Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1
Die Nachricht war eine Überraschung: Die
Unternehmer Silke und Holger Friedrich
kaufen die »Berliner Zeitung«. Das Ehe-
paar hat eine beeindruckende deutsche
Nachwendekarriere hingelegt. Silke Fried-
rich, 47, die aus einem Dorf in Sachsen-
Anhalt stammt und nach dem Mauerfall
Bürokauffrau lernte, hat in Berlin das Ver -
anstaltungszentrum Ewerk reaktiviert und
führt mit der Berlin Metropolitan School
eine der bekanntesten internationalen
Schulen im Land. Holger Friedrich, 53,
Werkzeugmacher aus Mitte, gründete nach
dem Literatur- und Informatikstudium eine
Softwarefirma, die er 2003 an SAP verkauf-
te. Er war Partner bei McKinsey und be-
treibt heute die Technologieberatung Core.
Die »Berliner Zeitung« war nach der Wen-
de von Gruner & Jahr gekauft worden und
ging danach durch die Hände mehrerer
Besitzer und Chefredakteure aus dem Wes-
ten, zuletzt gehörte das angeschlagene Blatt
dem Kölner Verlagshaus DuMont.

SPIEGEL:Frau Friedrich, Herr Friedrich,
wollen Sie sich mit dem Berliner Verlag
ein Stück Osten zurückkaufen?
Holger Friedrich:Sagen wir so: Wir hätten
keine andere Zeitung gekauft als diese. Es
hat schon mit dem Osten zu tun. Auch mit
einem gewissen Trotz. Wir können das.
Wir können es anders. Und dass wir mit
dem Notar ausgerechnet in einem Büro
am Potsdamer Platz saßen, auf dem Mau-
erstreifen, hatte schon eine gewisse Ironie.
Silke Friedrich:Natürlich wollen wir auch
beweisen, dass es geht. Wenn ich höre,
dass jetzt auch die SPD einen Ostbeauf-
tragten einsetzt, finde ich das erbärmlich.
Irgendwelche Politiker, die den doofen Ost-
lern über die Straße helfen sollen. Das ist
doch erniedrigend. Ich will auch nicht,
dass mir irgendein alter westdeutscher
Politiker meine Lebensleistung anerkennt.
Wer gibt ihm eigentlich das Recht?
SPIEGEL: Sie sind in der DDR groß gewor-
den. Ist es ein Vorteil, beide Systeme ken-
nengelernt zu haben?
Silke Friedrich:Ich glaube, dieses Zurück-
geworfensein auf einen selbst ist gut. Wir
sind notorisch angstfrei, oder wie Holgers
Mutter sagt: pathologisch angstfrei. Das
kommt aus dieser Erfahrung: Kein System
ist sicher. Ich muss unabhängig vom Sys-

tem funktionieren. Am Ende zählen du
und deine Haltung.
Holger Friedrich:Wir sind mit der Ge-
wissheit erzogen worden, gesetzmäßige
Sieger der Geschichte zu sein. Und wenn
von einem Tag auf den anderen diese Ge-
setzmäßigkeit verschwindet, prägt einen
das fürs Leben. Ein Systemwechsel ist
nicht weiter schlimm, wenn man sich da-
rauf einlässt. Wir nennen das positiven
Punk. Wir sind ja eigentlich eine glück -
liche Generation. Wir haben diesen Bruch
überlebt, ohne wirklich zu leiden. Was für
eine Leistung. Aber auch ein Geschenk,
eine Chance. Ich habe eine gebrochene
Erwerbsbiografie, aber jeder Bruch hat
mich besser gemacht.
Silke Friedrich:Außerdem finde ich die
»Berliner Zeitung« anständig.
SPIEGEL: Haben Sie sich denn mit dem
Berliner Zeitungsmarkt beschäftigt?
Holger Friedrich:Nö.
Silke Friedrich:Welcher Markt?
Holger Friedrich:Wenn man nach den an-
deren guckt, hat man schon verloren. Wir
machen unseren Plan und schleifen ihn
dann mit den Mitarbeitern fein. Und dann
arbeiten wir ein paar Jahre daran.
Silke Friedrich:Wir rennen sofort los,
wenn das Kartellamt zusagt.
SPIEGEL: Es ist Ihr zweiter Tag im Verlag.
Wie viele Bewerbungen gab es schon?
Holger Friedrich:Vier oder fünf.
Silke Friedrich:Die Zeitung ist immer
noch sehr beliebt.

