Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1
Titel

Kontrolle behalten kann, auch nicht die,
die ihn führen.
Ein Trio infernale ist dabei, die ganze
Region anzuzünden. Da ist US-Präsident
Trump, der mit seiner aggressiven und
planlosen Politik eine ohnehin fragile Welt-
gegend ins Chaos gestürzt hat. Da ist der
saudische Kronprinz Mohammed bin Sal-
man, kurz MbS, jung und ruchlos, der die
Rivalität mit Iran pflegt und einen grausa-
men Krieg im Jemen führt. Und da ist
Irans Revolutionsführer Ali Khamenei, ein
schiitischer Fundamentalist, gestählt in
vier Jahrzehnten des Kampfes der Islami-
schen Republik gegen den »großen Satan«
in Washington.

Trump hatte darauf gesetzt, dass seine
Strategie des »maximalen Drucks« die
Iraner in die Knie zwingen würde. Nun,
da sie mit Gegendruck reagieren, wird
klar, dass er sich in ein auswegloses Di-
lemma manövriert hat: Trump darf kei-
nen neuen Krieg führen. Wenn er seine
Hoffnung auf eine Wiederwahl im No-
vember 2020 nicht aufgeben will, kann
er sich nicht in einen blutigen Waffengang
im Nahen Osten hineinziehen lassen. Er
hat bisher noch nicht einmal sein Wahl-
versprechen eingelöst, endlich die US-Sol-
daten aus dem Irak und aus Afghanistan
heimzuholen.
Auf der anderen Seite darf Trump aber
auch nicht schwach erscheinen, wenn ihm
die Iraner und ihre Stellvertreter auf der
Nase herumtanzen. Das sagen ihm nicht
zuletzt die Scharfmacher in der eigenen
Partei. »Die zögerliche Antwort des Prä-
sidenten auf den Abschuss einer US-Droh-
ne wurde vom iranischen Regime zweifel-
los als Zeichen der Schwäche gewertet«,
erklärte Lindsey Graham, der republika-
nische Senator aus South Carolina. Trump,
ein harmloses Täubchen? Härter kann
man die Kritik am eigenen Präsidenten
kaum formulieren.
Der Präsident ist hin- und hergerissen.
Am Sonntag schrieb er, das US-Militär ste-
he »geladen und entsichert« zur Stelle. Ei-
nen Tag später versicherte er dagegen, er
habe nie versprochen, die Saudi-Araber
zu beschützen. Am Mittwoch wiederum
drohte er mit der »ultimativen Option«,
um im nächsten Satz schon seine Worte
wieder zurückzunehmen.

Muss Trump nun reagieren? Es wider-
spricht den politischen Instinkten Trumps,
mit militärischer Gewalt zurückzuschla-
gen. Aber der politische Druck könnte so
groß werden, dass er nicht mehr anders
kann. Offenbar gibt es im Pentagon Pläne,
iranische Raketenrampen und Waffenlager
aus der Luft anzugreifen. Eine andere
Möglichkeit wäre, die Raffinerie in Aba-
dan unweit des Persischen Golfs zu atta-
ckieren, eine der größten Anlagen welt-
weit. So berichten es mehrere US-Medien.
Im Pentagon wird auch die Option disku-
tiert, die Zahl der US-Soldaten am Golf
aufzustocken. Auch ein Angriff auf irani-
sche Stellungen in Syrien, wie sie Israel in
der Vergangenheit schon ausgeführt hat,
wäre eine Möglichkeit.
Aber will Trump so weit gehen? Nach
dem Abschuss der US-Drohne Ende Juni
hat sich der Präsident gegen Bomben ent-
schieden und für einen Cyberangriff auf
Computer der iranischen Revolutions-
wächter. Auch diese Option ist nun wieder
auf dem Tisch. Aber natürlich weiß Trump,
dass die Falken im Kongress das als viel
zu schwächlich ansehen würden.
Andererseits wird Iran einen direkten
Angriff kaum unbeantwortet lassen. Au-
ßenminister Mohammad Javad Zarif hat
schon erklärt, dass eine Attacke auf sein
Land in einen »totalen Krieg« münden
würde. Iran hat alle Möglichkeiten, die
USA immer tiefer in einen blutigen Waf-
fengang hineinzuziehen. Es kann den Öl-
transport in der Straße von Hormus mit
Seeminen stoppen oder schiitische Milizen
im Irak dazu ermuntern, Sprengfallen für
US-Soldaten zu bauen. Die Hisbollah im
Libanon verfügt über Raketen, die spie-
lend israelische Städte erreichen. Ein Wink
aus Teheran genügt. Bei jeder Variante
würde die Frage auftauchen, wie die USA
zurückschlagen. Für Trump wäre es ein
Albtraum.
Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien
und Iran ist ein Jahrhundertkonflikt, er
prägt seit Jahrzehnten die ganze Region.
Auf der einen Seite steht die schiitisch
geprägte Islamische Republik, die ihre
Macht seit Jahren in der ganzen Region
ausweitet: Teheran arbeitet daran, von
Damaskus bis Afghanistan eine einzige
Einflusszone zu basteln. Dazu verbündet
es sich auch mit Regimen und Bevölke-

