Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

digt, dass sie im Fall ihres Sieges sofort alle
amerikanischen Truppen aus Afghanistan
abziehen würde. Und nun soll das Land
auch noch das durch und durch korrupte
Königshaus in Riad verteidigen?
»Donald Trump möchte keinen neuen
Krieg in der Region«, sagt Peter Rough
vom Hudson Institute in Washington.
Trump will Deals machen – mit China, mit
Nordkorea und wenn es geht auch mit Iran.
Deals jedoch gelingen nur, wenn man in
den Verhandlungen Druck machen kann.
Trumps Problem ist, dass sich die Schrau-
be der wirtschaftlichen Sanktionen gegen
Iran kaum noch stärker anziehen lässt –
und dennoch weigert sich Teheran, auch
nur an den Verhandlungstisch zu kommen.
Trump behauptet zwar ständig, das Re-
gime giere geradezu nach einem Deal.
In Wahrheit ist es eher umgekehrt:
Trump braucht dringend ein Abkommen,
um einen außenpolitischen Erfolg vor der
Wahl im November 2020 präsentieren zu
können. Doch seine Iranpolitik leidet an
einem unauflöslichen Widerspruch: Er hat
das Nuklearabkommen aufgekündigt, ist
aber nicht bereit, die Machthaber in Tehe-
ran notfalls mit Gewalt an den Verhand-
lungstisch zu zwingen. Diese Schwäche
wiederum macht sich die iranische Regie-
rung zunutze. »Trump hat sich in eine
Ecke manöviert«, sagt Iranexperte Nasr.


Als die Geschossegegen vier Uhr am
Samstagmorgen in die Ölanlagen der staat-
lichen Firma Saudi Aramco in Abkaik und
Khurais im Osten des Landes einschlagen,
liegen in der 1700 Kilometer nördlich ge-
legenen iranischen Hauptstadt Teheran die
meisten Menschen noch in tiefem Schlaf.
Die Einwohner der Millionenmetropole
haben sich in den vergangenen Monaten
an ständig neue Katastrophenmeldungen
aus ihrer Nachbarschaft gewöhnt.
Immer wieder haben die iranischen Re-
volutionswächter oder ihre Verbündeten
mit ihren Nadelstichen die USA provo-
ziert. Doch eine Reaktion aus Washington
blieb bisher aus. In Teheran, so viel kann
man sagen, herrscht trotz der angespann-
ten Lage keine Kriegsangst.
Teheran verlässt sich darauf, dass Trump
sich einen weiteren Krieg nicht leisten kann,
deshalb glauben sie sich in einer Position
der Stärke. Auch das Regime hat von einem
militärischen Großkonflikt nichts zu gewin-
nen. In einem normalen Krieg gegen die
stärkste Militärmacht der Welt hätte die Is-
lamische Republik keine Chance. Irans Wirt-
schaft leidet schwer unter den US-Sanktio-
nen, das ist die große Sorge der iranischen
Bürger – viele von ihnen können sich kaum
noch Fleisch leisten. Die USA hoffen, dass
dieser Druck das Regime an den Verhand-
lungstisch zwingt, bisher vergebens.
Denn die Macht des iranischen Regimes
liegt in der Verwundbarkeit der Amerika-


DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019 19


Der Chef des sogenannten Obersten
Revolutionskomitees der Huthis, Moham-
med Ali al-Houthi, 40, ist die Nummer
zwei hinter Rebellenführer Abdul-Malik
al-Houthi im Jemen. Die Huthi-Miliz
befindet sich in einem Krieg gegen die
von Saudi-Arabien unterstützten Regie-
rungstruppen.

