Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

I


n normalen Zeiten ist der Offiziers-
klub an Riads King Abdul Aziz
Road ein eher verschwiegener Ort.
Doch am Mittwochabend bildet sich
am Eingang eine Besucherschlange: Man
spricht Arabisch, Englisch, dazwischen hal-
len ein paar Brocken Französisch.
Nach der Sicherheitsschleuse folgt ein
abgedunkelter Flur, wie in einem Kino, der
in einen Vortragssaal führt: blaue Samt -
sessel in ansteigenden Reihen, die holzver -
täfelte Bühne hell beleuchtet. Wo sonst die
Militärs der Krisenregion ihre geheimen
Pläne besprechen, sind gut 80 Diplomaten
und einige internationale Journa listen der
Einladung der wichtigsten Öl exportnation
der Welt gefolgt. Dazwischen diskutieren
hochrangige Beamte in langen Gewändern.
Es ist eine Veranstaltung der besonderen
Art: Das saudi-arabische Militär zeigt der
Welt seine Wunde.
Auf der Bühne ist ein halbes Dutzend
weißer Podeste aufgebaut, darauf das Be-
weismaterial: mächtige Stahlfragmente,
die durch die Wucht einer Explosion ver-
dreht wurden wie ein Stück Lötdraht. Sie
sind beschriftet und dekoriert wie in einer
Kunstausstellung: Zu sehen sind die Über-
reste von Marschflugkörpern und Droh-
nen; darunter jene Waffen, so erklären es
die Saudi-Araber, die am vergangenen
Samstag die zwei größten Ölanlagen des
Landes in Brand steckten.
Für Saudi-Arabien sind die Angriffe
eine beispiellose Demütigung. Das König-
reich ist blamiert, wütend, verletzt, das
wird in dem Offiziersklub rasch klar. Eben-
so klar ist für die Saudi-Araber der Schul-
dige: »Iranische Bauteile und Komponen-
ten«, sagt Militärsprecher Colonel Turki
Al-Maliki. Er läuft dynamisch zwischen
den Podesten umher. »Unzweifelhaft«,
sagt Maliki, stecke der Erzfeind jenseits
des Arabischen Golfs hinter der Attacke.
»Wie wird Ihre Reaktion auf diesen An-
griff aussehen?«, will eine Journalistin von
Maliki wissen. Wird es eine militärische
Antwort sein? »Das ist nicht in meiner Ver-
antwortung«, erwidert der Soldat. Fast zur
gleichen Zeit landet in der 950 Kilometer
entfernten Küstenstadt Dschidda ein
Mann, der gerade dabei ist, die Antwort

auf den Angriff vorzubereiten. Bevor US-
Außenminister Mike Pompeo in Dschidda
eintrifft, macht er klar, wie er die Attacke
versteht: »als Kriegsakt«.
Aber was genau folgt daraus?
Drei Monate ist es her, dass die irani-
schen Revolutionswächter eine mehr als
100 Millionen Dollar teure US-Aufklä-
rungsdrohne über der Straße von Hormus
am Persischen Golf abschossen. Damals
plante Washington einen Vergeltungsan-
griff. Doch Präsident Donald Trump blies
die Aktion in letzter Minute ab, angeblich,
weil dabei zu viele Iraner ums Leben ge-
kommen wären. Stattdessen reagierte das
amerikanische Militär mit einem Cyber-
angriff gegen die iranischen Revolutions-
wächter.
Nun stand die weltgrößte Raffinerie in
Flammen, und auch wenn es keine ge-
richtsfesten Beweise gibt – es spricht vieles
dafür, dass Iran hinter der Attacke steht.
»Alles deutet auf Iran, dafür spricht nicht
nur die Forensik, sondern auch die Logik«,
sagt Vali Nasr, Professor an der Johns-Hop-
kins-Universität in Washington.
Der Angriff folgt der Strategie von
»Druck gegen Druck«, die Teheran seit
dem Frühjahr gegenüber den USA fährt.
In den vergangenen Monaten wurden
Tanker und Handelsschiffe im Golf von
Oman angegriffen, eine US-Drohne wur-
de abgeschossen, ein britischer Tanker be-
schlagnahmt. Nun die Attacke auf das
Herz der saudischen Ölindustrie. In Wahr-
heit ist es fast nebensächlich, ob Iran den
Angriff geführt hat oder ein Komplize in
der Region – was zählt, ist, dass die USA
und Saudi-Arabien das Land für den Übel-
täter halten.
Der Nahe Osten schlittert womöglich
in einen Krieg, vielleicht hat er sogar be-
gonnen: Es ist ein Krieg der neuen Art,
ein Krieg des 21. Jahrhunderts. Er wird
ohne Kriegserklärung geführt, mit ver-
schwommenen Fronten und unterschied-
lichen Schauplätzen. Es gibt Attacken,
von denen man vielleicht nie wissen wird,
wer sie geführt hat. Es wird konventionell
gekämpft, aber auch mit Drohnen in der
Luft und Viren im weltweiten Netz. Ein
verwir render Krieg, in dem keiner die

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Titel

RYAD KRAMDI / GETTY IMAGES / AFP

VREUTERS

Die Brandstifter


Naher OstenIn der gefährlichsten Region der Welt
droht ein neuer Krieg: US-Präsident Donald Trump und sein

saudischer Verbündeter Mohammed bin Salman haben
einen Konflikt mit Iran heraufbeschworen. Dort trumpfen nun

die Hardliner um Revolutionsführer Ali Khamenei auf.


DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019

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