Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

eine Firma seines weit -
verzweigten Imperiums, wi-
ckelte bereits Zahlungen
für den Lkw-Mautbetreiber
Toll Collect ab. Jetzt wollte
Schulenberg die bürokrati-
sche Herausforderung der
Pkw-Maut meistern.
Deutsche Autohalter soll-
ten zunächst schriftlich über
die Einführung der Maut
und das fällige Lastschrift-
verfahren informiert wer-
den. Anschließend hätten
sie einen Bescheid für die
Maut bekommen, dazu ei-
nen weiteren Bescheid für
die Kfz-Steuer, die entspre-
chend niedriger ausgefallen
wäre, um die Mautkosten zu kompensie-
ren. Dazu wären Widersprüche und Mah-
nungen gekommen. Ausländische Auto-
fahrer sollten ihre Vignetten über das
Internet oder an Zahlstellen an der Grenze
kaufen können.
Für das komplizierte Geschäft schloss
sich Schulenberg mit dem österreichischen
Kapsch-Konzern zusammen, der bereits
in mehreren europäischen Ländern Maut-
systeme betreibt.
Die ersten Verhandlungsgespräche fan-
den im Februar 2018 statt, wenige Wochen
vor Scheuers Amtsantritt. Zuständig für
die Straßenabgabe war zu jener Zeit der
Abteilungsleiter Gerhard Schulz, interner
Spitzname »Mr. Maut«. Nach seinem Stu-
dium kam er als Referent ins Verkehrs -
ministerium. Die Maut wurde zu seinem
Karrieresprungbrett. Damit bei dem heik-
len Projekt nichts schiefgeht, wurde eine
Schar von Beratern beauftragt, darunter
Wirtschaftsprüfer von PWC und Anwälte
von Greenberg Traurig.
Das Ministerium schickte den Bietern
einen Vertragsentwurf, ein Schriftstück,
das den Firmen großzügig entgegenkam.
Anlage 29.3 des Vertrags regelte die »Kün-
digung durch den Auftraggeber aus ord-
nungspolitischen Gründen«, also den Fall
eines negativen EuGH-Urteils zur Pkw-
Maut. Der Bund versprach, dass er den
Buchwert der bis dahin getätigten Investi-
tionen des Betreibers erstatte. Doch nicht
nur das. Auch habe der Betreiber »An-
spruch auf Schadensersatz in Höhe des
Equity Value«. Übersetzt heißt das: Im Fal-
le eines negativen Urteils würde das Mi-
nisterium den Betreibern wohl auch die
entgangenen Gewinne über die komplette
Laufzeit bezahlen müssen. Es war ein Mil-
lionenversprechen.
Später stellte es Scheuer so dar, als hät-
ten die Unternehmen das so gewollt. »Die
Bieter seien nicht bereit gewesen, das
Risiko über den Ausgang des Vertragsver-
letzungsverfahrens Österreich zu überneh-
men«, wird der Minister in einem Proto-


koll des Verkehrsausschusses zitiert. Dass
es die Juristen aus dem Verkehrsministe-
rium waren, die den Passus bereitwillig in
den Vertragsentwurf geschrieben hatten,
erwähnte er nicht.
Eventim und Kapsch unterbreiteten
dem Ministerium am 17. Oktober 2018 ein
»finales Angebot«. Sie wollten rund drei
Milliarden Euro haben, um die Maut für
zwölf Jahre zu erheben.
Die Summe löste im Ministerium Hek-
tik aus. So liest sich eine Vorlage der Be-
amten vom 20. November, die an die Lei-
tung des Ministeriums ging. Der Preis
sprenge das Budget, das die Haushalts -
politiker des Bundestags dem Verkehrs -
minister für sein Prestigeprojekt bewilligt
hatten. Es lag bei zwei Milliarden Euro, es
ergab sich also »ein fehlender Betrag von
ca. 1,067 Milliarden Euro«, wie die Minis-
terialen vorrechneten.

