258 Kapitel 14 | Kreative Fotografie
Die abstrakte Foto grafie
Die abstrakte Fotografie beschäf-
tigt sich in der Hauptsache frei
mit Flächen, Farben und Linien,
ohne den Kontext abzubilden,
in dem sich die Objekte befin-
den. Wenn Sie sich von der Idee
lösen, dass ein Foto eine Aussage
über die konkrete Wirklichkeit
trifft, und so Ihr Umfeld einmal
mit anderen Augen betrachten,
erschlägt Sie die Welt mit ihren
Farben und Formen. Sie werden
gar nicht wissen, wo Sie mit dem
Fotografieren anfangen sollen.
Zunächst mag Ihnen die abstrakte
Fotografie einfacher als die gegen-
ständliche erscheinen, doch liegen hier die Schwierigkeiten im Sehen. Ihr
Gehirn ordnet Objekten automatisch eine Bedeutung zu. So denken Sie
bei jedem Objekt an dessen Funktion und weisen ihm weitere Eigenschaf-
ten wie schön oder hässlich, kalt oder warm, schmutzig oder sauber zu.
Dieses Wissen ist allgegenwärtig und bestimmt unsere Realität. Versuchen
Sie, dies alles zu vergessen, und konzentrieren Sie sich darauf, was Sie wirk-
lich sehen. Konzentrieren Sie sich auf die Form und Farbe der Objekte, auf
die sich daraus ergebenden Flächen oder den Kontext, den umgebende
Flächen und Formen bilden, sowie die Strukturen der Objekte.
Abstrakt trifft unscharf
An dieser Stelle trifft abstrakte Fotografie auf die Unschärfe. In der Farbge-
bung setzt man auf die Kombination beider Stilmittel: Bei einem scharfen
Bild sind Formen und Flächen ganz eindeutig mit einer klar zu erkennen-
den Farbe belegt. Die Begrenzung ist anschaulich durch die Form oder
eine scharfe Abgrenzung zu einer anderen Fläche gegeben. Wenn nun
diese Strukturen durch Unschärfe aufgelöst werden, mischen sich die Far-
ben und die Konturen der Formen lösen sich auf. Das menschliche Auge
kann kleine verschiedenfarbige Flächen, die dicht beieinanderliegen, aber
nicht mehr erkennen, die Farben vermischen sich optisch zu neuen Farben.
Mit Bildern ist es ein wenig wie mit feh-
lenden Buchstaben in einem Satz: Das
menschliche Gehirn fügt die fehlenden
Buchstaben einfach hinzu. Und bei einem
Foto bildet es aus den sichtbaren Bildele-
menten wie hier ein Ganzes. So wird das
Foto für den Betrachter spannend und
er beschäftigt sich länger mit dem Bild.
Kamera: Nikon D200 mit 80-200 mm
f/2.8er Objektiv – Belichtungszeit 1/2 Sek.
bei f/2.8 – Brennweite 300 mm – ISO 2000.
Foto: Carina Meyer-Broicher