SPIEGEL:Sie haben sich zum Angriff auf
die Raffinerie Abkaik bekannt. Die USA
und Saudi-Arabien werfen Ihnen vor, die
Hilfe Irans in Anspruch genommen zu
haben. Verfügen Sie überhaupt über eige-
ne Langstreckendrohnen?
Houthi:Wir verfügen über drei Typen:
»Samad« 1, 2 und 3. Über diese Drohnen,
ihre Eigenschaften, Fähigkeiten, Reich-
weite hat unser Sprecher bereits Aus-
kunft gegeben. Es gibt auch das Modell
»Qasef« und weitere – darüber werden
wir nichts sagen, bis sie eingesetzt werden.
SPIEGEL:Haben Sie wirklich eine Lang-
streckendrohne ohne Hilfe entwickeln
können? Was für Ausrüstung, welche Ex-
perten hat Iran zur Verfügung gestellt?
Houthi:Es ist unklug, deinen Feind zu
unterschätzen. Wie einst die Nordviet -
namesen den Sieg gegen die USA errun-
gen haben, können wir das auch. Das
jemenitische Volk hat großes Potenzial:
eine mächtige Luftwaffe, talentierte
Kader, die sich weiterbilden. Hätte die
Gegenseite das verstanden, hätte sie nie
gewagt, gegen uns Krieg zu führen.
Schon die Osmanen drangen einst in den
Jemen ein, sie kamen mit Schusswaffen
und Kanonen, während das jemenitische
Volk nur Schwerter besaß. Aber die
Jemeniten lernten, Kanonen und Schieß-

pulver herzustellen und die osmanische
Armee mit eigenen Waffen zu schlagen.
SPIEGEL:Die USA sind überzeugt, dass
Iran Sie unterstützt. Wie würden Sie Ihre
Beziehungen zu Iran charakterisieren?
Houthi:Die Beziehung des jemeniti-
schen Staates zu Iran ist eine offizielle
wie zu jedem anderen Land.
SPIEGEL:Wie funktioniert die Zusammen -
arbeit mit Irans Militärexperten?
Houthi:Sie sollten wissen, dass alle
Zuwege in unser Land belagert und abge-
riegelt sind – zu Land, Luft oder See.
Wie bitte sollten ausländische Experten
in den Jemen kommen? Jede Bewegung
wird per Satellit überwacht.
SPIEGEL:Sie streiten also ab, dass Iran
Sie bei den Drohnen unterstützt hat?
Houthi:Reden wir nicht weiter darüber.
SPIEGEL:Was wollten Sie mit diesem
massiven Angriff erreichen?
Houthi:Das war eine Abschreckungs -
operation. Wir wollen die Aggression ein-
dämmen und die Regierung in Riad war-
nen. Sie lassen kein Verbrechen aus, sie
bombardieren Zivilisten, Märkte, Hoch-
zeiten. Sie machen vor nichts halt, sogar
unser einziges Öl-Export-Terminal in Ras
Issa haben sie zerstört. Und die Gegen-
seite wird unterstützt mit Einkünften aus
dem Verkauf von saudi-arabischem Öl.
SPIEGEL:Warum die Angriffe ausgerech-
net auf Pipelines und Raffinerien?
Houthi:Auf Saudi Aramco zu zielen ist
unsere größte Chance, um die Aggres -
sion gegen uns zum Stillstand zu bringen.
Würden wir nicht bombardiert, griffen
wie niemals zu solchen Mitteln.
SPIEGEL:Sie haben noch zerstörerischere
Operationen angekündigt. Zum Beispiel?
Houthi:Unser Verteidigungsministerium
hat eine Liste der für Saudi-Arabien
lebenswichtigen militärischen Ziele aus-
gearbeitet. Wir betrachten das als unser
legitimes Recht auf Selbstverteidigung.
Bisher sind 300 Ziele ausgekundschaftet.
Wenn die Aggression danach nicht auf -
gehört hat, werden wir neue finden.
SPIEGEL:Der Angriff auf Abkaik könnte
eine Weltkrise entfachen.
Houthi:Das jemenitische Blut, das bis
heute vergossen wurde, und die Verbre-
chen, die unser Volk zu erleiden hatte, ha-
ben die Welt nicht erschüttert. Uns ist es
gleichgültig, ob die Welt um ihre Ölliefe-
rungen fürchtet. Unser Blut ist kostbarer.
Interview: Mohammed al-Kibsi

JemenMohammed Ali al-Houthi über die Strategie der Miliz im
Kampf gegen Saudi-Arabien und die Kooperation mit Iran

»Sie bombardieren Zivilisten«


SHUTTERSTOCK EDITORIAL
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