DerKlima-Streik
Berliner Zeitung·Nummer 220·21./22. September 2019 3 **·························································································································································································································································································
A
uch in Dänemarksind am Frei-
tagzahlreicheMenschenaufdie
Straße gegangen.Aufdem Rathaus-
platzinderHauptstadtKopenhagen
kamen amMittag 2000 überwie-
gend jungeDemonstranten zusam-
men,wiederFernsehsenderTV2be-
richtete.EineSiebtklässlerinhieltein
SchildmitderAufschrift„MakeLove,
NotCO 2 “ind ieHöhe .EineMitschü-
lerin sagte demSender,sie wolle,
dass Erwachsene undPolitiker be-
greifen,dassesumdieZukunftihrer
Generation gehe.Insgesamt waren
nachAngabendesdänischenRund-
funks DR Klimaproteste an 19ver-
schiedenen Orten in Dänemarkge-
plant.(dpa)
KOPENHAGEN
M
it einer Hüpf-Aktion haben
junge Demonstranten inWar-
schau gegen dieEnergiepolitik der
polnischen Regierung protestiert.
„Wer nicht hüpft, der ist fürKohle“,
riefendie TeilnehmereinerKundge-
bung. An derDemo beteiligten sich
mehrer eTausendMenschen.Polens
Regierung setzt bei derEnergiever-
sorgungweiter auf Kohle.Das Land
erzeugt 80 Proz ent seinerEnergie
damit und hat den mit Abstand
höchstenKohleanteil aller 28 EU-
Länder.Bis2030sollennochimmer
60 Proz ent derEnergie ausKohle
stammen.Auch in vielen anderen
polnischenStädten gab es amFrei-
tagKlimademonstrationen.(dpa)
WARSCHAU
I
mVorfelddesUN-Klimagipfelsha-
benauchinNewYorkTausendefür
denSchutzdesErdklimasprotestiert.
Viele der Demonstranten waren
Teenager.Schüler hattenvonihren
Schulen dieErlaubnis erhalten, für
die Teilnahme an demProtest dem
Unterricht fernzubleiben. AmPro-
testmarschnahmauchdie16-jährige
schwedische AktivistinGreta Thun-
bergteil, die mit ihrem freitäglichen
Schulstreiks dieweltweite Protestbe-
wegung inGang gesetzt hatte.Sie
hoffe,dassderglobaleKlimastreikei-
nen „Wendepunkt für die Gesell-
schaft“ darstelle,sagte Thunberg.
Auch der NewYorker Bürgermeister
Billde Blasiomarschiertemit.(AFP)
NEW YORK
H
underte türkische Schüler sind
in Istanbul zum globalen Akti-
onstagfürmehrKlimaschutzaufdie
Straße gegangen.Rund 500 Kinder,
Jugendliche und ihreElternversam-
meltensichimRahmenvon„Fridays
forFuture“amFreitagnachmittagam
Hafen vonKadiköy auf der asiati-
schenSeiteder Bosporus-Metropole.
AufSchildernfordertensie„Klimage-
rechtigkeit“ und warnten: „Unser
Haus brennt“.Im August sorgte die
Abholzung großer Berg gebiete für
eine Goldmine an der Ägäis für eine
WellevonProtesten.Allerdingsgibtes
in der türkischen Öffentlichkeit bis-
her keine größereDebatte über die
Erderwärmung.(AFP)
ISTANBUL
„Wendepunkt für die Gesellschaft“: Greta Thunberg beim
Protestmarsch durch NewYork. DPA
„WirhabeneinschlechtesGewissen“
S
ie tragen ein Schild bei sich, und sie sehen
sehr stolz dabei aus: „Für meinEnkelkind.
Zukunftretten“,stehtaufderPappe.PetraMöl-
ler,61,undihrMannMichaelSchweig,62,ha-
bensichentschlossen,beimKlima-Streikdabei
zusein.VorzweiMonatenwurdeihrEnkelsohn
geboren.DasseiderwichtigsteGrund,fürden
Klimawandelzudemonstrieren,sagtPetraMöl-
ler.SiearbeitetbeidersozialökologischenGLS-
Bank,diedenUnternehmerstreikmitorgani-
sierthatundallenMitarbeiterninD eutschland
freigegeben hat, um amStreik teilzunehmen.