rungsgruppen, die ebenfalls dem schiiti-
schen Glauben anhängen.

Die Schiiten sindeine Minderheit im
Islam, aber sie leben über den ganzen
Nahen Osten verteilt – es gibt sie im Liba-
non und selbst in Saudi-Arabien. Teheran
unterstützt nicht nur das syrische Regime
von Baschar al-Assad, sondern auch die
mächtige Hisbollah-Miliz, die im Libanon
eine Art Staat im Staate ist, es schickt Mi-
lizen in Kriege und finanziert Terroristen.
Diese Einflussnahme, dieses Unruhestiften
in der Region hat auch der Nukleardeal
zwischen Iran, Russland, China, den USA
und der EU nicht beendet.
Auf der anderen Seite steht Saudi-Ara-
bien, die selbst ernannte Führungsmacht
der sunnitischen Muslime – sie gründet ih-
ren Anspruch darauf, dass sie die heiligen
Stätten des Islam beherbergt, Mekka und
Medina. Und auf den ungeheuren Reich-
tum durch Öl, den das Land in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts angehäuft hat.
Auch Saudi-Arabien hat in der ganzen Re-
gion Milizen, Staaten und Terrororganisa-
tionen unterstützt, die beiden Staaten ste-
hen sich darin in nichts nach. Doch Iran
ist Saudi-Arabien militärisch weit überle-
gen – trotz der milliardenschweren Auf-
rüstung durch die USA. Wie wenig Riad
mit seiner Armee ausrichten kann, zeigt
sich im Jemenkrieg, den das Regime seit
vier Jahren mit aller Brutalität, aber ohne
Erfolg führen lässt. Saudi-Arabien fürchtet
sich vor einer iranischen Hegemonie in der
Region – und setzt ganz auf seine ameri-
kanischen Verbündeten.
In den vergangenen Jahren haben die
Herrscher in Riad noch einen weiteren,
eher ungewöhnlichen Alliierten gewon-
nen: Israel unter Premier Benjamin Netan -
yahu steht im Konflikt auf der gleichen
Seite. Denn Israel fürchtet die Ausbreitung
Teherans mindestens so sehr wie Riad.
Deshalb führt das Land seit Jahren einen
Schattenkrieg gegen Iran und die mit ihm
verbundenen Kräfte in der Region, beson-
ders im benachbarten Syrien. Insbesonde-
re Netanyahu drängte immer wieder auf
einen amerikanischen Angriff gegen Irans
Nuklearanlagen. Deshalb suchte er auch
die Nähe Trumps.
Nirgendwo offenbaren sich die Wider-
sprüche des Präsidenten so klar wie im Na-

»Schlechtester Deal aller Zeiten« Der Streit zwischen den USA und Iran seit der Aufkündigung des Atomabkommens



  1. Mai 2018


US-Präsident Donald Trump verkündet
den einseitigen Ausstieg aus dem Nuklear-
abkommen, das am 14. Juli 2015 unter
Beteiligung seines Vorgängers Barack Obama
erzielt worden war. Trumps Begründung:
Iran strebe weiterhin nach Atomwaffen.
Schrittweise sollen die US-Sanktionen
gegen Iran wieder in Kraft gesetzt werden.


  1. Juli 2018


Irans Präsident
Hassan Rohani
droht mit einer
Schließung
der Straße von
Hormus.


  1. Juni 2018


Trump droht
Teherans Handels-
partnern mit
Strafmaßnahmen,
sollten diese nach
Ablauf einer Frist
weiter Öl aus Iran
beziehen.


  1. Mai 2019


US-Sicherheits-
berater John Bolton
kündigt an, einen
Flugzeugträger und
eine Bomberstaffel
in den Nahen Osten
zu verlegen.


  1. April 2019


Ab dem 2. Mai
sollen Ausnahmen
für acht Staaten,
die Irans Öl im-
portieren, nicht
mehr gelten.

PETE MAROVICH / DPA

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