Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

folger befassen, ein fabelhafter Mann. Die
Nachfolge ist gut geregelt, ich musste mich
nicht einmal einmischen.
SPIEGEL:Was ist Ihnen nicht gelungen?
Herrmann:Ich hätte mir gewünscht, dass
die Universität nicht ganz so schnell
wächst. Seit dem Jahr 2000 hat sich die
Zahl der Studierenden auf mehr als
40 000 verdoppelt. Zwar ist auch die Zahl
der Professoren gestiegen. Aber ginge es
langsamer, könnten wir öfter durchatmen
und bestimmen, was zu guter Qualitäts -
sicherung gehört.
SPIEGEL:Sie wollen die Zahl der Studie-
renden begrenzen?
Herrmann:Es geht darum, für jedes Fach
die wirklich Geeigneten zu finden. Die TU
betreibt einen erheblichen Aufwand mit
der persönlichen Auswahl. Die Politik hat
das nachweislich erfolgreiche Verfahren
generalisiert und bürokratisiert, mit vor-
gegebenen Notenkorridoren und umständ-
lichen Genehmigungen. Dabei geht es
doch darum, sich mit Bewerbern gründlich
und individuell zu befassen.
SPIEGEL:Die TU München gilt als Elite -
universität. Was heißt das?
Herrmann: Wir nennen uns lieber Exzel-
lenzuniversität, was man uns dreimal in
Folge bescheinigt hat. Unter Eliteuniver-
sität stellt sich die Allgemeinheit die gro-
ßen, international führenden und finan-
ziell starken Universitäten wie Harvard
vor. Wenn auch nicht finanziell, so spielen
wir fachlich in der Liga von Stanford, dem
Massachusetts Institute of Technology
oder dem Imperial College London.
SPIEGEL:Ist der Elitebegriff in Deutsch-
land negativ besetzt?
Herrmann: Er ist stark belastet, nicht zu-
letzt durch den Nationalsozialismus. Ich
persönlich denke bei Elite eher an Men-
schen, die den Mut und die Kraft haben,
gegen den Strom zu schwimmen. Dafür
muss man kein Akademiker sein, das trifft
auch für den Meister an der Werkbank zu,
der seine Überzeugung glaubhaft vermit-
telt. Elite muss sich jeden Tag neu bewäh-
ren, den Horizont erweitern und bereit
sein, die Gewohnheiten des Denkens zu
überwinden. Wenn sich jemand durch Eli-
tedünkel hervortut, finde ich das schäbig.
SPIEGEL:Solche Fälle gibt es nicht nur an
Hochschulen. Könnten die Manipulations-
skandale der Autoindustrie Folge des Dün-
kels von Managern und Ingenieuren sein?
Herrmann: Das hat mit Scheuklappen-
mentalität und mangelnder Unterneh-
menskultur zu tun. Wir müssen uns im
Umgang mit Technik ständig hinterfragen,
mit gutem Augenmaß die Verbindung zum
normalen Leben herstellen. Da helfen die
Geistes- und Sozialwissenschaften, die ich
immer gefördert habe. Wir haben ein Mu-
nich Center for Technology in Society ge-
gründet und sind Trägeruniversität der
Hochschule der Politik.


SPIEGEL:Die TU München war bisher in
jeder Runde der Exzellenzstrategie, früher
Exzellenzinitiative, erfolgreich. Was hat
Ihnen dieses Schaulaufen der Hochschulen
gebracht?
Herrmann:In der Summe einen Zuwachs
an internationaler Reputation. Wir sind
im In- und Ausland sichtbarer geworden.
Die Marke »Technische Universität Mün-
chen« auf dem Zeugnis hat einen höheren
Wert für jeden einzelnen Studierenden.
SPIEGEL:Was bedeutet das für Hochschu-
len, die weniger gut dastehen?
Herrmann:Nach meinem Empfinden
hatten wir lange Zeit zu wenig Wettbe-
werb in der deutschen Hochschulland-
schaft. Der ist jetzt da. Und damit das
Wissen, dass die Universitäten eben nicht
gleich sind, sondern unterschiedlich, nach
Größe, Geschichte, Fächerportfolio, Leis-
tung. Jede Universitätsleitung, die stra -
tegisch denkt, wird unverwechselbare
Profile herausbilden, zum Beispiel die
Osteuropa forschung in Regensburg oder
die Afri kanistik in Bayreuth. Es ist ja an
der TU nicht alles erfolgreich, wir handeln