Die Zeit drängte,das Geld würde nur
noch bis Ende des Jahres bereitstehen.
So hatte es der Bundestag in einer »Ver-
pflichtungsermächtigung« beschlossen.
Mit den Parlamentariern nachzuverhan-
deln schien aussichtslos: Selbst der Koali-
tionspartner SPD stand dem Projekt skep-
tisch gegenüber. Die Zusage verfallen zu
lassen, um im nächsten Jahr erneut über
das Geld zu verhandeln, schien für
Scheuer nicht der richtige Weg zu sein.
In der Not setzte der Minister seine
Hoffnungen auf »Mr. Maut«. Schulz, mitt-
lerweile zum Staatssekretär aufgestiegen,
sollte die Vertragssumme unter die Grenze
von zwei Milliarden Euro drücken. Ein
vertrauliches Treffen wurde anberaumt,
über das sich Scheuer bis heute nicht
öffentlich geäußert hat. Am 22. November
2018 empfingen der Minister und sein
Staatssekretär die Chefs der Bietergemein-
schaft, Schulenberg und Kapsch. Beide
Unternehmer wollten sich auf Anfrage
nicht zu der Unterredung äußern. Das
Ministerium bestätigt das Treffen. Es habe
sich um einen »Austausch zum Stand« der

Infrastrukturabgabe (ISA)
gehandelt.
Wie Insider des Mautpro-
jekts übereinstimmend be-
richten, trafen sich die Her-
ren zum Frühstück im Lei-
tungstrakt des Ministeriums.
Bei Kaffee und Brötchen
zündete sich der Minister
eine Zigarette an.
Schulenberg solle was
für Deutschland tun, soll
Scheuer recht forsch gefor-
dert haben. Die Betreiber-
kosten sollten um eine Mil-
liarde Euro gesenkt werden.
Der Eventim-Chef soll da-
raufhin angeboten haben,
das Vertragswerk noch einmal aufzu-
schnüren.
Bei dem Treffen soll der Eventim-Chef
aber auch die entscheidende Frage gestellt
haben: Warum der Minister nicht abwarte,
bis der EuGH entschieden habe? Das sei
doch viel vernünftiger.
Scheuer und sein Staatssekretär Schulz
sollen die Frage sehr offen beantwortet
haben. Das Geld der Haushälter stehe
eben nur bis Ende 2018 zur Verfügung,
sonst müsse man neu mit dem Bundestag
verhandeln. Außerdem sei klar, dass
der EuGH zugunsten Deutschlands ent-
scheiden werde. Und dann nannten Scheu-
er und Schulz noch einen dritten, be -
sonders gewichtigen Grund: Die Maut
dürfe nicht in einem Wahljahr eingeführt
werden.
Im Ministerium ging die große Sorge
um, dass sich der Beginn der Maut bis ins
Jahr 2021 verschieben könnte, dem Jahr
der nächsten Bundestagswahl. Wäre der
Start des Mammutprojekts nicht reibungs-
los gelaufen, sagt ein Beamter heute, hätte
dies für die CSU zu einem Desaster am
Wahlabend führen können. Scheinbar war
Scheuer das Risiko hoher Schadensersatz-
zahlungen weniger wichtig als der Macht-
erhalt.
Der Grünenabgeordnete Sven-Chris -
tian Kindler zeigt sich heute verwundert
über das heimliche Treffen im Ministerium
und das scheinbar wahltaktische Kalkül
des Verkehrsministers: »Andreas Scheuer
hat zu oft den Bundestag und die Öffent-
lichkeit beim Mautdesaster belogen. Jetzt
muss ein Untersuchungsausschuss für scho-
nungslose Aufklärung sorgen.«
Um den Vertrag noch im Jahr 2018 ab-
schließen zu können, richtete das Ministe-
rium eine Verhandlungsgruppe ein. Fast
täglich trafen sich die Beamten mit Vertre-
tern des Konsortiums zu »Aufklärungs -
gesprächen«, wie sie intern genannt wur-
den. Fieberhaft suchten die Fachleute nach
Möglichkeiten, die Betreiberkosten um
eine Milliarde Euro zu senken. Die Unter-

DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019 35


TIBERIO SORVILLO INGO PERTRAMER

Hotel Alpenhof, Ex-Minister Dobrindt: Geburtsort der »Ausländermaut«
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