Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1
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A


uf die Drogendealer von Luxem-
burg kommen schwere Zeiten zu.
Noch verkaufen sie rund um den
Bahnhof der Stadt Cannabis, ziemlich un-
verhohlen, aber dafür ganz exklusiv.
Doch damit hat es bald ein Ende.
Im zwölften Stock eines Regierungsge-
bäudes, kaum zwei Kilometer weiter nörd-
lich, schmiedet Étienne Schneider, 48, Plä-
ne, die Dealer aus dem Geschäft zu drängen.
Die Macht dazu hat er: Der Sozialdemokrat
ist Vizepremier, Wirtschafts- und Gesund-
heitsminister – und ein leidenschaftlicher
Kritiker der repressiven Drogenpolitik, wie
sie seit mehr als 50 Jahren betrieben wird.
Luxemburgs Superminister will Canna-
bis »aus der Schmuddelecke holen«. Die
lange so heftig wie erfolglos bekämpfte
Droge will Schneider spätestens 2021 voll
legalisiert haben, vom kontrollierten Hanf-
anbau bis zum Konsum. Cannabis soll von
der Straße verschwinden und fortan für
Volljährige in Fachgeschäften erhältlich
sein, ohne großes Werbe tamtam, zu kon-
kurrenzfähigen Preisen und in bestmögli-
cher, geprüfter Qualität.
»Wir müssen etwas Neues machen«,
sagt Schneider, denn das bisherige Total-
verbot habe »nicht funktioniert«. Tausen-
de Cannabisnutzer deckten sich auf dem
Schwarzmarkt ein, obwohl »die Ware dort
nicht rein ist«. Die Legalisierung solle die
Gesundheit dieser Anwender besser schüt-
zen und verhindern, dass sie im Milieu an
härtere Stoffe geraten.
Bis vor einigen Jahren waren sich fast
alle Staaten der Welt einig: Cannabis sei
gefährlich und gehöre daher streng verbo-
ten. Diese Einigkeit ist nun dahin.
Uruguay und Kanada haben die Droge
2017 und 2018 als erste Staaten überhaupt
für den Freizeitgebrauch zugelassen –
nicht um den Konsum zu fördern, sondern
um Gesundheitsrisiken und die Banden-
kriminalität einzudämmen. Mexiko und
Südafrika wollen in Kürze nachziehen;
oberste Gerichte in beiden Ländern hatten
zuvor entschieden, dass der Privatge-
brauch von Cannabis dort nicht länger
strafbar sein darf.
Spanien und Portugal haben die Droge
und ihre Nutzer weitgehend entkriminali-


siert. In den Niederlanden ist der Anbau
zwar illegal, der Konsum aber wird dort
schon seit mehr als 40 Jahren geduldet.
Selbst in den USA, die einst den »Krieg ge-
gen die Drogen« ausgerufen hatten, gestat-
ten bereits zehn Bundesstaaten ihren er-
wachsenen Einwohnern, nach Belieben high
zu werden. Weitere dürften 2020 folgen.
Jetzt schwappt die Legalisierungswelle
nach Europa. Tausende Deutsche kaufen
in Luxemburg regelmäßig billigen Sprit,
Alkohol und Tabak. Werden sie von dort
bald auch massenhaft Joints mitbringen?
Hat die hiesige Cannabisprohibi tion noch
eine Zukunft?

Neulich hat Schneider seinen deutschen
Amtskollegen Jens Spahn (CDU) bei der
Weltgesundheitsorganisation WHO in
Genf getroffen, zufällig »auf dem Flur«.
Als Schneider ihm seine Pläne erläuterte,
habe Spahn »eher skeptisch« reagiert. In
einigen Wochen wird er ihn offiziell besu-
chen, wie auch die Gesundheitsministerin-
nen Frankreichs und Belgiens, um ihnen
das Konzept vorzustellen – »und um sie
zu beruhigen«.
Luxemburg werde kein zweites Amster-
dam, verspricht Schneider. Die vielleicht
20 lizenzierten Cannabisfachgeschäfte, die
es geben wird, sollen verpflichtet werden,
nur an Bewohner Luxemburgs zu verkau-
fen. Wer die Ware trotzdem als Händler
oder Privatmensch an Touristen oder
Pendler verkauft oder weitergibt, soll da-
für sehr hart bestraft werden können.

Auf keinen Fall, sagt Schneider, wolle er
riskieren, dass die Polizei der Nachbarstaa-
ten infolge intensiver Cannabiskontrollen
den Grenzverkehr behindern. Das könne
sich das Land nicht leisten, denn jeden Werk-
tag kommen rund 200 000 Pendler aus
Frankreich, Belgien und Deutschland, die
Hälfte aller Arbeitnehmer in Luxemburg.
Schneider hat Kanada besucht und will
viele Regelungen von dort in ähnlicher
Weise übernehmen – etwa zu Anbau und
Vertrieb sowie das verschärfte Abgabever-
bot an Minderjährige. Den klassischen
Schulhofdealern droht Kanada mit bis zu
14 Jahren Haft. »Teenager müssen beson-
ders geschützt werden vor der Droge«, sagt
Schneider, denn diese wirke »schädlicher
in der Phase des Gehirnwachstums« als
später im Leben.
Den Eigenanbau will Schneider nicht zu-
lassen, auch nicht den Konsum in Gaststät-
ten oder anderswo in der Öffentlichkeit.
Alle Mehreinnahmen aus der Cannabis-
steuer sollen in die allgemeine Gesund-
heitsförderung fließen.
Mit seinem Kiffprojekt wird Luxemburg
ganz gelassen internationales Recht bre-
chen. Gemäß dem »Einheits-Übereinkom-
men über Suchtstoffe« von 1961 hat sich
auch der Zwergstaat verpflichtet, Drogen
aller Art zu ächten. Cannabis wird in die-
sem offensichtlich veralteten Regelwerk
eingestuft als eine der gefährlichsten Sub-
stanzen überhaupt, in einer Kategorie mit
Heroin. Eine Rüge des Internationalen
Sucht stoffkontrollrats dürfte dem Land si-
cher sein.
Schneider nimmt das hin. Er hofft, dass
die wissenschaftlich begleitete Legalisie-
rung hilft, die Drogenpolitik zumindest in
der EU zu modernisieren. »Wenn es gut
geht«, sagt Luxemburgs Vizepremier, »wird
es Nachahmer geben.«Marco Evers

Gras vom


Staat


DrogenLuxemburg will als
erstes Land in Europa Cannabis
zu lassen – vom Anbau bis hin
zum Konsum. Taugt der Vorstoß
als Vorbild für Deutschland?

PATRICK T. FALLON / BLOOMBERG / GETTY IMAGES
Legaler Cannabisshop in Kalifornien:Nach Belieben high werden

Wer die Ware an
Touristen oder Pendler
verkauft, soll sehr
hart bestraft werden.

DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019

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