auf der Basis gründlicher Stärken-Schwä-
chen-Analysen.
SPIEGEL:Kritiker sagen, der Bewerbungs-
prozess für die Exzellenzstrategie sei zu
aufwendig und stehe in keinem Verhältnis
zu den Fördersummen, die Hochschulen
bei Erfolg bekämen. Das Schreiben von
ellenlangen Anträgen lähme die ganze Uni-
versität. Wie sehen Sie das?
Herrmann:Ja gut, die Anträge – ich habe
vergangenen August angefangen und war
bis Ende November davon gedanklich ab-
sorbiert, wirklich vier Monate. Ich schrei-
be per Hand, weil ich meine Gedanken
mit dem Stift in der Hand habe. Was deut-
lich mehr Kapazitäten frisst, ist das Daten-
material, das die Deutsche Forschungs -
gemeinschaft und der Wissenschaftsrat
fordern. Da haben wir oft geflucht über
die Vorgaben. Aber wir haben auch die
für uns unnützen Hausaufgaben gemacht,
die vor allem andere schlau machten. Wir
haben nichts zu verbergen.
SPIEGEL:Was war unsinnig?
Herrmann:Die wollten zum Beispiel eine
Liste mit den 25 besten unserer 560 Kolle-
giumsmitglieder.
SPIEGEL:Eine Hitliste?
Herrmann:So in der Art. Mein Nachfolger
und ich haben da gehockt bis zum Ver-
rücktwerden. Wir mussten Kriterien fin-

den: Zitationen? Publikationen? Eingewor-
bene Drittmittel?
SPIEGEL:Also geht es in Richtung Ran-
kings nach US-Vorbild?
Herrmann:Ich habe zum Thema Ran-
kings einige kritische Passagen in unseren
Exzellenzantrag geschrieben. Zum Bei-
spiel, dass manche leistungsstarke Profes-
soren gar nicht in den Ranglisten auftau-
chen. US-amerikanische Verhältnisse mit
einer kleinen Spitze aus Topwissenschaft-
lern, und dann kommt lange nichts, die
helfen uns nicht. Wir brauchen ein insge-
samt starkes Team, eine ausgewogene Mi-
schung von Talenten. Im Übrigen entschei-
den sich zunehmend Spitzenforscher für
Deutschland, und zwar nicht nur deutsche
Rückkehrer aus den USA.
SPIEGEL:Erwarten Sie durch den Brexit
eine weitere Welle?
Herrmann:Oxford, Cambridge oder das
Imperial College haben jahrelang Spitzen-
wissenschaftler aus Deutschland aufge -
sogen. Davon kommen nun viele zurück.
Das ist einerseits traurig, weil mir als Nach-
kriegskind die Einheit Europas am Herzen
liegt. Doch wenn die Briten das so wollen,
ist das ihr Fehler. Die Spitzenforscher neh-
men wir gern. Der Brexit wird uns Top-
leute bringen, aber dem europäischen
Geist schaden.
SPIEGEL:Ihre Fertigkeit, aus verschie -
denen Quellen Geld für die Uni zu be -
schaffen, ist berühmt. Was hat es mit
den umraunten Abendessen für Groß -
spender im Uhrenturm der Universität
auf sich?
Herrmann:Die Sanierung des histori-
schen Turms haben uns die Erben des SAP-
Gründers Klaus Tschira ermöglicht. Das
Dinner dort ist überwiegend unseren Uni-
versitätsstiftern vorbehalten. Das ist ein
Kreis von 30 Leuten, dazu ein prominen-
ter Gast. Das nächste Mal wird es FC-Bay-
ern-Präsident Uli Hoeneß sein. So ein
Abend bringt nicht selten eine halbe Mil-
lion Euro an Spenden. Insgesamt waren
es in meiner Amtszeit rund 330 Millionen
an privaten Drittmitteln, dazu die Spenden
für die Universitätsstiftung.
SPIEGEL:Lehnen Sie auch Spenden ab?
Herrmann:Ja. Es gab mal ein Unterneh-
men aus der Finanzbranche im weiteren
Sinne, das wollte uns fünf Millionen Euro
geben für eine Stiftungsprofessur. Aber
die Leute wollten einfach nicht kapieren,
dass sie auf die Berufung und das For-
schungsprojekt keinen Einfluss nehmen
dürfen. Da habe ich die Reißleine ge -
zogen, wir haben die Professur selbst
bezahlt. Das ist ganz wichtig beim Fund -
raising, immer wieder zu zeigen: Wir ha-
ben es nicht nötig. Verzweiflung wirkt
kontraproduktiv.
SPIEGEL:Und sonst darf Ihnen jeder Geld
andienen, auch Despoten oder Rüstungs-
konzerne?

DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019 57


»Ein Abendessen im
Uhrenturm bringt nicht
selten eine halbe Million
Euro an Spenden.«
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