DieBankfilialensindandiesemFreitagüberall
geschlossen.„Wir sind es schließlich nicht nur
uns und unserenKindern, sondernnun auch
unseremEnkel schuldig, uns um das Klima zu
kümmern“,sagtPetraMöller.
Familie Bürmann aus Schönebergdemons-
triertmit drei Generationen:DieKinder Han-
nes,12, Julian, 8, und Zeyneb,11, Mutter Ma-
reikeunddieGroßelternAngela,73,undEckard
Bürmann, 75. Hannes war schon fünf Malbei
den Klimademonstrationen,seine Mutter hat
ihn oft begleitet.Für die Großelternaber ist es
das erste Malbei„Fridays for Future“.Warum
sie an diesem Taggekommensind? Siewolle
Die Großeltern
ihreEnkelunterstützen,sagtAngelaBürmann.
„Und weil wir ein schlechtesGewissen haben.
Wirhabenzulangenichtsgetan,wirhabenzu
langegedacht:DiePolitikwird’sschonrichten.“
SiedenkemitGrausendaran,wiesievor30J ah-
rennochmitKindernimAutogerauchthabe.
DamalshabemansicheinfachnochkeineGe-
dankengemachtumdieGesundheit,umden
Klimawandel.
Heuteseidasanders:SieundihrMannfah-
renjetzt häufiger mit den ÖffentlichenVer-
kehrsmittelnalsfrüher,achtenauchstärkerauf
Mülltrennung. Gemeinsam mit den Enkeln
habe sie außerdem den „Club der dreiAufhe-
ber“gegründet:Jedervonihnenhebtseitherje-
den Tagmindestens dreiMalAbfall vonder
Straßeauf.InihremBekanntenkreisgebeesein
paar,die schon aufgewachtseien, viele andere
inihremAlteraberinteressiertensichnichtwei-
terfürdasThema.„Datutsichnochnichtviel“,
sagtsie.KatrinBischoff&AnnikaLeister
Seit zwei Monaten Großeltern:Petra Möller und ihr
Mann Michael Schweig. BLZ/PAULUS PONIZAK
„Wirmüssenunsretten“
N
euandiesemFreitagistdieUnterstützung
vonzahlreichen Prominenten auf der
BühneamPotsdamerPlatz:BandswiedasReg-
gae-TrioCulcha Candela und ClemensReh-
bein, Sänger derKasseler Folk-Gruppe Milky
Chance,tretenaufundverwandelndieMenge
vordem BrandenburgerTorfür die Längevon
ein paarSongs in einPop-Konzert,vorEntzü-
ckung kreischendeTeenager inklusive. „Den
wollteichschonimmermalsehen!“,schwärmt
eine 15-Jährige überRehbein. Zu „Hamma“,
dem bekanntestenSong vonCulcha Candela,
hüpftdieganzeMenge.
KeinVergleich ist das zu früherenDemons-
trationen,beidenenvorallemunbekannteund
oft auch ältereKünstler Musik lieferten–und
die Menge nur selten mitrissen.Dashat aller-
dingsauchzurFolge,dasvielenichtanderDe-
monstrationrundumdenPariserPlatzteilneh-
men, sondernsich gar nichtvonder Bühne
wegbewegenkönnen.
Auchder Bestseller-Autor,ArztundKabaret-
tistEckartvonHirschhausentrittimÄrzte-Kit-
telzusammenmitKollegenderCharitéaufdie
Bühne.„Denkenn’ichausdemFernsehen“,er-
schallt esvonmehreren aus derMenge.Der
Die Stars
Mann,dergewohntist,MedizinfürLaienzuer-
klären,sprichtauchhiervielinBildern: DieAt-
mosphäreder Erde sei empfindlich wie die
Haut einesApfels.Die Erde habeFieber.Die
Kinder hätten ganzrichtig verstanden, dass es
kurzvorzwölfundderKlimawandelrealsei. Sie
sollten sich nichts anderes einreden lassen.
