Süddeutsche Zeitung - 21.09.2019

(Greg DeLong) #1
von johannes korsche

Ä


rzte und Pflegepersonal eilen
durch die Gänge, Patienten in
Krankenhaushemden werden
in Rollstühlen durch die Gänge
bugsiert, während sich die stra-
ßentauglich Angezogenen an der Informa-
tion versammeln, um den Weg durch das
Labyrinth des Klinikums Bogenhausen zu
erfragen. Der Sound der Hektik erklingt
schon in der Eingangshalle des Klini-
kums; schnelle Schritte, leise Gespräche,
flaches Atmen. Das kühle Krankenhaus-
licht lässt die Gesichter müder und älter
aussehen, lässt Augenringe dunkler, Fal-
ten tiefer wirken. In Krankenhäusern geht
der Kopf den Füßen voraus. Umso mehr
fällt die Ruhe auf, die gerade einmal 30
Schritte vom Haupteingang entfernt ist.

Nach diesen 30 Schritten stehen die Be-
sucher in der Stille, in der Klinikkapelle.
Das Krankenhausgeschwirr scheint auf
einmal sehr viel weiter weg zu sein als nur
hinter einer Holztür. Das harte Neonröh-
renlicht des Gangs weicht einem warmen
Licht in dem fast gänzlich holzvertäfelten
Raum. Das Licht kommt nicht mehr nur
von Lampen an der Decke, sondern von
rechts. Dort schlängeln sich fünf Glaspa-
neele zu einer Fensterwand, die Tageslicht
in die Kapelle hinein lässt. Der raumhohe
Fensterparavent ist jeweils unterteilt in 60
auf 90 Zentimeter große Scheiben, dazwi-
schen dunkelgrüne Querstreben. An den
Rändern ziehen sich zwei schmale, senk-
rechte Striche die Fensterwand entlang, ei-
ner eher grünlich, einer eher bläulich-tür-
kisfarben. Sie rahmen das mittige Milch-
glas ein, durch das der Klinikgarten im-
pressionistisch schimmert. Von der Decke
tropft gelbgoldenes Glas nach unten, die
horizontale Linien immer wieder durch
schräge Blitze aufgebrochen. Wie Jalou-
sien, die mal mehr, mal weniger offen
sind, geht das gelbe Band bei dem einen
Fenster weiter oben, beim anderen Fens-
ter erst weiter unten in das Milchglas über.
„Die Gestaltung von oben“, sagt Glas-
künstlerin Eva Sperner, die vor mehr als
35 Jahren die Fenster entwarf und umsetz-
te, „ist, um den Blick zu heben.“ Sie meint
damit die blickfangenden „Sonnenrollos“,
wie sie die gelben Bänder nennt. Denn fast
automatisch wandert der Blick nach oben;
Und unmerklich nimmt der Kapellenbesu-
cher dabei eine andere Körperhaltung ein
und richtet sich auf. In einer Klinikkapelle
sei das besonders wichtig, „die Menschen
brauchen hier Aufrichtung“, sagt Sperner.
Im doppelten Sinne.
„Die Kapelle besuchen Menschen, die
suchen“, sagt Clement Edathumparampil,
Menschen, die umgeben von Krankheit
und Tod „nach dem Sinn fragen.“ Er leitet
seit gut einem Jahr die katholische Seelsor-
ge im Klinikum Bogenhausen. „Die Leute
sagen: Mit Kirche habe ich gar nicht so viel
zu tun, aber in die Krankenhauskapelle ge-
he ich“, ergänzt seine evangelische Kolle-
gin Christine Günther. Während im Klinik-
alltag vor allem die körperliche Gesund-
heit in den Blick drängt, sei die Kapelle da-
für da, der „spirituellen Dimension“ des
Menschen einen Raum zu geben. Natür-
lich sei die Kapelle ein sakraler Ort, aber
das Christentum steht dabei nicht im Vor-
dergrund, sagen beide Seelsorger. Sie ha-
ben auch einen Gebetsteppich vor eines
der Fenster gelegt. Für Mitarbeiter, Patien-
ten oder Angehörige muslimischen Glau-
bens. Jährlich besuchen circa 85 000 Pati-
enten das Klinikum Bogenhausen, 35 000
davon bleiben mindestens einen Tag und
eine Nacht. Die Kapelle ist für alle „wie ein
Wohnzimmer“, sagt Edathumparampil,
„ein Ort der Stille und Geborgenheit“.
In diesen kleinen Gefühlsbeschreibun-
gen zeigt sich, dass Sperners Idee, die sie
1982 entwickelte, ohne überhaupt den Ka-
pellenraum zu kennen, für ihren Glaspara-
vent aufgeht. Der Kirchenraum war da-
mals noch gar nicht fertig, die Klinik eröff-
nete erst zwei Jahre später. Sie kannte da-
mals nur die in knappen Worten gefasste
Beschreibung der künftigen Kapelle.
125 Quadratmeter groß, eine kühle Lichtsi-
tuation durch die Nord-Ost-Ausrichtung

