Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019 71


Gesellschaft

K


ürzlich las ich, in Berlin sei ein Soldat wegen seiner
Hautfarbe verprügelt worden. Zwei Männer hätten in
Neukölln einen türkischstämmigen 25-jährigen Ober-
gefreiten angegriffen, der Uniform trug. Einer der Angreifer
schlug ihm gegen die Schulter, der andere trat ihm gegen das
Bein. Einer soll gebrüllt haben, »nur Deutsche« dürften diese
Uniform tragen. Die Täter flüchteten. Der Soldat kam ins
Krankenhaus.
Ich dachte an meine eigene Bundeswehrzeit. Im Sommer
1994 bin ich Soldat geworden, ich hatte mich für die Offiziers -
laufbahn entschieden. Eine Demokratie, fand ich, muss wehr-
haft sein. Außerdem wollte ich die Welt bereisen. »Join the
Navy, see the world«, warb die US-Marine. So anders kann
das bei der deutschen Marine ja nicht sein, dachte ich.
Damals war ich einer der ganz wenigen Nichtweißen in
der Bundeswehr – meine Eltern waren aus Pakistan nach
Deutschland gekommen. In der Truppe spürte ich, dass der
eine oder andere irritiert war über jemanden wie mich. Da-
mals brannten in Deutschland Flüchtlingsheime, Menschen
wurden gejagt und
rechtsextreme Paro-
len gebrüllt. Bei mei-
ner Vereidigung sag-
te der damalige Ge-
neralinspekteur der
Bundeswehr, Klaus
Naumann: »Im eige-
nen Land gibt es Zei-
chen von Fremden-
hass, sind Menschen
ermordet worden, nur weil sie Ausländer waren.« Das dürfe
man nicht dulden. Gleichzeitig forderte er von uns jungen
Soldaten »ein Bekenntnis zur Werteordnung der Bundes -
republik«.
Das erste Mal spielte meine Hautfarbe acht Wochen nach
Beginn meiner Bundeswehrzeit eine Rolle, auf dem Segel-
schulschiff »Gorch Fock«. Wir hatten acht kuwaitische Sol-
daten zur Ausbildung an Bord. Für sie gab es halale Verpfle-
gung. Zu meiner Überraschung bekam auch ich dieses Essen –
der Soldat an der Ausgabe hielt mich für einen Kuwaiter.
Weil ich neu war, traute ich mich nicht zu protestieren. Ein
paar Tage lang aß ich das Kuwaiter-Essen, irgendwann kam
der Smut wutentbrannt aus der Kombüse und schrie: »Wer
frisst hier das halale Essen weg? Immer fehlt eine Portion!«
Das Missverständnis klärte sich auf. Wir lachten.
Später, als Vorgesetzter, hatte ich es mit Soldaten zu tun,
die es mit dem »Bekenntnis zur Werteordnung der Bundes-
republik« recht freihändig hielten. Soldaten, die den Hitler-
Gruß zeigten, schwunghaften Handel mit Nazidevotionalien
betrieben und mich »Kamerad Kanake« nannten, wenn sie
sich unbeobachtet glaubten. In diesen Momenten half es,
dass ich in der Hierarchie über ihnen stand.
In den zurückliegenden Jahren wurden immer wieder
rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr bekannt, der
Militärische Abschirmdienst beschäftigt sich mit solchen
Dingen.
Auf der anderen Seite nimmt die Vielfalt in der Bundes-
wehr zu. Mittlerweile gibt es sogar ein »Stabselement Chan-

cengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion« im Verteidigungs-
ministerium. Die erste transsexuelle Offizierin kommandiert
ein Bataillon. Immer mehr Soldaten haben Eltern, die nicht
aus Deutschland stammen. Inzwischen haben sie sogar, ty-
pisch deutsch, einen eigenen Verein gegründet: »Deutscher.
Soldat. e. V.«.
Wenn man fragt, wie viele Soldaten mit Wurzeln in ande-
ren Ländern es eigentlich gibt, weiß die militärische Führung
keine Zahlen. Die Antwort lautet: »In der Bundeswehr
dienen grundsätzlich Menschen mit deutscher Staatsange -
hörigkeit.«
Man wisse übrigens auch nicht, wie viele »westdeutsch
oder ostdeutsch« seien oder welcher Religion die Soldaten
angehören. Mit anderen Worten: Hautfarbe, Herkunft, Glau-
be, alles egal, Deutsche können alle sein. Ich finde das sym-
pathisch.
Aber weil Journalisten so gern eine Zahl wissen wollen,
stellt das Ministerium Schätzungen zur Verfügung: Etwa
15 Prozent haben »Migrationshintergrund«, wie man das
nennt. Und was Religion angeht: Rund 53 000 Soldaten sind
Protestanten, 41 000 Katholiken, 3000 Muslime und 300 Ju-
den. Bei insgesamt knapp 183 000 Soldaten sind demnach
85 700 konfessionslos oder haben eine andere Religion. Als
die Bundeswehr in den Fünfzigerjahren gegründet wurde,
waren noch 98 Prozent Mitglied in einer der beiden christli-
chen Kirchen.
Als ich Soldat war, kannte ich keinen einzigen muslimi-
schen Soldaten. Als ich Jahre später als Journalist die Bun-
deswehr in Afghani -
stan begleitete, lernte
ich gleich mehrere
kennen. Man wisse
»ihren besseren Zu-
gang zu den Einheimi-
schen zu schätzen«,
erklärte mir ein Offi-
zier. Ich selbst war als
Soldat oft im Einsatz,
wenn es ums Reprä-
sentieren ging: bei Auslandsreisen, Empfängen für Politiker,
Presseterminen. Manchmal beschlich mich das Gefühl,
ich müsse als Vorzeigesoldat herhalten, mit dem die Bundes-
wehr beweisen will, dass sie nicht rechts oder ausländerfeind-
lich ist.
Aber im Wesentlichen spielten meine Hautfarbe und die
Herkunft meiner Eltern während meiner Bundeswehrzeit
keine Rolle. Vor allem nicht in meinem Marinejahrgang – da
war ich einer von 135.
Was eine Rolle spielte: solidarisch und menschlich zu sein,
Gemeinschaft zu leben, Rücksicht zu nehmen, füreinander
einzustehen, sich gegenseitig zu helfen. Kameradschaft, im
besten Sinne. Niemand hat je gefragt, warum ausgerechnet
ich die deutsche Uniform trage.
Kürzlich habe ich meinen Marinejahrgang wiedergetroffen,
zum 25-jährigen Jubiläum: weltoffene, tolerante Menschen
allesamt. Deutschland ist bunt, die Bundeswehr ist bunt, bun-
ter jedenfalls als früher. Dass immer mehr Menschen mit
Wurzeln in unterschiedlichen Ländern Uniform tragen kön-
nen, freut mich, weil es mittlerweile selbstverständlich ist.
»Würden Sie heute wieder zur Bundeswehr gehen?«, wer-
de ich ab und an gefragt. In dieser Frage bin ich inzwischen
gespalten. In Teilen dieses – meines – Landes wählt inzwi-
schen jeder Vierte Rechtsextreme, sympathisiert mit ihnen
oder toleriert zumindest ihre Ansichten. Kann sein, dass es
mir schwerfallen würde, »das Recht und die Freiheit des deut-
schen Volkes tapfer zu verteidigen«, wie es im Eid heißt.
Andererseits: Deppen gibt es überall. Hasnain Kazim

Kamerad Kanake


HomestoryWas ich als dunkelhäutiger
deutscher Soldat erlebte

Thilo Rothacker für den SPIEGEL
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