„Wir müssen nicht das Klimaretten“, sagt er.
„Wirmüssenunsretten.“
ObwohlsichdieProtestemaßgeblichgegen
die Untätigkeit derPolitik wenden, sind auch
zahlreichePolitiker gekommen,Berlins Justiz-
senator Dirk Be hrendt etwa und dieBundes-
tagsabgeordneteRenateKünast(beideGrüne).
Siestürzensich allerdings nicht insvolle Ge-
tümmel, sondernumarmen amRand der De-
monstration für einFoto Bäume.Auf Twitter
schreibtKanzlerin AngelaMerkel, sie sei „als
Naturwissenschaftlerin“ beeindruckt, wenn
KlimaaktivistinGretaThunbergsage:„Vereinigt
euchhinterderWissenschaft.“AnnikaLeister
Im Getümmel: Bestseller-Autor Eckartvon Hirschhau-
sen. BLZ/PAULUS PONIZAK
„WirwerdennochmehrzivilenUngehorsamzeigen“
D
er radikale Armder Klimabewegung, der
vorallem aus denGruppen „Extinction
Rebellion“und„EndeGelände“besteht,bleibt
amFreitagzurückhaltend.DerTaggehöre„Fri-
days forFuture“, insgesamt wolle man fami-
lientauglich und gemäßigt bleiben, hieß es
schonvorab.
Einpaar kleinereAktionen aber gibt es am
frühen Morgen vorDemobeginn: Aktivisten
blockieren mitAbsperrband kurzzeitig eine
Straße an derJannowitzbrücke,ein Fahrrad-
korso besetzt um 7.30Uhrden Ernst-Reuter-
PlatzinCharlottenburg.ÜberderA100seiau-
ßerdem einBanner voneiner Brücke entrollt
worden, sagt eineSprecherin derPolizei. Das
habe denVerkehr aber nicht beeinträchtigt.
Insgesamt verlaufe die Großdemonstration
friedlichundohneStörungen.
DieradikalerenGruppenkämpfenauchmit
AktionendeszivilenUngehorsamsfürdenKli-
maschutz und nehmen dabei gezielt inKauf,
vonder Polizei festgenommen zuwerden. Als
prominentesMitglied von„ExtinctionRebel-
lion“ spricht am frühen Nachmittag „Sea-
watch“-Kapitänin Carola Rackete auf der
Bühne.Sie steuerte einBoot mit ausSeenot
Die Radikalen
Geretteten trotzEinfuhrverbot in denHafen.
„Die Weltwir dsichdrastischverändern“,sagt
Rackete.Das primäreZiel müsse sein, die
Treibhausgasesofortzur eduzieren.
Sieforder talle Anwesenden auf, sich dem
radikalenProtest von„ExtinctionRebellion“
anzuschließen:„ExtinctionRebellion ist nicht
nureineRebelliongegendasAussterben,esist
eine Rebellion für das Leben.“Die„Rebellen“
wollenabdem7.Oktobersorichtigaufdrehen
–dann haben sie einen „Aufstand gegen das
Aussterben“ geplant unter demMotto„Berlin
blockieren“.
Einen Testlauf absolvieren sie schon am
Freitagabend:Biskurznach22 Uhrblockieren
einige hundertAktivisten sitzend die große
Kreuzung amPotsdamerPlatz.Tino Pfaffvon
„ExtinctionRebellion“verspricht: „Heute ist
nur ein Vorgeschmack.Wirwerden noch ent-
schiedener,noch viel mehr zivilenUngehor-
samzeigen.“AnnikaLeister&ElmarSchütze
Seawatch-Kapitänin Carola Rackete in Berlin. Sie ist
Mitglied von „Extinction Rebellion“. DPA(FABIAN SOMMER
DPA/JENS BÜTTNER
Siesindviele.Siewollen,
dasssichetwasändert.Undsie
haltenzusammen:Berlinerund
Zugereiste,Jugendliche,Elternund
Großeltern,Unternehmerund
AngestelltesindamFreitagzum
BrandenburgerTorgekommen,um
fürmehrKlimaschutzzukämpfen.
Impressionenvoneinem
besonderenFreitaginBerlin