MF-MT

(Darren Dugan) #1

132 Kapitel 8 | Die Form


Nahaufnahmen: das Gesicht


Wie der Begriff „Nahaufnahme“ schon sagt, ist das reine Gesichtsporträt
wahrscheinlich die intimste Form des Porträts überhaupt. Wenn wir einen
Menschen kennenlernen, sehen wir ihm zunächst ins Gesicht. Wir versu-
chen dort mehr über ihn zu erfahren. Die Dinge, die wir noch nicht über
ihn wissen, die er vielleicht auch verschweigt, ergründen wir im Gesicht.
Ob die Person glücklich oder traurig ist, ob sie uns wohlgesonnen, neutral
oder feindlich gegenüber steht, all das können wir an der Mimik ablesen.
Aber bei Erwachsenen erkennen wir auch viel
von deren bisherigem Leben in den Gesichtszü-
gen. Ob unser Gegenüber will oder nicht, sein
Gesicht erzählt uns einen Teil seiner Lebens-
geschichte. Sei es nur der wenige Schlaf der
letzten Nacht, der sich mit Augenringen oder
dunklen Schatten unter den Augen bemerkbar
macht, oder aber Dinge, die sich zum Beispiel
über Fältchen im wahrsten Sinne des Wortes in
sein Gesicht eingegraben haben.
Wenn das Gesicht entspannt ist, sehen wir
genau, ob dort Fältchen und Grübchen vom
Lachen verzeichnet sind oder hängende Mund-
winkel und traurige Augen eine schmerzliche
Geschichte erzählen.
Es ist eine Frage der Sensibilität des Fotografen,
wie nah er dem Menschen nun mit dem Close-
up kommen darf oder möchte. Richard Avedon
(amerikanischer Fotograf, 1923 bis 2004) sagte
einmal: „Eine Fotografie zeigt nie die Wahr-
heit.“ Weil Sie als Fotograf entscheiden, wie viel
Sie gerade in der People-Fotografie von dem
Modell preisgeben wollen oder ob das Foto
den wahren Charakter des abgebildeten Men-
schen zeigt.
Diese Entscheidung treffen Sie mit der Wahl
Ihres Objektivs bzw. der Brennweite, der Aus-
leuchtung und der Schärfentiefe im Bild. Bei
der Nahaufnahme kommt also der Wahl der
Mittel eine besondere Bedeutung zu.

Auch ganz ohne Make-up erzielt ein mit
den gängigen Schönheitsattributen ent-
sprechendes Gesicht Aufmerksamkeit.
Kamera: Nikon D100 mit 80-200 mm
f/2.8er Objektiv – Belichtungszeit 1/320
Sek. bei f/4.5 – Brennweite 170 mm – ISO


  1. Foto: Carina Meyer-Broicher

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