Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

Reeves. Seine größte Sorge ist eine andere:
»Eine Zulassung setzt einen Präzedenzfall
für künftige Technologien. Schritt für Schritt
erhöhen wir die Toleranz für Risiken.«
Längst arbeiten Forscher in Laboren da-
ran, wie sie die Viren effizienter auf Pflan-
zen übertragen können.
An einem Septembertag steht der Bo-
taniker Georg Jander, 54, im Keller eines
grauen Gebäudeklotzes im US-Bundes-
staat New York. Der fensterlose Raum
wird nur von einigen Neonröhren beleuch-
tet. Auf einem Rollwagen stehen 15 Mais-
pflanzen. Die Wissenschaftler haben ihnen
jeweils eine Plastiktüte übergestülpt und
sie verschnürt. Über jede Pflanze krabbelt
eine Handvoll Blattläuse. »Wir wollen he-
rausfinden, wie schnell die Insekten den
Mais mit Erregern infizieren«, sagt Jander.
Jander, Professor an der Cornell Uni-
versity und Forscher am Boyce Thompson
Institute, hat einen brisanten Plan. Des-
halb muss er demnächst mit seinen Blatt-
läusen umziehen: in ein Gewächshaus der
Sicherheitsstufe 3, betretbar nur durch
eine Schleuse. Dort will er die Blattläuse
dazu bringen, gentechnisch veränderte
Viren zu übertragen.
Georg Janders Forschung wird durch das
»Insect Allies«-Programm finanziert. Etwa
ein Dutzend Universitäten sind beteiligt,
27 Millionen Dollar lässt sich die Darpa
die Forschung kosten. Bis zum Jahr 2021
wollen die Wissenschaftler ihr Ziel erreicht
haben: Schwärme von Insekten sollen
Designerviren von Pflanze zu Pflanze tra-
gen, ohne dass der Mensch groß eingreifen
muss. Eine hoch spezialisierte Gruselar-
mee, Biotech-Soldaten auf sechs Beinchen.
Die Darpa sagt, ihr gehe es um die Er-
nährungssicherung der Vereinigen Staaten,
das Land müsse auf eingeschleppte Schäd-
linge und Extremwetter reagieren können.
Zwar gibt es bereits dauerhaft trocken -
resistente Maissorten, aber die erbringen
auch dauerhaft geringere Erträge. »Die In-
sekten dagegen«, sagt Jander, »liefern das
Trockenheitsgen nur, wenn es gebraucht
wird. Es sorgt dann etwa dafür, dass sich
die Poren der Blätter schließen und weni-
ger Wasser verdunstet.« Gentechnik to go.
Anders als die Zitrusforscher in Florida
arbeiten Jander und seine Kollegen auch


an Viren, die mithilfe einer eingebauten
Genschere (genannt Crispr) in die Gene
von Pflanzen eingreifen, sie zerschneiden,
neue Abschnitte einfügen.
Das könnte unbeabsichtigte Folgen
haben, wenn die Viren, entgegen Janders
Absicht, die Pflanzen so manipulierten,
dass sie gentechnisch veränderte Samen-
körner bilden. Und wenn sie auf andere
Pflanzen übersprängen, wäre es möglich,
dass sie Superkräuter erschaffen. Die Fra-
ge ist, ob ein so mächtiges genetisches
Werkzeug in die Obhut einer Blattlaus
gehört.

Das Programm der Darpa sieht ver-
schiedene Sicherheitsnetze vor, um die
Ausbreitung der Viren zu verhindern. So
dürfen sie nicht übertragbar sein. »Wir
werden zudem die Blattläuse so manipu-
lieren, dass sie sich nicht vermehren kön-
nen«, erklärt Jander. Wenige Tage nach-
dem sie ausschwärmen, sollen sie sterben
und mit ihnen ihre gefährliche Fracht – die
Forscher sprechen von einem »Notaus-
schalter«.

Evolutionsbiologe Reeves sagt, hier wür-
de eine falsche Sicherheit vorgegaukelt. Es
gelte in erster Linie, die Verbreitung der Vi-
ren zu kontrollieren, nicht die der Insekten.
»Wenn ich Uran in einem Briefumschlag
verschicke, kann ich niemanden mit einem
besonders dicken Umschlag beruhigen.«
Blake Bextine, Leiter des »Insect Allies«-
Programms, behauptet zwar, die Insekten
in die Umwelt zu entlassen sei »zum jetzigen
Zeitpunkt« nicht geplant. Reeves jedoch be-
ruhigt das nicht. In einem Alarmartikel im
Wissenschaftsjournal »Science« warnen er
und vier Co-Autoren, dass sich die Techno-
logie, selbst in primitiverer Form, als Bio-
waffe missbrauchen lasse. Feindliche Mäch-
te könnten mit Insekten Felder mit Mais,
Reis, Weizen oder Maniok angreifen. »Es
ist einfacher, mit einer Genschere das Erbgut
einer Pflanze zu zerstören, als es zu verbes-
sern«, sagt Reeves. »Ob die ›Insect Allies‹-
Forscher ihr Ver sprechen je einlösen kön-
nen, ist unklar. Die Gefahr, die sie in Kauf
nehmen, ist daher unangemessen groß.«
Am Ende geht es auch um die Frage,
wie stark der Mensch in das Erbgut der
belebten Natur eingreifen, wie sehr er
Pflanzen und Tiere nach Gutdünken ver-
ändern darf. Manchmal fällt die Antwort
auf solch schwere Fragen leicht, dann wan-
deln sich Ethiker zu Pragmatikern: wenn
die Katastrophe naht.
Huanglongbing zum Beispiel.
Im Jahr 2014 wurde auf der Iberischen
Halbinsel erstmals einer der Überträger
der Krankheit entdeckt, ein geflügeltes
Insekt mit dem Namen Trioza erytreae.
Noch ist der bakterielle Erreger nicht nach-
gewiesen, aber in einer Welt, in der täglich
mehr als zehn Millionen Menschen in Flug-
zeuge steigen und rund zwei Millionen
Container Seehäfen verlassen, hat er leich-
tes Spiel. Die Frage ist nicht, ob Huang-
longbing auf Europas Orangenplantagen
ankommt. Es geht nur noch darum, wann.
Martin Schlak

MIKE BRADLEY / DER SPIEGEL
Botaniker Jander mit Maispflanzen
Gentechnik to go

Krabbelnde Helfer Funktionsweise des »Insect Allies«-Konzepts


Pflanzenblatt
Querschnitt

Insekten (z. B. Zikaden oder Blattläuse)
nehmen über ihre Nahrung im Labor
gentechnisch veränderte Pflanzenviren auf.

Die Viren greifen in das Erbgut in den Pflanzen-
zellen ein und sorgen so z. B. für mehr Widerstands-
fähigkeit gegen Schädlinge oder Wettereinflüsse.

Anschließend werden die Insekten auf die Nutz-
pflanzen gesetzt. Dort schleusen sie über ihre
Mundwerkzeuge die Viren in die Pflanze ein.

Video
Die Wirkung
genveränderter Viren
spiegel.de/sp392019gene
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Wissenschaft
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