Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1
Kriegsheld, ist der eigentliche Architekt
von Irans Außen- und Sicherheitspolitik
in der Region. Die Hardliner besetzen zu-
dem Schlüsselpositionen in der Justiz und
in den verschiedenen religiösen Räten, die
die Politik des Landes bestimmen.
Das iranische Regime besteht aus so
vielen unterschiedlichen Fraktionen, dass
schwer nachzuvollziehen ist, wer genau
den Befehl zum Angriff auf die Raffinerie
gegeben haben könnte. War Khamenei in-
formiert? Oder würden die Revolutions-
wächter eine solche Aktion auch ohne ex-
plizite Zustimmung ausführen? Das sind
Fragen, über die auch westliche Regierun-
gen rätseln.
»Iran wird sich weiter klar in eine erz-
konservative Richtung entwickeln, solange
es keine Deeskalation mit den USA gibt«,
warnt Khajehpour.

Titel

20

Globaler Zündstoff


Wer den USA und China Rohöl liefert, 2018

Die größten Rohölproduzenten, Mai 2019,
in Millionen Barrel pro Tag

Versorgungsausfall wegen der Angriffe auf
die Ölanlagen in Saudi-Arabien

Quellen: EIA, WTEx
*Vereinigte Arabische Emirate

Kanada 4,

USA 12,

Russland 10,

Saudi-Arabien 9,

Irak 4,

China 3,

VAE* 3,

Iran 3,

USA
40%

13
9
7
7

24

Kanada

Saudi-
Arabien
Mexiko
Irak
Venezuela

Sonstige
Länder

China

28

16% Russland

12
10

Saudi-
Arabien
Angola
9 Irak
7 Oman
7 Brasilien
6
5

Iran
Kuweit

Sonstige
Länder

5,7Millionen Barrel Rohöl pro Tag


ner und deren Verbündeter in der Region.
Und das lassen sie Trump spüren.
Trumps Eskalationspolitik der vergan-
genen anderthalb Jahre hat die Hardliner
in Iran gestärkt. Nachdem der US-Präsi-
dent im Mai 2018 aus dem Atomabkom-
men ausgestiegen war, gelang es den Mo-
deraten zunächst noch, eine Politik der
»strategischen Geduld« durchzusetzen. Sie
hofften, dass die Europäer aktiv werden
und die Folgen der US-Sanktionen mil-
dern würden. Als das ausblieb, passten die
Iraner ihre Strategie an: Seit dem Frühjahr
setzt Iran das Abkommen schrittweise
immer weiter außer Kraft.
Die Hardliner sind überzeugt, dass es
nur einen Weg gibt, die US-Regierung zu
einer Lockerung der Sanktionen zu bewe-
gen: Sie müssen die Kosten für Trumps
Politik in die Höhe treiben. »Das Ziel ist
zu zeigen, dass die amerikanische Strate-
gie des maximalen Drucks fehlgeschlagen
ist, dass die Sanktionen Iran regional
nicht geschwächt, sondern zusätzliche
Spannungen herbeigeführt haben«, sagt
Bijan Khajehpour, Irananalyst und Ge-
schäftsführer der Wiener Unternehmens-
beratung Eunepa.
Er warnt, dass eine Eskalation des Kon-
flikts die Moderaten weiter an den Rand
drängen und den politischen Raum für die
Hardliner noch erweitern wird. Das Pro-
blem sei, dass diese Entwicklung nicht nur
die Parlamentswahl im kommenden Jahr
und die Präsidentschaftswahl 2021 beein-
flussen werde, sondern auch die Entschei-
dung über die Nachfolge des Revolutions-
führers. Und damit über die entscheidende
Position im Machtgefüge der Islamischen
Republik.


