben vergessen. Der ist
seit dem ersten Wiesnsamstag 1985 bei
mir dabei. Über einen Spezl aus der Groß-
markthalle habe ich ihn kennengelernt.
Der sagte mir, er kennt da einen, der ist
beim Atzinger in Schwabing Schankkell-
ner. Und ich gehe in den Atzinger rein und
denke mir: „Öha! Ist das eine Geisterbahn
mit Ausschank?“ Das war der Ringo. In den
34 Jahren war ich einmal zweieinhalb und
einmal einen halben Tag krank – der Ringo
nie. Wir bereiten uns auf seinen 100. Ge-
burtstag vor, weil der vergisst das Sterben
mit Absicht. Ich sage immer: „So schaut
Gammelfleisch aus, wenn es noch lebt.“
Das ist ja ein super Umgangston!
Gell? Nein, im Ernst: In Wirklichkeit sind
wir schon eine richtig tolle Gemeinschaft.
Wir, elf Leute, leben 16 Tage lang auf ein
paar Quadratmetern zusammen. Und
wenn du da einen Querulanten hast oder ei-
nen, der dauernd nörgelt, dann ist das Gift
fürs ganze Klima. Aber ich habe anschei-
nend das Händchen, die Talente zu erwi-
schen, die zusammenpassen. Unser Auf-
enthaltsraum heißt „Pumakäfig“, da erzäh-
len wir uns Geschichten oder Witze, und
manchmal sind wir gemeinsam müde oder
schweigen gemeinsam. Seit vergangenem
Jahr gibt es bei uns auch ein Handyverbot,
das ist sehr gut fürs Sozialgefüge, und in
bräsige Gesichter schlich sich bald breites
Grinsen. Ja, wir haben wieder mehr mitein-
ander geredet, geschimpft und geblödelt.
Die Vereinsamung durch iPhone und Co.
ist ein akutes Gegenwartsproblem.
So wird man als Varietétheater also
150Jahre alt.
Es liegt an der Begeisterung für die Sache!
Ich bin in 150 Jahren erst der vierte Inha-
ber, das sagt auch schon was. „150 Jahre
Tradition und Leidenschaft – das internati-
onale Provinztheater, seit 1869 auf der
Wiesn“, das steht jetzt bei uns auf der Fassa-
de. Und: „Die Brutstätte bayerischer
Vor- für restdeutsche Nachdenker.“ Das
sind so Formulierungen, die mir gefallen.
Oder vielleicht schreibe ich auch ein Buch:
„Schichtls visionäre Vergangenheit ein-
schließlich gestern.“ Untertitel: „Wie kom-
me ich nur weiter, ohne dass ich hier weg-
muss?“
Die Leute wollen einerseits das Altbewähr-
te, aber andererseits wäre Abwechslung
auch nicht schlecht?
Haben wir auch. Wir haben jedes Jahr zwei
neue Nummern, die Enthauptung bleibt.
Wie sind Sie eigentlich auf die Parade vor
der Vorstellung mit dem Blues-Brothers-
Medley gekommen?
Ende der Siebzigerjahre, als der Film raus-
gekommen ist, war ich der einzige Mensch
im Kino, der zu beten angefangen hat. Das
waren damals für mich die besten Musiker
der Welt. Ein Musikfilm vom Allerfeinsten.
Ich habe bis dahin ja immer nur Blasmusik
gespielt, und vorsichtig mal ein bissl was
Flottes. Ich bin auch noch mit der Leder-
hosn auf die Wiesn gefahren und habe
mich dann hier umgezogen mit Frack und
Zylinder. Irgendwann habe ich mir ge-
dacht, das ist doch alles ein Schmarrn. Die
Blues Brothersgefallen dir, und die Leder-
hose lässt du jetzt an. Dann hatte ich noch
einen Trachtenjanker, auf den habe ich so
ein paar Stofffetzen mit Leopardenmuster
draufgenäht. Den Leopardenstil habe ich
schon Ende der Achtzigerjahre auf die
Wiesn gebracht! Die ersten, die es nachge-
macht haben, waren dieCagey Stringsim
Hackerzelt, mit ihren Leopardensakkos,

