Kapitel 14 | Kreative Fotografie 259
Entdecken Sie die Unschärfe als Stilmittel
„Unscharfe Bilder? Was soll der Unsinn?“ höre ich einige von Ihnen sagen.
Besonders jene, die stets um brillante Schärfe ihrer Fotos bemüht sind
und besonders in Fotoforen im Internet ständig Vorträge über Schärfe
zu hören bekommen. Es geht hier nicht um sachliche Porträts oder gar
Dokumentationen, mit der Unschärfe bewegen wir uns vielmehr auf die
künstlerische Fotografie zu. Nicht nur die Unschärfe in ihren verschiede-
nen Formen, sondern auch gezielte Überbelichtung und Grobkörnigkeit
gehören zu dem Thema „kreative Fotografie“. Auch geht es nicht um
solche Fotos, die leider verwackelt oder auf andere Weise unscharf gewor-
den sind. Wir sprechen hier über die gezielte manuelle Fokussierung und
die damit ausgewählte individuelle Schärfe oder eben Unschärfe eines
Fotos, um die Bildwirkung zu verstärken. Die Unschärfe ist keine Erfin-
dung der Fotografie. Bereits die Maler der Romantik haben insbesondere
bei Landschaftsbildern bewusst Unschärfen eingesetzt, um damit die
emotionale Wirkung der Bilder gegenüber allzu realistischen Darstellun-
gen zu steigern.
Unschärfe – eine Modeerscheinung?
Schon in dem 2002 erschienenen Buch „Die Geschichte der Unschärfe“
berichtet Wolfgang Ullrich über das vermehrte Erscheinen unscharfer
Fotos, besonders in der Werbung, aber auch bei Schnappschüssen mit
Überwachungskameras oder von Paparazzi, die für horrende Summen in
der Yellow Press gehandelt werden. Sieben Jahre später ist dieser Trend
noch immer ungebrochen. Und nicht nur
das ist ein Zeichen, Unschärfe nicht als
Modeerscheinung abzutun.
Bereits im 19. Jahrhundert wurde in der
Fotografie Unschärfe als Stilmittel einge-
setzt. Es wurde vor allem zur plastischen
Darstellung von Ideologien verwendet:
Weichzeichnungen wollten die Romantik
zurückholen und die Abstraktion mittels
der Unschärfe sollte die Fotografie zur
Kunst führen. Damals wie heute wurde die
Unschärfe hitzig und kontrovers diskutiert.
Doch die Unschärfe ist keine Erfindung der
Fotografie. Der wohl berühmteste Vertreter
der Romantik, Caspar David Friedrich, hat
Kölner Karneval einmal anders: Mariechen
beim Tanz. Der Fotograf spielt hier mit den
Farben und Flächen, die durch die Bewe-
gungsunschärfe entstehen. Dennoch sind
die Röcke und Beine deutlich erkennbar.
Kamera: Canon EOS 20D mit 28-70 mm
f/2.8er Objektiv – Belichtung 1/2 Sek. bei
f/22 – Brennweite 53 mm – ISO 800.
Foto: Rolf Simmerer (www.simmerer.de)