Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

10 DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019


Meinung


Ich muss gestehen: Ich
habe die Aufregung
um das abgebrochene
Björn-Höcke-Interview
im ZDF nicht ganz ver-
standen. Vielleicht bin ich
zu naiv. Aber Höckes vermeint-
liche Drohung, dem Journalisten in
Zukunft kein Interview mehr zu
geben, auch wenn er vielleicht »mal
eine interessante persönliche, politi-
sche Person in diesem Lande« werden
sollte, hat mir keinen faschistischen
Schauer über den Rücken geschickt.
Ich musste eher lachen. Das lag vor
allem am Eindruck der Schlapp-
schwanzigkeit, den das Interview ver-
mittelte.
Höcke nicht mehr interviewen zu
können ist jedenfalls keine Drohung.
Ich weiß, wovon ich rede, ich habe
mich selbst mal daran versucht. Es
fängt schon damit an, dass man rund
um Höcke-Interviews auffallend schlaf-
fe Hände zu drücken bekommt. Ein
weiteres Problem ist, dass Herr Höcke
ständig erschöpft zu sein scheint. Als
wir damals bei ihm in Erfurt waren,
erklärte uns sein Sprecher immer wie-
der, dass sein Chef gerade eine lange
Sitzung hinter sich habe. Es klang, als
bitte er um Welpenschutz für seinen

Kleinen. Vor dem ZDF-Interview kam
Höcke, so Höcke, gerade »aus einer
fünfstündigen Gerichtsverhandlung,
die ziemlich anspruchsvoll war«. Und
sein Sprecher, der genauso gut sein
Pfleger sein könnte, wies darauf hin,
dass Herr Höcke sich auf harte Fragen
»einfach seelisch und geistig« vorbe -
reiten müsse. »Sie haben doch ge -
sehen, dass er stark emotionalisiert
war ..., und jetzt sagen wir, okay, be -
ruhige dich, wir machen’s noch mal.«
Höcke selbst betonte: »Ich bin auch
nur ein Mensch, verstehen Sie?«
Vielleicht bin ich noch zu sehr in
alten Rollenklischees gefangen. Aber
die Weh- und Weinerlichkeit, die
Höcke und sein Sprecher an den Tag
legen, hatte ich bislang bei Kuschel -
partys vermutet, aber nicht beim natio-
nalen Widerstand.
Wäre ich Anhänger der völkischen
Ideologie, würde ich mir jedenfalls Sor-
gen um den Endsieg machen, wenn
meine Anführer ständig mit ihren Emo-
tionen ringen, im latenten Migräne -
modus unterwegs sind und auch sonst
den Eindruck hinterlassen, sie müssten
sich mal kurz hinlegen.

An dieser Stelle schreibenMarkus Feldenkirchen
und Alexander Neubacherim Wechsel.

Markus FeldenkirchenDer gesunde Menschenverstand

Höckes Gefühle


So gesehen

Weit vom Stamm


Wird Apple europäisch?

Endlich Herbst. Für Fans des US-
Konzerns Apple fühlen sich die letz-
ten Septemberwochen an wie eine
vorgezogene Adventszeit: Bald ist
Bescherung! Es regnet neue Produk-
te, wie jedes Jahr sind es die besten
aller Zeiten.
Überschattet wird die festliche
Zeit jetzt nur von einem Streit der
EU-Kommission mit Apple. Es geht
um 13 Milliarden Euro Steuergeld.
Die Kommission sagt, Apple hätte
diese in Irland abführen müssen, wo
der Konzern seinen Europasitz hat.
Apple vertritt den Standpunkt,
bereits genügend Steuern gezahlt zu
haben – in den USA, wo die Produk-
te entworfen und entwickelt würden.

Dieses Jahr hat Apple das iPhone 11
vorgestellt, es ist im Wesentlichen
eine Kamera, mit der man auch telefo-
nieren kann. Und die neue Version
der Apple Watch, die mit der Neue-
rung beworben wird, der Bildschirm
mit dem Zifferblatt sei jetzt ständig
eingeschaltet. Besitzer der neuen
Apple Watch können so in jeder
Situation mit einem Blick auf die Uhr
erkennen, wie spät es ist.
Aber was kommt 2020? Präsen-
tiert Apple gar ein Gerät, das sich
vollständig auf die Aufnahme von
Bildern konzentriert, vermittels
Projektion von Photonen auf eine
lichtempfindliche Oberfläche?
Und kommt womöglich sogar eine
Apple Watch, deren Zifferblatt
ständig zu sehen ist und die ganz
ohne Batterie auskommt, weil
sie mit einem komplexen Zahnrad-
system angetrieben wird?
Dann wäre auch die Steuerfrage
gelöst: Das Verfahren der Daguerreo -
typie stammt aus dem 19. Jahrhun-
dert, erste Räderuhren gibt es seit
circa 700 Jahren. Erfunden wurde
beides in Europa.Stefan Kuzmany
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