Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

A


llzu viel Schlaf kann sie nicht be-
kommen haben, aber Klara Gey-
witz kommt munter im Café neben
dem Berliner Hauptbahnhof an. Es ist
Viertel nach acht am Donnerstag vor gut
zwei Wochen, der Morgen nach der ersten
Regionalkonferenz der SPD in Saarbrü-
cken, Geywitz ist mit dem Nachtzug aus
Mannheim gekommen.
Sie wirkt noch leicht beseelt vom Abend
zuvor, vom Auftakt, von der ersten jener
23 Vorstellungsrunden, nach denen die
SPD entscheidet, wer ihre nächsten Vor-
sitzenden sind. Geywitz möchte es wer-
den, zusammen mit Olaf Scholz.
»Ich bin ziemlich erleichtert«, sagt Gey-
witz, die Atmosphäre im Saal sei »total
solidarisch« gewesen. Und ihr Konzept sei
auch aufgegangen.
»Ich habe mich ja entschieden, etwas zu
machen, was ein bisschen komplizierter
ist«, sagt Geywitz. »Natürlich könnte ich
versuchen, mit Klassikern wie gebühren-
freien Kitas oder der Stärkung des Sozial-
staats zu punkten. Aber ich will lieber die
Frage stellen, warum unsere Kompetenz-
werte beim Thema Wirtschaft so schlecht
sind. Das ist halt ein bisschen sperriger.«
Am Abend vorher sah das allerdings so
aus: Geywitz und Scholz treten auf die
Bühne in der Saarbrücker Congresshalle,
Geywitz beginnt. Sie sagt, es brauche eine
sozialdemokratische Umweltpolitik, um
dafür zu sorgen, dass Deutschland »auch
in 20 Jahren noch Exportnation« sei.
Wenn man Umwelt und Wirtschaft verbin-
de, dann gebe es eine »Riesenchance«, die
Industriegesellschaft zu modernisieren.
»Wer, wenn nicht wir, sollte die neue Ar-
beitswelt von morgen organisieren?«
Es gibt höflichen Applaus. Aber es
wirkt, als hätte das Publikum eben doch
lieber was zu Kitas und Sozialstaat gehört.
Klara Geywitz? Vor ein paar Wochen
kannte außerhalb des engen sozialdemo-
kratischen Kosmos kaum jemand den Na-
men – doch es gibt eine gar nicht so gerin-
ge Chance, dass sie die nächste Chefin der
SPD werden könnte. Sollte sie es mit dem
Vizekanzler und Finanzminister an ihrer
Seite nicht einmal in die Stichwahl schaf-
fen, wäre das jedenfalls eine Sensation.
Als vor gut einem Monat bekannt wur-
de, dass Scholz für den Vorsitz kandidiert,
suchte er noch nach einer Frau für die Be-
werbung als Doppelspitze. Ein paar Tage
lang wurde in der Partei gerätselt, wen er


48

Deutschland

Frau Scholz


KarrierenKlara Geywitz will an der Seite des Vizekanzlers SPD-Vorsitzende werden.


Sie passt perfekt zu ihrem Partner. Aber auch zur Partei?


KARSTEN THIELKER

Wahlkämpferin Geywitz: »Ziemlich erleichtert«
Free download pdf