Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1
Deutschland

auch die Bundeskanzlerin vor einem Mil-
lionenpublikum im Fernsehen: »Mit mir
wird es eine Maut für Autofahrer im In-
land nicht geben«, sagte Merkel im Rede-
duell mit Peer Steinbrück. Auch sie war
im Wahlkampf, eine Woche nach der baye-
rischen Landtagswahl wurde der Bundes-
tag neu gewählt.
Danach einigten sich Union und SPD in
ihrem Koalitionsvertrag schließlich auf die
Formulierung, deutsche Fahrzeughalter
dürften durch die geplante Pkw-Maut nicht
»stärker belastet« werden als vorher. Damit
war der Fehler implementiert, der das Vor-
haben beerdigen würde: Wie sollte der Eu-
ropäischen Union erklärt werden, dass Aus-
länder auf deutschen Fernstraßen bezahlen
müssen, die hiesigen Autofahrer aber nicht?


Es war Dobrindt selbst,der aus dem frag-
würdigen Wahlkampfschlager ein Gesetz
zimmern sollte. Am 17. Dezember 2013
wurde er in der Großen Koalition als Bun-
desverkehrsminister vereidigt und musste
nun dafür sorgen, dass der geplante Wege -
zoll nicht nur den Koalitionsfrieden wahr-
te, sondern auch den Regeln der EU-Kom-
mission in Brüssel standhielt.
Im Februar 2014 hatte sein Haus den
ersten Entwurf für das Mautgesetz fertig.
Allerdings war die Frage der Kompensa -
tion noch nicht beantwortet. Die Beamten
wussten bereits, dass es Probleme geben
würde: »Die direkte Verbindung zwischen
Pkw-Maut und Kompensation dürfte ge -
gen das Diskriminierungsverbot der EU
verstoßen«, hieß es in internen Unterlagen.
Trotzdem ließ Dobrindt weiter an dem
Gesetz arbeiten, selbst dann noch, als
auch der Wissenschaftliche
Dienst des Bundestags die
Pläne des Ministers als eu-
roparechtswidrig beurteilte.
Das Papier habe »einzelne
Fehler und Ungenauigkei-
ten«, schrieben Dobrindts
Beamte in einer Bewertung
des Bundestagsgutachtens
an ihren Minister, »im We-
sentlichen« aber sei die Ar-
gumentation »schlüssig«.
In diesem Moment schal-
tete sich Andreas Scheuer
in die Mautdebatte ein. Zu
jener Zeit war er CSU-Ge-
neralsekretär, als Nachfol-
ger Dobrindts. Das Gutach-
ten sei »so grundfehlerhaft,
dass es sofort zum Alt -
papier gehört«, schimpfte
Scheuer, selbst Politologe,
im Bayerischen Rundfunk.
Wenn man wesentliche
Punkte bei einer wissen-
schaftlichen Analyse außer

* Am 30. Dezember 2018 in Berlin.

Acht lasse, »dann dürfen diese Gutachter
niemals mehr für den Wissenschaftlichen
Dienst arbeiten«.
Es gehört zu den bizarren Kapiteln der
Geschichte über die gescheiterte Maut,
dass der Mann, der da die hoch angesehe-
ne Wissenschaftsabteilung des Bundestags
verteufelte, zwei Jahre zuvor noch zu den
Skeptikern zählte. Scheuer hatte bis 2013
als Staatssekretär im Verkehrsministerium
gedient und in dieser Funktion einen Brief
des CDU-Abgeordneten Willi Zylajew aus
Nordrhein-Westfalen beantwortet. Der
hatte die Frage aufgeworfen, ob man nicht
eine Maut einführen könne, ohne deutsche
Autofahrer zu belasten. Scheuer entgeg-
nete, dies sei »aus EU-rechtlichen Grün-
den kein gangbarer Weg«.
Das sah die EU-Kommission genauso.
Sie wehrte sich gegen das Vorhaben aus
Deutschland, doch Dobrindt gab nicht auf.
Mehrmals konferierte er mit dem Kabi-
nettschef des EU-Kommissionspräsiden-
ten. Die EU-Kommission fand zwar wenig
Gefallen an den deutschen Plänen, aber
im Grundsatz war sie dafür, Straßen über
die Nutzer zu finanzieren.
Deshalb ließ sich die EU-Kommission
im Dezember 2016 auf einen Kompromiss
ein. Die Fahrer von umweltfreundlichen
Autos sollten bei der Maut entlastet wer-
den, für Ausländer wurden neue Vignet-
tenklassen eingeführt. Die Kommission
stellte daraufhin das Vertragsverletzungs-
verfahren gegen Deutschland ein.
Doch die Kritik an dem deutschen Vor-
haben riss nicht ab. Österreich klagte vor
dem EuGH gegen das Mautgesetz. Und
der Wissenschaftliche Dienst des Bundes-

