Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1
29

AfD-»Lehrerpranger«

»Schulklima vergiftet«


Hamburgs Bildungs -
senator Ties Rabe, 58
(SPD), über ein mögli-
ches Verbot der AfD-
Internetseite »Neutra-
le Schulen«. Auf dem
Portal können Lehr-
kräfte gemeldet wer-
den, die ihre Schüler
»für parteipolitische oder weltanschauliche
Ziele« vereinnahmen, wie es dort heißt.


SPIEGEL:Herr Rabe, der Datenschutzbe-
auftragte von Mecklenburg-Vorpommern
hat den »Lehrerpranger« der AfD in sei-
nem Land untersagt. Nun lassen auch Sie
ein Verbot prüfen – warum erst jetzt?
Rabe:Viele Juristen haben bisher immer
die Meinung vertreten, dass ein Verbot
nicht möglich sei. Jetzt, da es in Mecklen-
burg-Vorpommern geklappt hat, sollten
wir einen neuen Anlauf nehmen. Auch in

Hamburg sammelt die AfD mit dem Por-
tal schließlich sensible Daten von Lehr-
kräften, etwa zu deren politischen Einstel-
lungen. Dagegen wollen wir vorgehen.
SPIEGEL:Inwiefern wird das AfD-Portal
an Schulen überhaupt wahrgenommen?
Rabe:Es hat das Schulklima vergiftet.
Unter den Lehrkräften herrschen Unsicher -
heit und Misstrauen. Viele haben das
Gefühl, permanent unter Beobachtung zu
stehen, sie sind im Unterricht ständig
auf der Hut. So ist eine verkrampfte Atmo -
sphäre entstanden. Wer möchte schon
anonym angeschwärzt werden?
SPIEGEL:Ist das in nennenswertem
Umfang vorgekommen?
Rabe:Nicht in übergroßer Zahl, aber die
Folgen von einzelnen Aktionen waren ver-
heerend. Die AfD hat ihre Hinweise näm-
lich nicht auf dem üblichen Weg an die
Schulbehörde zur Prüfung weitergeleitet.
Sondern sie hat Kleine Anfragen an den
Senat gestellt – oft mit entsprechend kraft-
voller medialer Begleitung. Dadurch wur-
den aus kleineren Vorfällen, von denen

wir nicht einmal sicher wissen, ob sie stim-
men, oft hässliche öffentliche Auseinan-
dersetzungen. Das schadet allen Beteilig-
ten und schürt Angst.
SPIEGEL:Welche Vorfälle meinen Sie?
Rabe:Es ging zum Beispiel um politische
Äußerungen, die im Rahmen von Lehrer-
fortbildungen gefallen sein sollen und die
die AfD mit Videoaufzeichnungen zu
belegen versuchte. In einem anderen Fall
hatte eine Schule Aufkleber von Schülern
mit politischen Aussagen nicht schnell
genug entfernt.
SPIEGEL:Wie sollten Schüler und Eltern
korrekterweise vorgehen, wenn sie mei-
nen, ein Lehrer oder eine Lehrerin verhal-
te sich nicht politisch neutral?
Rabe:Es gibt immer die Möglichkeit, eine
Beschwerde bei der Schulbehörde einzurei-
chen, wenn es Unstimmigkeiten zwischen
Lehrkräften und Schülern rund um das
Neutralitätsgebot gibt. Dem gehen wir
jedes Mal nach, und dabei haben durchaus
öfter Eltern oder Schüler recht bekommen.
Dafür brauchen wir die AfD nicht. OLB

Strafjustiz

Längere Haft wegen


Richtern in Elternzeit


 Untersuchungshäftlinge müssen bis zu
zwei Monate länger im Gefängnis blei-
ben, wenn während eines Strafprozesses
einer der zuständigen Richter oder
Schöffen in Elternzeit geht. Das ergibt
sich aus dem Referentenentwurf
des Bundesjustizministeriums für die
Reform der Strafprozessordnung.
Voraussetzung ist, dass es schon mindes-
tens zehn Verhandlungstage gab. Bis-
lang ist in einem solchen Fall eine soge-
nannte fristhemmende Unterbrechung

der Verhandlung nur bei Krankheit der
Richter oder Schöffen oder des Ange-
klagten möglich, und auch dann nur für
maximal sechs Wochen. Künftig soll die-
se Frist auf zwei Monate ausgeweitet
werden und auch für Mutterschutz und
Elternzeit gelten. Im Bundesjustizminis-
terium heißt es, mit der Neuregelung
wolle man die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf stärken. Der Strafrechtsexper-
te des Deutschen Anwaltvereins, Ali
Norouzi, kritisiert die geplante Neurege-
lung: »Die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf ist wichtig, darf aber nicht auf
dem Rücken der Beschuldigten ausgetra-
gen werden und auf Kosten der Qualität
des Verfahrens gehen.« RAN

MARKUS SCHOLZ / DPA

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Untersuchungshaftanstalt Hamburg

AXEL SCHMIDT / REUTERS

Maaßen

Union

Mohring mahnt Maaßen


 Der thüringische CDU-Chef Mike
Mohring hat den früheren Verfassungs-
schutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen
aufgefordert, im Landtagswahlkampf
die Positionen der CDU zu vertreten.
»Wir erwarten von jedem, der in unse-
rem Wahlkampf auftritt, dass er unsere
Botschaften teilt und für die Wahl der
CDU und ihres Spitzenkandidaten
wirbt, aber keine eigene Agenda mit-
bringt«, sagte Mohring. Die CDU gren-
ze sich klar nach links und nach rechts
ab. In Thüringen wird Ende Oktober
ein neuer Landtag gewählt. Unionsmit-
glied Maaßen hatte per Twitter ange-
kündigt, er werde CDU-Kandidaten im
Wahlkampf unterstützen und »hoffe,
dass es keine Heckenschützen gibt«.
Der ehemalige Verfassungsschützer ist
Mitglied der konservativen WerteUnion,
die zum Teil AfD-nahe Positionen ver-
tritt. So hatte Maaßen am Dienstag per
Twitter gefordert, über die Abschaffung
von ARD und ZDF nachzudenken. RAN
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