und dann kam auch noch dieMünchner
Zwietracht.
Und schließlich kam auch noch die Musik
aus dem Film dazu?
Ja. Ich bin von Haus aus schon ein dynami-
scher Mensch, ich habe schon Kraft und
Temperament. Da hat die Musik dann ge-
passt wie das Schwein aufs Sofa.
Anstrengend ist die Show aber schon?
Natürlich. Nach drei Tagen tun dir Sachen
weh, von denen hast du zuvor noch nie et-
was gehört. Wir stehen da zehn, zwölf Stun-
den draußen und tragen unsere Haut zu
Markte. Wir machen bis zu 30 Vorstellun-
gen am Tag, bei Regen 17 bis 18. Im Schnitt
sind das 25 am Tag, also rund 400 während
der Wiesn. Das machen wir nicht nur aus

Leidenschaft so oft. Sondern weil wir sonst
wieder alles vergessen(lacht).Lange Pau-
sen können wir uns gar nicht leisten!
Aber man erlebt wenigstens was.
Das stimmt. Nur kann man nicht 25 mal
am Tag großartig sein. Es ist manchmal ein-
fach ein bluthartes Geschäft. Wenn’s reg-
net sowieso. Aber wir spielen manchmal
auch vor vier oder fünf Leuten. Es hat kei-
nen Sinn, dass man eiert. Das muss man
durchziehen. Das ist wie beim Joggen:
Wenn du rumeierst, hast du schon verlo-
ren. Andererseits hatte ich auch mal einen
Zuschauer, der kam vor der Vorstellung
draußen auf die Bühne und hat alle drun-
ten eingeladen. Der hat tatsächlich für
25Leute bezahlt. Das war schön. Ein ande-

res Mal mach’ ich grade meine Parade vor
dem Zelt, und die Leute johlen lauthals. Ich
denke mir schon: „Wow, heute bin ich rich-
tig gut!“ Dann sehe ich, dass hinter mir ei-
ne steht, die sich ausgezogen hat und oben
ohne tanzt.
Der Schichtl ist aber nicht nur lustig, son-
dern auch sozial engagiert...
Die Münchner Tafel unterstütze ich gerne,
weil man da auch sieht, wo das Geld hin-
geht, und dass es etwas bewirkt. Es gibt
hier in München schon mehr spürbare als
sichtbare Armut. Und ich erachte es auch
nicht als selbstverständlich, gesund zu
sein. Und das, was ich habe, dafür habe ich
sehr viel gearbeitet. Es gibt sicher Men-
schen, die arbeiten noch mehr und haben

einfach Pech gehabt. Nehmen wir nur mal
den Handwerker, der damals beim Len-
bach-Palais einen Millionenauftrag bekom-
men hat. Der hat sich ein Loch ins Bein ge-
freut und seine Leute alle brav bezahlt, und
dann geht der Investor pleite. Dann sieht
der nichts von seinem Geld. Da kannst du
noch so fleißig sein und so clever, wie du
willst, da hast du keine Chance mehr.
Sie haben sich auch an der sogenannten
1.Bayerischen Biergartenrevolution aktiv
beteiligt.
Ich bin 1993 dem Verein zur Förderung der
Münchner Biergartenkultur beigetreten
und habe da als Geschäftsführer den Bier-
garten-Trauermarsch organisiert, der war
am 14. Mai 1993. Zwei Jahre später, am 12.
Mai 1995, habe ich die Biergarten-Revoluti-
on am Marienplatz mitorganisiert. Das ist
sehr durch die Medien gegangen, dass da
an einem Freitagnachmittag 25 000 Leute
hinkamen. Damals wollte man nachmit-
tags um neun die Biergärten zusperren.
Ich habe damals in meiner Rede gesagt:
„Wie soll ich das meinen Freunden in der
Türkei und meinen Schwiegereltern in
Recklinghausen erklären, dass bei uns
nachmittags um neun Uhr Hunderttau-
send zum Schlafen geschickt werden, nur
weil fuchzig miad san?“ Der Satz hat Furo-
re gemacht. Und der Erfolg hält bis heute
an. Das war eigentlich die größte Nummer,
die ich – bis jetzt – abgeliefert habe.
Hadert man als Inhaber eines solchen Tra-
ditionsunternehmens nicht mit einer
Stadt, die sich laufend verändert?
Münchens indigene Bevölkerung, wie
auch die bayerische schlechthin, ist quanti-
tativ, traditionell und überhaupt im Rück-
zug begriffen. Wir werden immer weniger,
das heißt, wir können das nur dadurch
kompensieren, dass wir besser werden.
Und wenn ich mir das Umfeld so an-
schaue ... Ich bin Humanist und Menschen-
freund, sonst brauchst du auf der Wiesn
gar nicht erst anfangen. Jeder, der mich in
Frieden lässt und mir nichts tut, ist mir
recht. Natürlich habe ich auch meine Vorur-
teile, und die pflege ich. Denn Vorurteile er-
sparen einem oft das Nachdenken(lacht).
Ist doch so! Wobei: Auch Vordenken er-
spart oft das Nachdenken. Viele Leute ha-
ben ja schon ein Problem mit dem Mitden-
ken. Wir haben hier halt den für eine Groß-
stadt üblichen Zuzug von ausländischen
Leuten, die herkommen, plus restdeutsche
Süddrängler, die die hohen Mietpreise be-
klagen, aber selber verursachen. Sehen
wir’s mal so rum! Ich wollte mir letztes Jahr
ein gebrauchtes Hochhaus kaufen. Ich
hab’s dann sein lassen, weil das einzige,
was ich mir hätte leisten können, wäre ein
Tiefgaragenplatz gewesen. Aber auch den
könnte man heute schon für 500 Euro ver-
mieten, wenn er einen Wasseranschluss
aufweisen kann(lacht).

