Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

28 %


28,2

25


10,6

7


12,4

88


5,7

22


33,5

5


2,5
Linke AfD CDU Grüne SPD FDP

Sonntagsfrage Thüringen
»Welche Partei würden Sie wählen,
wenn am kommenden Sonntag
Landtagswahl wäre?«

Ergebnis der Landtagswahl 2014

Infratest dimap für den MDR vom 10. bis 14. September; 1001 Befragte;
Schwankungsbreite zwischen 1,4 und 3,1 Prozentpunkten

E


in Hotel im thüringischen Arnstadt,
eine halbe Stunde von Erfurt ent-
fernt. Im Festsaal trifft sich die AfD
an diesem Mittwoch zum Wahlkampfauf-
takt. Nach zwei Stunden Vorprogramm ist
es so weit. Es spricht der Mann, der gern
Ministerpräsident würde: Björn Höcke.
Wenn seine Partei erst Thüringen regie-
re, verspricht der AfD-Kandidat, werde er
eine »Abschiebeoffensive 2020« starten:
»Dann wird Schluss gemacht mit einer
Willkommenskultur für Sozialmigranten.«
Dann würden Abschiebeflüge vom Flug-
hafen Erfurt aus nach Afrika starten, »und
es wird mir persönlich eine Freude sein«,
ruft Höcke, »auf dem Flughafen zu stehen
und zu winken – gute Heimreise!«.
Dieser Abschiedsgruß, den schon die
NPD auf Anti-Asyl-Plakate druckte, ist
der Höhepunkt von Höckes Rede, das Pu-
blikum jubelt. Wer aber genau hinsieht,
stellt fest: Es ist eine maue Veranstaltung.
Höchstens 250 AfD-Fans sind gekommen,
um sich bei Bier und Wurst das Wahl-
kampfgetöse anzuhören, viele Plätze sind
leer. Auch die Parteiprominenz macht sich
rar. Neben Alexander Gauland geben sich
einige Ostlandeschefs die Ehre, aber kein
Parteichef Jörg Meuthen, keine Bundes-
tagsfraktionschefin Alice Weidel, kein pro-
minenter Westfunktionär zeigt Gesicht.
Der Grund könnte sein, dass Höcke, der
Geschichtslehrer mit Hang zu rassistischen
Tiraden und Anleihen beim NS-Jargon, in


der AfD nicht annähernd so wichtig ist,
wie er öffentlich wirkt. Im Gegenteil: Ob-
wohl sich die Partei zunehmend radikali-
siert (SPIEGEL37/2019), ist der Scharf -
macher auf dem absteigenden Ast.
Ministerpräsident Höcke? Über die Idee
schmunzelt man sogar beim »Flügel«, sei-
ner Machtbasis. Alle wissen, dass eine von
diesem völkischen Eiferer geführte AfD
nie Koalitionspartner fände. Die meisten
wollen Höcke gar nicht in gestaltender
Funktion sehen. Dafür hat er zu wenig ge-
leistet und zu viel Schaden angerichtet.
Von außen ist die Höcke-Dämmerung
schwer zu erkennen: Kein relevanter AfD-
Akteur greift ihn an, Kritik wollen sogar
führende Parteifunktionäre nur anonym
äußern. Erst kürzlich verpuffte ein Appell
gegen den Höcke-Personenkult. Niemand
will den Thüringer Wahlkampf gefährden,
zumal Höcke auf Marktplätzen bejubelt
wird und bei der Wahl am 27. Oktober sat-
te 25 Prozent einfahren könnte. Doch sol-
che Erfolge ändern nichts daran, dass
Höcke seinen Karrierezenit erreicht hat.
Die Gründe sind größtenteils selbst ver-
schuldet. Es beginnt damit, dass der His-
toriker sich seit je zu fein ist für die Niede-
rungen der Parteiarbeit. Er ist der Mann
für die großen Worte, kein Macher. Wäh-

rend Höckes »Flügel«-Kollege Andreas
Kalbitz vor Parteitagen bis in die Nacht
mit Anrufen und SMS die Truppen koor-
diniert, half Höcke nicht einmal seinem
Büroleiter, als dieser nach langem, loyalem
Dienst für einen AfD-Listenplatz kandi-
dierte. Prompt fiel der Mann durch. Nun
sucht Höcke einen neuen Büroleiter.
Solche Passivität kommt bei AfD-Patri -
oten schlecht an. Für sie ist Höcke kein
Machtfaktor mehr, sondern ein Maskott-
chen, das vor wichtigen Spielen auf dem
Rasen für die Fans Purzelbäume schlagen
darf, dessen Gesicht man auf Tassen
druckt. In den Wettkampf gehen andere.
Auch Höckes Alleingänge irritieren sei-
ne »Flügel«-Mitstreiter. Auf dem jüngsten
»Kyffhäusertreffen« der AfD-Rechten An-
fang Juli, wo Höcke zu Fanfarenmusik und
Fahnenschwenken einmarschierte, ver-
wendete er gut eine halbe Stunde seiner
Redezeit auf Angriffe gegen interne Geg-
ner, von Parteischiedsrichtern bis zu Bun-
desvorständen. »Eins kann ich euch ver-
sprechen«, rief er: Nach den Ostwahl-
kämpfen werde er sich »zum ersten Mal
mit großer Hingabe der Neuwahl des Bun-
desvorstands hingeben!« Es klang wie die
Ankündigung seiner Kandidatur.
Damals gab es Applaus, nun zeigt sich:
Der Auftritt war ein strategischer Fehler.
»Höckes Angriffe sind hohle Drohungen«,
sagt ein Bundesvorstand. »Sollte er über-
haupt kandidieren, dürfte er durchfallen.«
Und tritt Höcke nicht an, hätte sich seine
Drohung erst recht als zahnlos erwiesen.
Kein führender AfD-Funktionär vertei-
digte Höcke öffentlich, als dieser jüngst
vom ZDF mit seiner neofaschistischen
Sprache konfrontiert wurde und das Inter-
view hilflos abbrach.
Die Spitzenleute der AfD sind es müde,
sich ständig für Höckes Hitlersound erklä-
ren zu müssen. »Seine Sprüche schaden
der Partei, vor allem in westdeutschen Län-
dern«, sagt das Bundesvorstandsmitglied.
»Nicht zuletzt seinetwegen verweigert
man der AfD das Attribut ›bürgerlich‹.«
Höcke wird auch weniger gebraucht:
Mit dem Bundestagsabgeordneten Gott-
fried Curio profiliert sich ein neuer Scharf-
macher, dessen Ausfälle gegen Flüchtlinge
und Muslime die Basis höchst erfolgreich
aufmischen – ohne dabei wie eine Audio-
version von »Mein Kampf« zu klingen.
Sogar langjährige Weggefährten wie der
rechte Verleger Götz Kubitschek distan-
zierten sich zuletzt von Höckes Auftritten:
»Selbst die gröbsten Unverschämtheiten
der internen Gegner sollten Höcke nicht
dazu verleiten, diesen Gegnern einen An-
lass für eine Reaktion zu bieten«, tadelte
Kubitschek den Freund auf seinem Blog.
Höcke möge im »Flügel« künftig beschei-
dener auftreten: »als einer unter anderen«.
Melanie Amann, Timo Lehmann

Rechtes


Maskottchen


ParteienDer völkische Scharf -
macher Björn Höcke macht
bundesweit Schlagzeilen.
Tatsächlich verliert er in der AfD
zunehmend an Bedeutung.

SACHELLE BABBAR / ZUMA / DDP

Wahlkämpfer Höcke

DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019 51
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