der Fenster, auf die deswegen die Sonne
nie direkt scheint. Und eine Vorgabe aus
der Ausschreibung: Eine freundliche At-
mosphäre sollten die Fenster schaffen. Ei-
ne goldgelbe Farbe zu verarbeiten, war da-
her für Sperner „naheliegend“, um das
kühle Nordlicht aufzufangen. Aber etwas
anderes war ihr mindestens genauso wich-
tig. Wer die Kapelle betrete, „will für sich
sein, zu sich kommen“, sagt Sperner. Man
könnte auch sagen: sich geborgen fühlen.

Deswegen habe sie sich für großflächi-
ge, satinierte Gläser entschieden, jene mit-
tigen Milchgläser, durch die der Klinikhof
mit unscharfen Farbklecksen durch-
scheint. Außerdem bekämen die Fenster
so ihre Lebendigkeit. Im Sommer scheint
das saftige Grün der Hecken durch, im

Herbst schimmern Rot- und Gelbtöne der
Laubbäume in die Kapelle. „Trotzdem
wird man nicht eingenommen von dem,
was draußen passiert“, sagt sie, als sie
selbst vor dem Fenster steht und das Milch-
glas anfasst. Der Blick hinaus erinnert an
Beschreibungen, wie Ungeborene im Mut-
terleib ihre Umwelt wahrnehmen sollen.
Gedämpft und geborgen; die Außenwelt
nur vermutet, aber nicht scharf umrissen.
Die Kapellenfenster waren Sperners ers-
te öffentliche Auftragsarbeit, gut zehn Jah-
re, nachdem sie als Bundessiegerin im
Glas- und Porzellanmaler-Handwerk aus-
gezeichnet worden war. Auf 40 000 Mark
war ihr Budget für die Fenster damals be-
grenzt, heute würde das bei weitem nicht
ausreichen. Allein die Materialpreise seien
seither sehr gestiegen. Ein Dreivierteljahr
hat sie an den insgesamt 42 individuell ge-
stalteten Glaspaneelen gearbeitet. Dabei
unterschiedlichste Glassorten und Verar-
beitungstechniken verwendet. Für die
grünlichen „Farbsäulen“ an den Rändern
beispielsweise Echtantik-Glas.
Bei dieser Herstellung werde eine gut
ein Meter hohe Flasche geblasen, sagt
Sperner und deutet mit der Hand an, wie
hoch diese Flasche wäre. Anschließend
schneidet der Glasmacher den Flaschen-
hals und Boden ab und entlang einer Linie
auf, um schließlich den Glaszylinder in ei-
ne flache Platte zu bügeln. „Seit mehr als
800 Jahren ist dieses Verfahren gleich“,
sagt Sperner. Dieses Glas ist teuer, weil in

aufwendiger Handarbeit hergestellt, aber
zeichne sich durch eine „ganz besondere
Lichtbrechung“ und Brillanz aus.
Bei der Herstellung der „Sonnenrollos“,
so warm ihr Licht auch sein mag, kam so-
gar Säure zum Einsatz. Heute bearbeitet
Sperner Glas nicht mehr auf diese Weise,
auch weil es „gesundheitlich nicht das Al-
lerbeste“ ist. Vor allem aber, weil sie sich
dem Sandstrahlen verschrieben hat. Da-
mals hat sie das Glas, auf dem eine dünne
Schicht Farbe aufgebracht ist, aber noch
in Säure getaucht. Je länger das Glas in der

Säure liegt, desto mehr Farbe geht ab. So
entstehen individuelle Farbverläufe im
Glas. Nun darf nichts mehr schiefgehen, er-
klärt Sperner. Dabei deutet sie auf den
Farbverlauf in einem Sonnenrollo. Wenn
beim Zuschneiden eine Platte bricht,
„kann ich nicht einfach einen Streifen ei-
ner anderen Platte reinnehmen“. Es ist die-
se Detailversessenheit, wegen der Eva
Sperners Fenster die Kapelle so unauffäl-
lig prägen.
Erst beim Hinaustreten in den Klinikall-
tag, der natürlich während des Aufent-
halts in der Kapelle nicht zur Ruhe kam,
merkt man, wie gut es sich angefühlt hat,
als der Kopf kurz zu den Füßen gefunden
hatte. Und nicht schon dort war, wohin es
die Füße noch nicht geschafft hatten. Wie
gut es tat, als sich der Blick nach oben zu
den Sonnenrollos wandte, und der Körper
sich unmerklich aufrichtete.

