Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

Tanklagern rund um die Welt bunkern sie
beträchtliche Mengen. Allein Saudi-Ara-
bien verfügt über beträchtliche Kapazitä-
ten, die 35 Tage lang die gewohnten Ex-
porte sichern können.
Früher wären die USA die größten Leid-
tragenden eines solch massiven Ausfalls
gewesen – nun hat vor allem China ein
Problem: Es ist einer der größten Abneh-
mer von Öl aus dem Persischen Golf. Zu-
dem befindet es sich gerade in einem Wirt-
schaftskrieg mit den USA. Eine weitere
Be lastung seiner Wirtschaft durch einen
steigenden Ölpreis könnte es nur schlecht
aushalten.
Bleibt es bei dieser einen Attacke, wird
die Weltwirtschaft den Ausfall aber eini-
germaßen verkraften können. Das gegen-
wärtige Niveau von rund 64 Dollar pro
Barrel der Sorte Brent ist erträglich, es
liegt noch immer rund ein Fünftel niedri-
ger als zum Jahreshoch im April. Folgen
aber weitere Angriffe und womöglich Ge-
genattacken, dürfte sich der Risikoauf-
schlag innerhalb des Ölpreises deutlich er-
höhen, dann erwächst daraus eine ernste
Gefahr für die Weltkonjunktur. Und damit
auch für die amerikanische Wirtschaft und
die Wiederwahl Donald Trumps.
Kann der Versuch gelingen, den Riss
zwischen Europa und den USA in der Iran-
politik doch noch zu kitten? An Ermah-
nungen seitens der Amerikaner mangelt
es nicht: »Nun ist die Zeit gekommen, dass
unsere europäischen Verbündeten und un-
sere Freunde im Nahen Osten die Führung
übernehmen«, twitterte Richard Grenell,
der US-Botschafter in Berlin, am vergan-
genen Sonntag: »Das Verhalten Irans ist
nicht nur ein Problem der USA.«
In Berlin sorgen solche Sprüche nur
noch für Augenrollen: Erst habe Trump
mit der Aufkündigung des Atomabkom-
mens dafür gesorgt, dass die Lage so weit
eskalieren konnte, heißt es dort. Und jetzt,
wo er nicht mehr weiterweiß, bettelt er
um Hilfe.
Aus Sicht der Europäer gab es ja schon
den Versuch, Trump eine Brücke zu bau-
en. Auf dem G-7-Gipfel in Biarritz Ende
August hatte der französische Präsident
Macron ein riskantes Manöver gewagt:
Er lud Mohammad Javad Zarif zu einem
Treffen an der französischen Atlantik -
küste, wohl wissend, dass die US-Regie-
rung den iranischen Außenminister keine
vier Wochen zuvor auf eine Terrorliste
gesetzt hatte. Die Einladung Macrons hät-
te leicht in einem Eklat enden können,
aber der französische Präsident brachte
Trump die Idee bei einem Mittagessen un-
ter vier Augen gleich zu Beginn des Gip-
fels nahe. Offenkundig versuchte Macron,
sich Trumps Vorliebe für Deals zunutze
zu machen.
Für Macron war es immerhin ein Ach-
tungserfolg, dass Trump den Gipfel wegen


Titel

Videoanalyse
Die Folgen des Angriffs

spiegel.de/sp392019arabien
oder in der App DER SPIEGEL

der Anreise Zarifs nicht platzen ließ. Aber
in der Sache erreichte der französische Prä-
sident nichts. Macron brachte die Idee auf,
Iran einen Kredit in Höhe von 15 Milliar-
den Euro zu gewähren, um der lahmenden
Wirtschaft zu helfen. Aber selbst dieses
kleine Zugeständnis lehnte Trump ab. So
reiste Zarif ohne Ergebnisse zurück nach
Teheran.

Nun, nach der Attackeauf die saudischen
Raffinerien, ist die Lage noch verfahrener.
In einer ersten Reaktion hat Trump die
Sanktionen gegen Iran verschärft, was di-
rekte Gespräche noch unwahrscheinlicher
macht. Aller Voraussicht nach wird es kom-
mende Woche in New York noch nicht
einmal ein Treffen Pompeos mit seinem
iranischen Kollegen Zarif geben, heißt es
in Berlin.
Andererseits verspüren die Europäer
wenig Neigung, gemeinsam mit den USA
den Druck auf Teheran zu erhöhen. Of-
fenkundig wollen die Amerikaner ein
Dossier vorlegen, das beweisen soll, dass
Iran hinter der Attacke auf die saudische
Ölindustrie steckt. Zumindest die Deut-
schen aber werden wohl nicht mit dem
Finger auf Teheran zeigen. Auch wenn
sich herausstellen sollte, dass die Drohnen
in Iran gebaut wurden, sei das kein
Beweis, heißt es schon prophylaktisch in
der Regierung.
Auch Paris äußert sich zurückhaltend.
Nach einem Telefongespräch mit MbS
kündigte Macron an, eigens französische
Experten nach Riad zu schicken, um sich
vor Ort ein Bild über die Urheberschaft
des Anschlags zu machen. Grundsätzlich
aber habe sich an der Strategie des Élysée
nichts geändert: »Wir müssen zum Prinzip
der Deeskalation zurückkehren«, so Außen -
minister Jean-Yves Le Drian.
Kanzlerin Merkel will sich von Trump
keinesfalls in ein militärisches Abenteuer
hineinziehen lassen. Am Dienstag forderte
sie den amerikanischen Präsidenten dazu
auf, zu dem Atomabkommen zurückzu-
kehren. Hinter vorgehaltener Hand be-
schreiben deutsche Diplomaten ihre US-
Kollegen als vollkommen kopflos.
»Ich kann Ihnen nicht viel sagen«, sei
ein Standardsatz in Gesprächen mit ame-
rikanischen Spitzenbeamten. Oder: »Un-
sere Politik wird gerade überprüft.« Selbst
das Washingtoner Spitzenpersonal verste-
he nicht, was Trump will.
Christiane Hoffmann, Alexander Jung,
Susanne Koelbl, Rene Pfister, Maximilian
Popp, Alexandra Rojkov, Britta Sandberg

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