Neben den Mieten freut Sie auch das The-
ma Radverkehr in München.
Ich fahre gerne Rad, ich habe mir erst ein
Pedelec gekauft, weil es praktisch ist. Aber
ich bin auch leidenschaftlich gerne ge-
sund. Das heißt: Bei Rot stehen bleiben,
Hand raus, wenn ich abbiege. Meine Freun-
de sagen schon, ich bin ein Spießer. Aber
nachts ohne Licht? Entschuldigung, da
musst du blöd sein. Da haben die einen
Helm auf, wegen der Sicherheit, aber kein
Licht an. Das verstehe ich nicht. Oder auch
jetzt die Diskussion um die Elektroroller.
Wie bescheuert muss man eigentlich sein,
die auf der Busspur fahren zu lassen? Da
sitzen 40 Leute im Bus, 20 stehen, und vor-
ne rollert ein einziger vor sich hin und hält
alle anderen auf, das begreife ich nicht...
Aber letztlich sind wir alle Fußgänger! Es
geht doch keiner mit dem Fahrrad ins Bett.
Im Auto könnte ich ja noch schlafen, aber
nicht auf dem Radl. Schwieriges Thema.
Wie sieht’s mit dem Auto aus?
Das ist kritisch zu betrachten. Bis ich einge-
stiegen bin(lacht).Ich fahre einen ziemlich
alten Chrysler. Der braucht 4,2 Liter. Zum
Anlassen. Der ist definitiv eine Sünde. Ich
bin zu Hause kategorisch umweltscho-
nend, Mülltrennung sowieso, ich mach’s
Licht aus, wo’s nur geht, die größte Leuch-
te im Haus bin ich ja selber. Also das sind
schon fast schottisch-schwäbische Ambiti-
onen. Aber wie es halt so ist: Man kann ei-
nem Mann sagen, seine Frau ist greislig
und seine Kinder sind damisch. Aber sag
ihm nicht, dass er schlecht Auto fährt. Da
kannst du leichter ein Gespräch über Impo-
tenz führen. Und dann gibt es diese Brüllaf-
fen. Wie arm muss man sein, dass man mit
einem Auto, das über 100 000 Euro kostet,
mit Vollgas auf eine rote Ampel zurast, den
Stempel reinhaut, nur weil man neben ei-
ner mehrfach oder peinlich berührten Da-
me sitzt? Was gibt das denen? Und dann
kann man bei jeder Automarke als Zube-
hör einen „Sportauspuff“ kaufen. Die Be-
griffe „Sport“ und „Auspuff“ krieg ich
nicht unter einen Hut. Es ist schon arm.
Wo geht’s hin mit München?
Fragen S’ mich übermorgen, wie’s gestern
war(lacht).In 40 Jahren wird der Flugha-
fen stillgelegt. Nicht, weil der Berliner
dann fertig ist, sondern weil unserer dann
im Stadtzentrum ist. Deshalb bin ich abso-
lut gegen eine dritte Startbahn, weil wenn
die bloß starten und nicht landen, dann
sind wir ja bald leer. Wir brauchen, wenn
schon, eine Mehrzweckbahn.
Kann man es noch aushalten in der Stadt?
Es ist ein Glück für mich, hier leben zu dür-
fen, das ist mir sehr bewusst. Auch in Bay-
ern zu sein, ist einfach schön. Das lebe ich
auch. Man ist ja hier gleich in Südbayern: In
vier Stunden bist du am schönsten bayeri-
schen See, den wir den Italienern spendiert
haben, dem Gardasee(lacht).Die Lebens-
qualität ist enorm. Und unsere Stadtregie-
rung war immer liberal, das ist doch etwas
wert.

