Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1
30 DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019

Deutsche Pseudodiplomaten

Frische Pässe aus Gambia


 Die Affäre um afrikanische Diplomaten-
ausweise für kriminelle Deutsche weitet
sich aus. Neben dem Staat Guinea-Bissau
ist nun auch Gambia betroffen. Dort
haben die Vorgänge eine Regierungskrise
ausgelöst, mehr als ein Dutzend Verdäch-
tige wurde verhaftet. Hintergrund: Auf
dubiose deutsche und europäische
Geschäftsleute mit teils krimineller Ver-
gangenheit wurden gambische Diploma-
tenpässe ausgestellt. Bei einigen handelt
es sich um dieselben Männer, gegen die
bereits die Münchner Staatsanwaltschaft
ermittelt, darunter den justizbekannten
Pleitier Andreas Brandl und den gestrau-
chelten Profiboxer Mario Daser. Auch für

einen Schweizer Millionärs-
sohn, gegen den ein deut-
scher Haftbefehl vorliegt,
wurde ein gambischer
Diplomatenpass ausgestellt.
Die drei waren den Ermitt-
lern zunächst als Inhaber
fragwürdiger diplomati-
scher Ausweise der Repu-
blik Guinea-Bissau aufge-
fallen. Mehrere dieser Papiere
hatte die Bundespolizei jedoch im Mai am
Frankfurter Flughafen beschlagnahmt
(SPIEGEL38/2019). Wenige Wochen spä-
ter wurden dann Pässe der Republik
Gambia auf die Männer ausgestellt. Darin
werden sie als gambische Staatsbürger
und Sonderbotschafter (»Ambassador at
Large«) bezeichnet. In Gambia wird nun

laut Regierung auch gegen
mutmaßlich korrupte Mit -
arbeiter des dortigen Außen-
ministeriums ermittelt. In
Deutschland hat die Polizei
bereits Ende August drei in die
Passaffäre verwickelte Männer
verhaftet. Einer der Inhaftierten
hatte 2018 Boris Becker zu
einem afrikanischen Diplomaten-
posten verholfen, mit dem der
Ex-Tennisstar erfolglos versuchte,
seinem Insolvenzverfahren zu entgehen.
Dasers Anwalt wollte sich nicht zu den Vor-
würfen äußern. Brandls Verteidiger teilte
mit, sein Mandant könne sich die Ermitt-
lungen gegen ihn nicht erklären. Er wolle
»zu gegebener Zeit zu sämtlichen Vorwür-
fen Stellung nehmen«. MGB, SRÖ, WOW

Thüringen-Wahl

Biedenkopf blinkt links


 Der ehemalige Ministerpräsident von
Sachsen, Kurt Biedenkopf (CDU), hält
Die Linke heute für eine andere Partei als
vor zehn Jahren. »Sie hat sich verän-
dert«, sagt der 89-Jährige, der das Bun-
desland von 1990 bis 2002 regierte,
gegenüber dem SPIEGEL. Demnächst
werde er Thüringens Ministerpräsident
Bodo Ramelow (Linke) tref-
fen. »Er kommt mir vernünf-
tig vor, was mich selbst
erstaunt hat«, sagt Bieden-
kopf. Damit stellt sich der
CDU-Grande gegen Teile sei-
ner Partei. Erst im Juni erhielt
der schleswig-holsteinische
Ministerpräsident Daniel
Günther (CDU) viel Kritik,
als er im Doppelinterview
mit Ramelow Sympathien für
die Linke durchschimmern
ließ (SPIEGEL ONLINEam


  1. Juni 2019). Mehrfach hatte die CDU-
    Spitze eine Zusammenarbeit mit der
    Linken ausgeschlossen. Biedenkopf lehnt
    zwar jegliche Zusammenarbeit mit der
    AfD ab, »weil sie eine populistische Par-
    tei ist«, wie er sagt. Den Umgang mit der
    Linken hingegen wolle er den CDU-Lan-
    desvorsitzenden überlassen. Biedenkopf:
    »Wenn gewünscht, diene ich mit meiner
    persönlichen Meinung.« Thüringen wählt
    am 27. Oktober einen neuen Landtag.
    Die bisherige Regierungs -
    koalition aus Linken, SPD
    und Grünen kann laut einer
    ak tuellen Umfrage von Infra-
    test dimap nur mit 43 Pro-
    zent der Stimmen rechnen.
    Die CDU könnte als weite-
    rer Koalitionspartner oder
    Stütze einer von der Linken
    angeführten Minderheits -
    regierung infrage kommen.
    Thüringens CDU-Landes-
    chef Mike Mohring schließt
    das allerdings bisher aus. TIL


EU-Kommissare

Kandidaten im Zwielicht


 Vor den Anhörungen der Anwärter
für die nächste EU-Kommission wächst
die Kritik am Team der neuen Präsiden-
tin Ursula von der Leyen. Es gibt
bereits gegen neun der künftigen Kom-
missare Bedenken; gegen die Bewerber
aus Polen und Frankreich ermitteln
sogar die EU-Betrugsbekämpfer von
Olaf (SPIEGEL38/2019). Nun hat auch
der Rechtsausschuss des Europaparla-
ments, der am Donnerstag die finan-
zielle Eigenauskunft der künftigen
Kommissare prüfte, in mindestens neun
Fällen Nachfragen. »Es geht um Aktien-
besitz, Interessen der Familienmit -
glieder oder auch mal Diskrepanzen in
den Angaben«, sagt das Grünenaus-
schussmitglied Sergey Lagodinsky. Die
An hörungen in den Fachausschüssen
beginnen Ende September, Anfang
November soll die neue EU-Kommissi-
on ihr Amt aufnehmen. Zuvor müsste
aber das Europaparlament der gesam-
ten Kommission zustimmen. MP, WAS

Bamf-Affäre

Berufsverbot für Anwälte?


 Die Bremer Staatsanwaltschaft hat beim
Landgericht ein vorläufiges Berufsverbot
gegen die in der Bamf-Affäre angeklagten
Rechtsanwälte Irfan C. und Cahit T.
beantragt. Den Beschuldigten werde eine
»Vielzahl von Aufenthalts-, Asyl- und
Urkundsdelikten« vorgeworfen, heißt es
in der fünfseitigen Begründung. Sie hätten
zusammen mit einem Amtsträger über
einen langen Zeitraum »kollusiv« zusam-
mengewirkt, »routinemäßig Falschanga-
ben gemacht und regelmäßig Unterschrif-
ten von Mandanten gefälscht«, heißt es.
Derartige Pflichtverletzungen seien auch


in Zukunft zu erwarten. Rechts anwalt
Henning Sonnenberg, der Irfan C. vertritt,
kritisiert den Antrag als »willkürlich«. Sei-
nem Mandanten sei nichts vor zuwerfen.
Sonnenberg: »Noch vor einem Gerichts-
verfahren soll die Existenz meines Man-
danten vernichtet werden.« Die Anklage
richtet sich gegen die Anwälte sowie
die ehemalige Leiterin der Bremer Bamf-
Außenstelle, Ulrike B. Ihnen wird unter
anderem »Verleitung zur missbräuchli-
chen Asylantragstellung« vorgeworfen.
Alle drei bestreiten die Vorwürfe. Das
Verfahren gegen einen Dolmetscher,
der ebenfalls ins Visier der Ermittler ge -
raten war, wurde nach SPIEGEL-Informa-
tionen inzwischen eingestellt. GUD, WOW

SEBASTIAN KAHNERT / DPA
Biedenkopf

VIRGINIA MAYO / DPA
Von der Leyen (vorn M.), Kandidaten
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