In der SZ-Serie „Lichtspiele“ wurde zuletzt die Glas-
kunst in St. Christoph in der Fasanerie vorgestellt.
Die Seriewird in loser Folge fortgesetzt.

Oberföhring– Dererste Versuch im Sep-
tember 2018 war ein voller Erfolg. Sagen
zumindest Mara Roth und Lisa Schäfer
von der Genossenschaft für Quartiersorga-
nisation (GeQo) im Prinz-Eugen-Park. Vie-
le Nachbarn waren vor einem Jahr zum
Tag des offenen Quartiers dorthin gekom-
men, hatten Gemeinschaftsräume und
Bauprojekte besichtigt, das Mobilitätskon-
zept in diesem neu entstehenden Stadt-
viertel präsentiert bekommen und sich
von den Bewohnern die vielen Vernet-
zungsmöglichkeiten erklären lassen.

Auf dem Gelände der ehemaligen Prinz-
Eugen-Kaserne entstehen derzeit 1800
Wohnungen für gut 4000 Menschen. Die
Nachbarn ringsum waren dem Projekt zu-
nächst sehr reserviert gegenübergestan-
den, befürchteten sie doch unter anderem
eine starke Zunahme des Verkehrs in ih-

ren Straßen. Der Tag des offenen Quar-
tiers habe da manches Vorurteil ausräu-
men können, sagen Mara Roth und Lisa
Schäfer.
Die Neuauflage dieses Jahr findet an
diesem Sonntag, 22. September, in der
Zeit von 11 bis 17 Uhr statt. Der Bezirksaus-
schuss Bogenhausen hat der GeQo dafür
einen Zuschuss in Höhe von 4700 Euro ge-
geben. Geboten sind Musik, eine buntes
Kinderprogramm sowie Infostände und
Führungen. Diverse Foodtrucks versu-
chen den kulinarischen Geschmack der
Besucher zu treffen, Radfahrer bekom-
men vom zukünftigen Fahrradladen
„Stadtrad089“ kostenlose Sicherheits-
checks. Wieder werden Gemeinschafts-
räume geöffnet und Bauprojekte präsen-
tiert. Bereits vor Beginn des Fests können
Besucher um 10 Uhr an einer Führung
durch das Quartier teilnehmen. Treff-
punkt ist hierfür vor der Ruth-Drexel-
Grundschule.
Weitere Informationen zum Quartier
gibt es unter der Webadresse http://www.prin-
zeugenpark.de. croc/ust

Schöpferin des
Ruhepols:
Glaskünstlerin Eva
Sperner hat vor mehr als
35 Jahren die Fenster in
der Klinik-Kapelle
entworfen und umgesetzt.
FOTOS: CORINNA GUTHKNECHT

Berg am Laim– Das Berg am Laimer Kul-
turbürgerhaus, das an der St.-Michael-
Straße entstehen soll, wird nun auf den
Weg gebracht, das Kulturreferat hat ein
Nutzerbedarfsprogramm erarbeitet. Die-
ses bekommt nun der Berg am Laimer Be-
zirksausschuss vorgelegt in seiner nächs-
ten Sitzung am kommenden Dienstag,



  1. September, 19 Uhr, in der Mensa der
    Ludwig-Thoma-Realschule an der Feh-
    wiesenstraße 118. Das Gremium und
    ebenso der künftige Trägerverein wer-
    den eine Stellungnahme abgeben, ehe im
    Stadtrat der Grundsatzbeschluss gefasst
    wird. Das Stadtteilkulturzentrum soll
    auch Räume für die Volkshochschule be-
    inhalten. Zu dem Bauprojekt gehört fer-
    ner ein „Haus für Kinder“, welches der
    Stadtrat eigentlich auf der Fläche der grie-
    chischen Schule hatte ansiedeln wollen.
    Da die Griechen nun aber bekannterma-
    ßen doch noch bauen sollen, hat es dort,
    an der Hachinger-Bach-Straße keinen
    Platz mehr. Im Bezirksausschuss wird es
    zudem noch um Themen gehen wie den
    CSU-Antrag auf eine Quartiersgarage un-
    ter dem Grünen Markt oder den Eckda-
    tenbeschluss für die Bebauung der Stadt-
    werke-Fläche am U-Bahnhof Michaeli-
    bad. Diskutiert wird auch ein Anlieger-
    Antrag, die geplante Parkraumbewirt-
    schaftung auf die Hansjakobstraße auszu-
    dehnen. re


„Die Menschen


brauchen


Aufrichtung“


Wer durch die „Sonnenrollos“ in der Kapelle
der Klinik Bogenhausen blickt, nimmt
unmerklich eine gerade Haltung ein.
Ganz nach der Absicht von Künstlerin Eva Sperner

