Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

Ireys heutiger Arbeitgeber. Die Firma
zählt zu den Schwergewichten der Bran-
che, produziert unter anderem Orangen-
saft für die Marken Tropicana und Minute
Maid. Arbeiter fällten befallene Bäume
und fuhren mit ihren Spritzmaschinen dop-
pelt so oft über die Felder. Sie gaben den
Bäumen zuätzliche Nährstoffe und behan-
delten sie testweise mit Antibiotika. Doch
nichts half wirklich.
Dann hörte Michael Irey zum ersten
Mal von Designerviren.
Die Erschaffung maßgefertigter biolo-
gischer Helfer gehört zu den großen Ver-
sprechen der synthetischen Biologie. Die
Forscher träumen davon, die Gene von
Viren oder Bakterien künftig aus einem
Baukasten zusammenzusetzen. Wie ein
molekularer Lieferdienst bringen die Vi-
ren ihr genetisches Material dann in die
Zellen von Pflanzen, Tieren oder Men-
schen. Dort entfaltet es die gewünschte
Wirkung, kurbelt die Produk -
tion bestimmter Proteine an
oder greift direkt ins Erbgut der
Zelle ein.
Die Verheißung für die Land-
wirtschaft ist enorm: Für den
Menschen ungefährliche Pflan-
zenviren könnten Olivenhaine
oder Orangenplantagen gegen
Krankheiten schützen oder
Grundnahrungsmittel wie Mais
oder Reis vor den Folgen von
Trockenheit oder starken Re-
genfällen – und vor allem wä-
ren sie rasch einsatzbereit. Maß-
gefertigte Viren würden es
Landwirten ermöglichen, ihre
Pflanzen an Bedrohungen an-
zupassen, während sie schon
sprießen. Der Mensch könnte
sich die Natur schneller unter-
tan machen als je zuvor.
In Florida begann der Orangenproduzent
Southern Gardens Citrus, zusammen mit
anderen Wissenschaftlern, an den Super -
viren zu arbeiten. In Europa bekommt ein
Verbund von 17 Forschungseinrichtungen
und Firmen mehr als drei Millionen Euro
von der EU, um Viren für die Landwirt-
schaft zu erforschen. Und manche Wissen-
schaftler in den USA gehen schon einen
Schritt weiter. Sie züchten Blattläuse oder
Zikaden mit einer gruseligen Fähigkeit: Die
Krabbeltiere sollen irgendwann einmal aus-
schwärmen und die Viren auf Pflanzen über-
tragen. Das von der US-Militärbehörde Dar-
pa finan zierte Programm heißt »Insect Al-
lies«, auf Deutsch: »Insektenverbündete«.
Doch aus den Verbündeten könnten
ungewollt Feinde werden.
Experten fürchten, dass die Gentech-
Viren auf andere Pflanzenarten übersprin-
gen und sich unkontrolliert ausbreiten.
Im Fall des Darpa-Programms warnen
einige Wissenschaftler sogar davor, dass


die Technologie in den falschen Händen
zu einer gefährlichen Biowaffe werden
könnte.
Die Grenze zwischen Hightech und
Horrorvision scheint schmal. Wie groß ist
das Risiko? Und ist der Nutzen groß genug,
dass wir es in Kauf nehmen wollen?
Im Süden Floridas sperrt Michael Irey
am Rand einer vierspurigen Straße eine
Schranke auf. Daran baumelt ein Schild:
»Warnung! Tor muss verschlossen bleiben«.
Irey steuert seinen Pick-up über einen stau-
bigen Feldweg. Nach knapp zwei Kilome-
tern endet die Trasse an einer Plantage mit
zwölf Reihen Orangenbäumen. Irey sagt,
sie würden diesen Ort geheim halten, »aus
Sicherheitsgründen«.
Hier, nahe dem Städtchen Clewiston,
wachsen Orangenbäume einer ganz beson-
deren Art. Sie sind infiziert mit einem De-
signervirus aus dem Labor. Irey sagt, diese
Bäume seien seine größte Hoffnung.

