Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

A


ls die Droge anfing zu wirken,
ging es der 18-Jährigen noch gut.
Es war das erste Mal in ihrem
Leben, dass sie Ecstasy nehmen
wollte. Sie hatte die rosafarbene Pille von
einem Fremden gekauft und gemeinsam
mit einer Freundin eingeworfen. Die bei-
den jungen Frauen gingen auf die Tanzflä-
che. Es fiel ihnen leicht, sich zur Musik zu
bewegen. Sie tanzten zunächst zu zweit.
Dann kam der Dealer wieder auf sie zu.
Er war nicht allein, er hatte einen Freund
dabei: Majd H., 21 Jahre alt, aus Syrien.
Majd H. besorgte den beiden Frauen
Energydrinks mit Wodka. Die Freundin
ließ das Glas unberührt. Die 18-Jährige
trank und sprach Majd H. auf seine Tat-
toos an. Er habe auch eines auf dem Ober-
schenkel, sagte er zu ihr, draußen vor dem
Freiburger Klub Hans-Bunte-Areal könne
er ihr das zeigen. Sie willigte ein, gab ihrer
Freundin kurz Bescheid. Die war alles
andere als begeistert. »Vertrau mir«,
sagte die 18-Jährige. Dann war sie auch
schon weg.
Was danach passierte, in jener Oktober-
nacht 2018, steht seit Ende Juni im Mittel-
punkt eines umfangreichen Strafverfah-


rens, in dem die Beweislage inzwischen
um einiges schwieriger ist, als es anfangs
schien. Laut der Freiburger Staatsanwalt-
schaft soll Majd H. die damals 18-Jährige
50 Meter abseits des Klubs in einem Ge-
büsch vergewaltigt haben. Dann sei er in
den Klub zurückgekehrt. Er habe mehre-
ren Männern erzählt, dass draußen eine
Frau liege, die Sex wolle.
Begann nun eine Serie von Vergewalti-
gungen? Bis heute kann sich die Frau nicht
genau erinnern, wie viele Männer sich an
ihr mutmaßlich vergangen haben. Zwi-
schen zehn und fünfzehn könnten es ge-
wesen sein, sagt sie.
Die Polizei nahm im Lauf der Ermitt-
lungen zwölf Männer fest. Elf von ihnen
im Alter zwischen 19 und 30 Jahren sind
nun angeklagt, zehn Flüchtlinge und ein
Deutscher. Die mutmaßliche Gruppenver-
gewaltigung sorgte bundesweit für Entset-
zen. In einer Zeit, in der nicht allein das
Verbrechen, sondern auch die Herkunft
der Tatverdächtigen regelmäßig zu erhitz-
ten Debatten führt, wurde der Fall zum
Politikum.
Die AfD rief zu einer Demonstration
in der Freiburger Innenstadt auf, der ba-

den-württembergische Ministerpräsident
Winfried Kretschmann (Grüne) sprach
von »Männerhorden«, die man »in die
Pampa« schicken solle. Beim Regierungs-
präsidium Freiburg wurde der regionale
Sonderstab »Gefährliche Ausländer« ein-
gerichtet, der die Identität krimineller
Migranten klären und für deren zügige
Abschiebung sorgen soll. Zusätzlich wird
innerhalb der grün-schwarzen Landes -
regierung derzeit ein neues Sicherheits-
konzept für den öffentlichen Raum ver-
handelt.
Nicht nur die Politik ist unter Druck.
Auch am Landgericht Freiburg wirkt die
Stimmung angespannt. Die öffentlichen
Erwartungen sind groß, für viele stehen
die Schuldigen fest. Die Frage ist, ob sich
Ermittler und Richter davon zu jeder Zeit
völlig frei machen konnten.
Freiburg ist aufgewühlt. Wieder einmal
schaut Deutschland auf die Stadt im Breis-
gau, es hat den Anschein, als reihte sich
das, was der 18-Jährigen widerfuhr, in eine
Kette von Vorfällen ein.
So schloss der linksalternative Klub
White Rabbit 2016 Flüchtlinge wegen
wiederholter Belästigung von Frauen aus.

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Mit voller Wucht


VerbrechenMehrere Flüchtlinge und ein Deutscher sollen sich an einer 18-Jährigen in Freiburg
vergangen haben, diese Nachricht wurde zum Politikum. Ein Jahr später ist noch

immer vieles unklar – und einer der Männer könnte zu Unrecht auf der Anklagebank sitzen.


DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019
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