Ajatollah Ali Khamenei ist seit 30 Jahren
der mächtigste Mann der Islamischen Re-
publik, Nachfolger des legendären Revo-
lutionsführers Ajatollah Ruhollah Khomei-
ni, der 1979 den Sturz des Schah-Regimes
anführte und das Heer der amerikanischen
Berater Mohammad Reza Pahlavis aus
dem Land warf. Khamenei ist inzwischen
80 Jahre alt, immer wieder machen Ge-
rüchte über eine Krebserkrankung die
Runde, nicht ausgeschlossen, dass sich die
Frage seiner Nachfolge schon bald stellen
könnte.
In den Jahrzehnten seiner Herrschaft
hat Khamenei die Machtbalance zwischen
den Flügeln des iranischen Regimes austa-
riert. Lange hat er dafür gesorgt, dass we-
der die Hardliner noch die Moderaten die
Oberhand gewinnen, die das Land durch
behutsame Reformen öffnen, die interna-
tionale Isolation aufbrechen und die Feind-
schaft mit den USA entschärfen wollen.
Doch nun sind die Hardliner so stark
wie selten zuvor. Ihr Anführer Qasem
Soleimani, Chef der Elitetruppe der Revo-
lutionswächter und ein kampferprobter

Irans Erzrivale Saudi-Arabien entpuppt
sich dagegen immer mehr als tönerner
Riese. Die Saudis wissen, dass sie ohne
die USA einen Krieg gegen Iran nicht be-
stehen können. Die Attacke am vergange-
nen Samstag hat ihnen mit aller Härte die
eigene Schwäche und militärische Inkom-
petenz vor Augen geführt. Riad hat für
Hunderte Milliarden Dollar westliche
Waffentechnologie gekauft, allein die
sechs »Patriot«-Luftabwehrsysteme des
amerikanischen Herstellers Raytheon kos-
teten etwa sechs Milliarden Dollar. Trotz-
dem ist man offenbar noch nicht einmal
fähig, die wichtigste Ölanlage des Landes
zu schützen.
Saudi-Arabien steckt nach den Angrif-
fen auf die Ölanlagen in einer Krise, doch
von dem mächtigsten Mann des Landes,
von Kronprinz bin Salman, ist nichts zu
hören. Der Prinz hat sich kurz mit US-
Außenminister Pompeo getroffen, aber
ansonsten ist er abgetaucht.
Für MbS ist die Attacke auf das Herz
der saudi-arabischen Wirtschaft ein Ge-
sichtsverlust. Er hat sich als starker Mann
inszeniert, als entschlossener Herrscher,
seit ihn sein Vater, König Salman, 2017
zum Kronprinzen ernannt und ihm damit
schon jetzt de facto die Macht über das
Königreich übertragen hat. MbS gefiel
sich in der Rolle des jungen Thronfolgers,
der sein Land umkrempelt. Er gab Frauen
neue Rechte und versprach, Saudi-Ara-
bien aus der Abhängigkeit vom Öl zu
befreien. Widersacher wurden beiseite -
geräumt. Doch die Diskrepanz zwischen
Anspruch und Wirklichkeit wurde in Riad
zuletzt immer größer. Der Ölprinz steuert
sein Land von Krise zu Krise, die meisten
davon selbst verschuldet.
Vor einem Jahr wurde der Regimekriti-
ker Jamal Khashoggi im saudi-arabischen
Konsulat in Istanbul mit Drogen betäubt
und getötet, seine Leiche anschließend mit
einer Knochensäge zerteilt und davon -
geschafft. Das Kill-Team ging bei dem Ver-
brechen so dilettantisch vor, dass manche
glaubten, die Pannen seien Absicht, um
Oppositionellen die grausame Entschlos-
senheit des Regimes vorzuführen. Wahr-
scheinlicher ist, dass MbS niemanden in
seinem Umfeld hat, der seinen Wahnsinn
bremst. Seit dem Mord an Khashoggi kann
sich MbS noch so sehr als Reformer dar-
stellen, weite Teile der Welt sehen ihn als
kaltblütigen Despoten, als Monster.
Auch im Jemen hat sich der junge
Thronfolger verrannt. MbS war noch nicht
zum Kronprinzen ernannt, da befahl er
als Verteidigungsminister 2015 die Inter-
vention gegen die Huthi-Miliz im Nach-
barland. Das Regime versprach damals
eine Blitzaktion, in wenigen Monaten, so
prahlte MbS, wären die Huthis vertrieben.
Inzwischen ist der Krieg im fünften Jahr,
er hat Zehntausende Todesopfer gefordert,
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