Michael Irey, ein kräftiger Mann, geht
die Pflanzreihen ab. Die Bäume reichen
ihm bis zur Schulter, die meisten tragen
sattgrünes Laub. Irey deutet auf die noch
unreifen Orangen. »In diesem Jahr«, sagt
er stolz, »tragen sie erstmals Früchte.«
Für die Baumexperimente arbeitet Irey
mit Wissenschaftlern der University of
Florida zusammen. Dort klonten For-
scher ein Virus namens Citrus tristeza.
Es kommt in fast allen Orangenbäumen
in Florida vor, ist für die meisten Sorten
jedoch harmlos. Irey wiederum expe -
rimentierte zur selben Zeit mit Genen, die
in Spinatpflanzen Abwehrstoffe produzie-
ren, sogenannte Defensine. Diese hemm -

ten in Laborversuchen das Huanglong-
bing- Bakterium, indem sie dessen Hülle
durchlöcherten.
Nun bauten die Forscher das Viruserb-
gut und das Gen zusammen. Es war bereit
zum Einsatz.
Bäume transportieren Kohlenhydrate
durch Leitungsbahnen, die Phloem hei-
ßen. Um die Gewächse mit dem Designer-
virus zu infizieren, ritzen Ireys Kollegen
im Gewächshaus die Rinde ein und ste-
cken mit den Viren vorbehandeltes Pflan-
zenmaterial in die Wunde, Baum für
Baum. Das Virus verbreitet sich dann im
Phloem und dringt in die Zellen vor, von
der Wurzel bis zu den Blättern. Die Zell-
maschinerie liest die Information aus dem
Spinatgen aus, baut den Abwehrstoff
nach, und dieser greift das Huanglong-
bing-Bakterium im Phloem an. Der Baum
produziert seine eigene Medizin – ohne
selbst gentechnisch verändert zu sein.
Die Firma hat noch keine Er-
gebnisse veröffentlicht. Michael
Irey sagt, das Virus töte zwar
nicht alle Bakterien ab, aber die
Versuchsreihen verliefen viel-
versprechend. Daher beantrag-
te Southern Gardens Citrus bei
der USDA eine Erlaubnis, das
Designervirus auf einer Fläche
anzuwenden, die zusammen -
genommen fast viermal so groß
wie der Bodensee ist. Noch in
diesem Jahr könnte die Geneh-
migung kommen. Es wäre der
größte Freilandversuch mit gen-
technisch veränderten Pflanzen-
viren, den es je gegeben hat.
Michael Irey hält das Desig-
nervirus für ökologisch unbe-
denklich, eher sogar für umwelt-
schonend: Es helfe, die Menge
an Pestiziden gegen den Über-
träger von Huanglongbing zu verringern.
Für Irey ist das Risiko, dass sich das Desig-
nervirus auf andere Pflanzen verbreitet,
gleich null. Es dringt Studien zufolge weder
in die Samen ein, noch nehmen Blattläuse,
die einzigen bekannten Überträger, es auf.
Zum Beweis ließ Irey um jedes Versuchs-
feld mindestens eine Reihe nicht infizierter
Orangenbäume anbauen. »Wir haben bei
8814 Bäumen in neun Jahren nicht eine
einzige Übertragung gesehen«, sagt Irey.
Der Evolutionsbiologe Guy Reeves vom
Max-Planck-Institut im schleswig-holsteini-
schen Plön beschäftigt sich seit Jahren mit
gentechnisch veränderten Viren. Er ist nie-
mand, der vorschnell »Verbot« ruft, er wägt
genau den möglichen Nutzen ab. Natürlich
gebe es Gefahren, sagt Reeves: Der Virus-
klon aus dem Labor könnte mutieren oder
mit einem wilden Virus wechselwirken –
und plötzlich durch Insekten übertragbar
werden. »Unter strenger Aufsicht dürfte das
Risiko jedoch beherrschbar sein«, sagt

DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019 111


Pflanzenforscher Irey auf Orangenplantage
Baummedizin aus dem Spinatgen

Wissenschaft

Der Klon könnte
mutieren – und plötzlich
durch Insekten
übertragbar werden.

ANGEL VALENTIN / DER SPIEGEL
Free download pdf