tags kam in einem neuen Gutachten zu
dem Ergebnis, dass auch das reformierte
Mautgesetz europarechtswidrig sei. Die
zweite Analyse der Bundestagsjuristen rief
wieder Andreas Scheuer auf den Plan:
»Bei so viel fachlicher Ignoranz muss man
die Frage nach dem Sinn des Wissenschaft-
lichen Dienstes stellen.«
Im März 2018 hatte Andreas Scheuer
die Zukunft des CSU-Prestigevorhabens
selbst in der Hand. Nach der Bundestags-
wahl wurde der Mann aus Niederbayern
neuer Bundesverkehrsminister. Die Pläne
waren weiter gediehen. Dobrindt hatte das
Vergabeverfahren für den Betrieb des Sys-
tems bereits eingeleitet. Scheuer musste
das Werk, bereits im fünften Jahr seiner
Genese, vollenden.
Vieles war aber noch ungewiss: Im Hin-
tergrund lauerte das EuGH-Verfahren. Und
ob die Einnahmen durch die Maut wirklich
die Kosten übersteigen würden, schien
zweifelhaft. Was Scheuer brauchte, war ein
verlässlicher Partner aus der Wirtschaft, der
seine Pläne möglichst schnell und kosten-
günstig in die Tat umsetzen konnte. Klaus-
Peter Schulenberg war so ein Partner.
Der Mann aus Bremen kann auf eine
steile Karriere zurückblicken. Mit 19 Jah-
ren nahm er den noch unbekannten Schla-
gersänger Bernd Clüver (»Der Junge mit
der Mundharmonika«) unter Vertrag. 1976
organisierte er ein Konzert der Rolling
Stones in seiner Heimatstadt. In den fol-
genden Jahrzehnten baute er seine Markt-
macht durch Zukäufe, vor allem in der Ver-
anstaltungsbranche, aus.
Schulenberg sicherte sich bekannte
Eventagenturen und betreibt große Veran-
staltungsstätten, etwa die le-
gendäre Berliner Waldbüh-
ne oder die Kölner Lanxess
Arena. Der wohl gewagteste
Deal war der frühe Einstieg
in das Onlineticketing, den
Vertrieb von Einlasskarten
über das Internet.
Viele Konzertbesucher
haben heute indirekt mit
Schulenberg zu tun: Seine
Firma CTS Eventim domi-
niert den Markt für Musik-
und Sportveranstaltungen in
Europa. Ob Weltstars wie
Rihanna oder die Schlager-
sängerin Helene Fischer,
Eventim hat immer wieder
die erfolgreichsten Popmusi-
ker im Angebot. Der Chef
selbst hört gern Klassik.
Die ständige Suche nach
Investments machte Schu-
lenberg zum Milliardär. Die
Pkw-Maut sollte nun seine
Eintrittskarte in eine neue
Welt werden, den öffent -
lichen Sektor. KPS Payment,

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Beteiligte nach Unterzeichnung des Mautvertrags*, Ausschnitt der
Ministervorlage vom 14. Januar 2019: Ungebremst in den Crash
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