Neuperlach– Sie waren zur rechten Zeit
am rechten Ort: Zwei Rettungssanitäter der
Johanniter-Unfallhilfe machten am Don-
nerstag gegen 19.20 Uhr ihre Pause am Per-
lacher Einkaufszentrum. Plötzlich klopften
Menschen an die Krankenwagentür und rie-
fen um Hilfe: Ein Kleinkind bekam keine
Luft mehr und war bereits blau angelaufen.
Die Sanitäter entfernten einen festsitzen-
den Klumpen Babybrei aus den Atemwe-
gen. Das Kind wurde in Begleitung seiner El-
tern in ein Krankenhaus gebracht. ole


Vorurteile ausräumen


Im Prinz-Eugen-Park findet wieder ein Tag des offenen Quartiers statt


Die Farbsäulen wurden in
einem 800Jahre alten
Verfahren hergestellt

Bogenhausen – Die Stadtverwaltung
will die Münchner dazu bewegen, vom Au-
to aufs Rad umzusteigen, und experimen-
tiert mit verschiedenen Möglichkeiten,
Autostellplätze zeitweise in Fahrradab-
stellflächen umzuwandeln. Da ist zum ei-
nen das eher umstrittene „Flex-Parken“
an der Luisenstraße: Von 9 bis 23 Uhr dür-
fen auf einem Streifen an der Ecke zur Ga-
belsbergerstraße Fahrräder vor der TU
parken, nachts von 23 Uhr an dann Autos
im Parklizenzbereich. Eine andere Varian-
te ist der Pilotversuch „Saisonales Par-
ken“, der diesen Sommer vor der Eisdiele
am Rotkreuzplatz in Neuhausen startete:
Noch bis 31. Oktober stehen an der Schul-
straße zwei Autoparkplätze ausschließ-
lich für Räder zur Verfügung, Fahrrad-
ständer sind nicht aufgestellt. Das Pilot-
projekt soll zwei Jahre laufen, jetzt wird
es auf einen zusätzlichen Standort ausge-
weitet: Planungs-, Bau- und Kreisverwal-
tungsreferat schlagen vor, drei Autopark-
plätze vor dem Prinzregentenbad in den
Sommermonaten in Radstellplätze umzu-
wandeln, ebenfalls von 1. April bis 31. Ok-
tober und ebenfalls erst einmal für ein bis
zwei Jahre. Der Bezirksausschuss Bogen-
hausen hat keine Einwände. ust


Die Kapelle
ist für alle
wie ein
Wohnzimmer,
ein Ort der
Stille und
Geborgenheit.“

CLEMENT EDATHUMPARAMPIL

Stellungnahme zum


Kulturbürgerhaus


Sanitäter


retten Kleinkind


LICHTSPIELE


Flexibel


parken


Im Prinz-Eugen-Park in Oberföhring ent-
steht die größte Holzbausiedlung
Deutschlands. FOTO: FLORIAN PELJAK

Auf dem ehemaligen
Kasernen-Arealentstehen
Wohnungen für 4000 Menschen

Sakrale
Glaskunst
SZ-Serie · Folge 10

OSTEN


R8 STADTVIERTEL PMC Samstag/Sonntag, 21./22.September 2019, Nr. 219 DEFGH


(Änderungen vorbehalten)

Unternehmen in der Verantwortung (CSR)


Betriebe, die gesetzliche Lücken ausnutzen, um Gewinne auf
Kosten der Allgemeinheit zu machen, entziehen sich ihrer Verant-
wortung gegenüber den Mitarbeitern, Geschäftspartnern und der
Öffentlichkeit. Dass es anders geht, zeigen Unternehmen mit
Verantwortung.

Corporate Social Responsibility/CSR:CSR ist die Verantwortung
von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Dies
umfasst soziale, ökologische und ökonomische Aspekte. Eine
Bestandsaufnahme, wie in Deutschland Unternehmen mit dem
Thema umgehen.

Spendierfreudig: Immer mehr Betriebe engagieren sich für ihr
näheres Umfeld. Sach- und Geldspenden beispielsweise an die
örtlichen Sportvereine oder regionale Schule sind bei vielen
Betrieben mittlerweile Standard. Welche Möglichkeiten gibt es
außerdem?

Subunternehmer: Unternehmen, die CSR leben, haben auch ihren
Subunternehmern gegenüber eine Verantwortung. Wie können
Betriebe sicherstellen, dass auch ihre Zulieferer korrekt arbeiten?

Inhalte des Sonderthemas Termine


Erscheinungstermin:


  1. Oktober 2019


Anzeigenschluss:


  1. September 2019


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