SPIEGEL: Haben Sie die »Berliner Zei-
tung« in den letzten Jahren gelesen?
Silke Friedrich:Nein.
Holger Friedrich:Wir sind ja jetzt ehrlich.
Nein. Früher regelmäßig.
SPIEGEL: Wann haben Sie denn aufge-
hört?
Holger Friedrich:Wir sind 2004 nach Lon-
don gezogen. Wir hatten die Firma an SAP
verkauft und das Gefühl, endlich das zu
machen, was wir immer wollten. Rauszu-
gehen. Als wir nach einem guten Jahr zu-
rückkamen, haben wir nicht mehr ange-
fangen, die Zeitung zu bestellen.
SPIEGEL: Warum nicht?
Silke Friedrich:Zu volle Postkästen.
Holger Friedrich:Wir sind an verschiede-
nen Plätzen zu Hause und waren immer
da, wo die Zeitung nicht war. Die Distribu-
tion funktionierte nicht. Und das Medium
wurde mir zu langsam. Wenn die Nachricht
bei mir eintraf, konnte ich nichts mehr mit
ihr anfangen. Ich stelle mir meine eigene Lek -
türe zusammen, auf dem Handy oder dem
Laptop. Zeitungen lese ich nur noch am
Wochenende. Oder im Flugzeug. Da samm-
le ich mir vorher alles zusammen und lese
während des gesamten Fluges. Ich liebe das.
SPIEGEL: Heißt das, die gedruckte Zeitung
wird verschwinden?
Holger Friedrich:Nein, dann hätten wir
nicht für einen siebenstelligen Betrag die
Druckerei gekauft. Für ein Printprodukt
wird es immer einen Markt geben. Der
Buchdruck ist ja auch nicht tot. Trotzdem
sind die elektronischen Medien hochge-
gangen. Dieses Verhältnis zu steuern ist
spannend. Mit dem Printprodukt kann
man zeigen, wer man ist. In der Finanz-
branche mit der »Financial Times« herum-
zulaufen hat einen positiven sozialen Ab-
grenzungseffekt. Das ist gut, aber allein
kein Geschäftsmodell.
SPIEGEL: Die Abonnenten von Tages -
zeitungen sind konservativ. Die hängen an
ihrer Zeitung.
Holger Friedrich:Ja, ein letztes Stück
Heimat.
SPIEGEL: Wie kann man die halten?
Holger Friedrich:Gar nicht. Ist auch nicht
weiter schlimm. Man muss nur etwas da-
gegensetzen. Die Generation unserer Kin-
der muss irgendetwas bei der »Berliner
Zeitung« finden, das für sie relevant ist.

DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019 75

Wirtschaft

»Das ist Punk«

SPIEGEL-GesprächDas Unternehmerpaar Silke und Holger Friedrich, zwei ostdeutsche


Geschäftsleute, kauft den Berliner Verlag. Der kaputte Zeitungsmarkt? Interessiert die beiden nicht.


HERMANN BREDEHORST / DER SÜIEGEL


Hauptstadt-Blues
Verkaufte Auflage in Tausend,
jeweils 2. Quartal

»Berliner
Zeitung«

»Berliner
Kurier«

1998 2009

jeweils inkl. E-Paper; Quelle: IVW
2019

zum Vergleich:
»Der Tagesspiegel«

70

84

112

191

217

140
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