Am Montag feiert das Varietétheater
Schichtl seinen 150. Geburtstag, zum
Empfang kommt die gesamte Stadt-
spitze. Michael August Schichtl hieß
der erste Chef, der sein „Zauberthea-
ter“ 1869 zusammen mit seinen zwei
Brüdern erstmals auf das Oktober-
fest brachte. Schon drei Jahre später
brachten die drei aus Frankreich ei-
nen neuen Trick mit, der bis heute
im Programm ist: „Die Enthauptung
einer lebenden Person auf hell er-
leuchteter Bühne“. Dabei gibt’s im
Theater noch eine Reihe anderer
Nummern, wie es sich für ein ordent-
liches Varieté gehört – von der Jongla-
ge bis zum Akrobaten, vom Zauberer
bis zum Clown. Und das alles zum
Eintrittspreis von sechs Euro. fjk

Seit dem Jahr 2001 gibt es beim Schichtl
„Panem et circenses“, also Brot und Spie-
le. Damals erfand Manfred Schauer das
Wirtshaus im Schichtl, „ohne das es heu-
te keinen Schichtl mehr geben würde“:
Die Gastronomie subventioniert gewis-
sermaßen das Theater. Dabei ist es im
Vergleich noch nicht einmal besonders
teuer. Denn auf den Tisch kommen öko-
logisch produzierte Lebensmittel von
den Herrmannsdorfer Landwerkstät-
ten, und das zum gleichen Preis wie in
den großen Zelten. Und auch was den
Bierpreis angeht, ist der Schichtl eigen.
Er weiß ja, wie sehr die Münchner dar-
auf achten. „Vergangenes Jahr war ich
der Billigste mit dem Bier“, sagt er,
„2006 hab’ ich sogar den Preis gesenkt
im Vergleich zum Vorjahr.“ fjk

„Geboren im Frühling 1953 als Sohn sei-
ner Eltern“, beginnt seine Kurzbiogra-
fie. Das war zwar im mittelfränkischen
Weißenburg, aber schon mit zwei Jah-
ren kam er nach München. Seine Kind-
heit verbrachte er „in Sendling, in der
Kürnbergstraße 24, Lesen und Schrei-
ben habe ich in der Gotzinger-Schule ge-
lernt“. Die Eltern zogen dann nach
Solln, wo Schauer heute noch lebt. Er
machte eine kaufmännische Schul- und
Lehrausbildung; 1976 gründete er seine
erste Firma. 30 Jahre lang war er damit
in der Großmarkthalle vertreten. Schau-
er schrieb auch das Buch „So schmeckt
das Oktoberfest“ mit Rezepten und An-
ekdoten. Mit dem eigenen Veranstal-
tungsservice bietet er heute unter ande-
rem moderierte Floßfahrten an. fjk

Der Schichtl


REDEN WIR ÜBER MÜNCHENMIT DEM SCHICHTL


Der Schauer Das Wirtshaus


Wo geht es hin mit München?
„Fragen S’ mich übermorgen,
wie’s gestern war.“

„Es ist
manchmal ein
bluthartesGeschäft.“

FOTOS: ROBERT HAAS (3), CATHERINA HESS

„Die


Enthauptung


bleibt“


Manfred Schauer, der Schichtl
vom Oktoberfest, über die Veränderungen
in der Stadt, soziales Engagement
und die Strapazen der Wiesn

R6 LEUTE Samstag/Sonntag, 21./22.September 2019, Nr. 219 DEFGH

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