Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1
PAULA WINKLER / DER SPIEGEL
PrEP-Nutzer Weinberger: »Ich hätte nicht damit gerechnet, das noch zu erleben«

Kampf gegen Aids


1971


Genomanalysen zufolge
wird das HI-Virus aus
der Karibik nach New
York eingeschleppt. Es ver-
breitet sich fortan unerkannt
in der Schwulenszene.


1981

Berichte über eine Häufung seltener
Krankheiten unter homosexuellen
Männern. Ursache ist eine Immun-
schwäche, die später als Aids
(acquired immune deficiency
syndrome) bezeichnet wird.

1983

Luc Montagnier und
Françoise Barré-Sinoussi
sowie Robert Gallo be-
schreiben den Erreger,
das HI (human immuno-
deficiency)-Virus.

1987

Der jahrelange
Patentrechtsstreit
zwischen Montagnier
und Gallo über den
ersten HIV-Antikörper-
test wird beigelegt.

1987

AZT, das erste HIV-
Medikament, wird in
den USA zugelassen –
ein Durchbruch in der
Therapie ist es noch
nicht.

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Wissenschaft

Sex ohne Angst


MedizinJahrzehntelang bewahrten nur Kondome vor HIV. Heute geht das mit einer Pille,


die für Risikogruppen von der Krankenkasse bezahlt wird, besonders Schwule
profitieren. Kritiker fürchten, dass der mühelose Gratisschutz zur Leichtfertigkeit verleitet.

T


homas Weinberger hat sich daran
gewöhnt, dass sich andere Men-
schen ein Urteil über sein Sex -
leben erlauben. Das täten sie,
sagt er, seit er offen schwul lebe, also seit
den frühen Achtzigerjahren. Damals be-
gann die Aidskrise, das große Sterben.
Viele hielten schwule Männer für eine
Gefahr für die Gesellschaft.
Neu sei, sagt er, dass die Ressentiments
heute von anderen Schwulen kämen.
Weinberger ist 55 Jahre alt, er arbeitet
als Fotograf in Berlin und München. Und
die Ressentiments, von denen er spricht,
entzünden sich an einer Pille, die er nimmt.
PrEP heißt das Mittel, kurz für Präexposi-
tionsprophylaxe; gemeint ist damit ein Me-
dikament, das vor HIV schützt, dem Virus,
das Aids auslösen kann.
Es ist die erste Pille auf der Welt, die
das kann, fast 40 Jahre nach Beginn der
Pandemie, nach Jahrzehnten, in denen al-
lein Kondome gegen das tödliche Virus
halfen. PrEP also: ein Segen. Das finden
viele. Aber nicht alle.
Das Medikament ist für diese Art der
Anwendung relativ neu. Weinberger
nimmt es seit mehr als drei Jahren, da war
es in Deutschland noch nicht als Präven -
tionsmethode zugelassen. Es war ihm
damals aufgefallen, dass immer mehr
Männer auf Kondome verzichteten, »weil
sie wohl davon ausgingen, dass eine HIV-
Erkrankung heute gut zu behandeln ist«,
sagt er. Er habe diese Männer einfach
nicht von seiner Partnerwahl ausschließen
wollen.
Die Wirksamkeit des Mittels, einer
Kombination der Wirkstoffe Tenofovirdi -
soproxil und Emtricitabin, ist unbestritten.
Es verteilt sich im Blut und in den Zellen
der Schleimhäute, die beim Sex mit dem
Virus in Kontakt kommen können, etwa
im Darm, wo ein besonders hohes Über-
tragungsrisiko besteht, oder in der Vagina.

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