Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1
SPIEGEL:Wie sind Sie denn überhaupt da-
rauf gekommen, einen Verlag zu kaufen?
Ist der Ihnen angeboten worden?
Holger Friedrich:Nein. Meine Firma be-
rät, erkundet, was in fünf, sechs Jahren pas-
siert. Wenn Apple ein neues Produkt vor-
stellt, sind die Entscheidungen dafür fünf
Jahre zuvor gefallen. Ich sollte im Frühjahr
in der Führungsetage von DuMont einen
Vortrag über Technologiemanagement hal-
ten, und als wir übers Honorar redeten,
sagte ich: Ich will kein Geld, aber ich wäre
am Berliner Verlag interessiert. Das war
so halb witzig, aber gleichzeitig sehr, sehr
ernst. Die sind darauf eingegangen.
SPIEGEL: Na ja, weil sie den Verlag nicht
loswurden.
Holger Friedrich: Ich kann nur sagen: Du-
Mont hat hart verhandelt. Ich habe das
dann mit meiner Frau besprochen. Es war
ja klar, dass wir damit ganz anders in der
Öffentlichkeit stehen.
Silke Friedrich:Eigentlich wollten wir in
diesem Herbst wieder nach London zie-
hen. Unsere beiden ältesten Kinder leben
im Ausland. Die Jüngste ist gern in London.
Und wir hatten das Gefühl, mal wieder
einen Perspektivwechsel zu brauchen. Din-
ge klarer zu sehen, frischer. Man schmort
in Deutschland schon im eigenen Saft.
Holger Friedrich:Man lässt sich aufsau-
gen von der Stimmung hier. Man fängt an,
langsamer zu laufen.
Silke Friedrich:Und dann kam mein
Mann mit dieser Idee. Andere Männer
kommen mit einem Ring, meiner bringt
einen Verlag an. Vor zwölf Jahren hatte er
die Idee, eine Schule zu kaufen. Das hatten
wir auch noch nie gemacht. Ursprünglich
dachten wir nur, wir wollen eine gute in-
ternationale Schule für unsere Kinder,
dann wurde es mehr, ein gesellschaftliches
Projekt. Jedenfalls habe ich gesagt: Lass
uns springen. Unser Leben ist zu kurz. Wir
starten immer an dem Punkt: Was ist das
Schlimmste, das passieren kann?
Holger Friedrich:Wir können höchstens
ein bisschen Zeit und ein bisschen Geld
verlieren.
SPIEGEL: Wie viel Geld?
Holger Friedrich:Ich werde Ihnen nicht
den Kaufpreis verraten. Aber wir haben
uns ein Budget gesetzt, mit dem wir aus-
kommen wollen. Das ist ein komfortabler
zweistelliger Millionenbetrag. Ich bin nicht
Jeff Bezos. Ich bin auch noch verheiratet.
SPIEGEL:Wie weit kommt man mit einem
zweistelligen Millionenbetrag auf dem
schwierigen Berliner Zeitungsmarkt?
Silke Friedrich:Mal sehen. Erst mal trei-
ben uns andere Sorgen. Die Gesellschaft
fällt auseinander, und wir bedienen die im-
mer gleichen Muster, hauen immer wieder
auf die alten Feinde ein. Unsere alten Hel-
den fallen, aber wer sind unsere neuen?


  • Alexander Osang im Berliner Verlag.


Wir müssen doch mehr zu bieten haben
als irgendwelche YouTube-Stars. An dieser
Diskussion teilzuhaben, finde ich reizvoll.
Holger Friedrich:Wir haben uns gefragt:
Entziehen wir uns jetzt vollständig, oder
bringen wir uns mit der Erfahrung, die wir
haben, und da meine ich nicht Geld, son-
dern wirklich Erfahrung, ein? Dem tech-
nologischen Unvermögen, der gesellschaft-
lichen Überforderung kann man von au-
ßen zusehen – oder man setzt sich ihr aus.
Dann muss man es richtig machen. Dafür
ist diese Zeitung ein wunderbarer Hebel.
Die »Berliner Zeitung« ist eine Ikone, die
sich über die Jahre gequält hat. Ihr kann
man auch mal eine gewisse Zärtlichkeit an-
gedeihen lassen.
SPIEGEL: Wie wollen Sie diesen Geist in
die Zeitung transportieren?
Holger Friedrich:Indem wir uns vor die
Leute stellen und sagen: Wir sind unab-
hängig. Es gibt niemanden mehr, der
schuld ist, außer uns selbst. Wir lassen
Wettbewerb zu. Die bessere Idee gewinnt.
Keine Hierarchien. Keine Autoritäten.
SPIEGEL: Werden Sie hier ein Büro haben?
Werden Sie an den täglichen Konferenzen
teilnehmen?
Silke Friedrich:Nein. Wir sind nicht im
täglichen Geschäft. Was wir machen, ist,
mit den Chefredakteuren, mit den Füh-
rungskräften in Austausch treten. Und sie
ein bisschen anspitzen: höher ins Regal zu
greifen. Themen zu setzen: Was bewegt
die Leute dort draußen eigentlich? Schöne
Geschichten zu erzählen.

Holger Friedrich:Wir können Erwartun-
gen formulieren und Grenzen abstecken.
Aber wir werden keinen Text anfassen.
SPIEGEL: Wollen Sie auch wirtschaftlich
erfolgreich sein?
Silke Friedrich:Klar. Sonst ist es ja ein
Hobby.
SPIEGEL: Ihren Vorbesitzern, einem ein-
gespielten Medienkonzern, ist das nicht
gelungen. Es gibt Leute, die sagen, man
müsse sich davon verabschieden, dass Zei-
tungen profitabel sind. Sie können nur
über Sponsoren funktionieren.
Holger Friedrich:Das ist Quatsch. Die
Zeit, die wir vor Monitoren sitzen, steigt.
Aber die Zeit, die wir aufbringen, um uns
zu informieren, sinkt. Diesem Wider-
spruch müssen wir uns zuwenden.
SPIEGEL: Was heißt das konkret?
Holger Friedrich: Wir müssen Inhalte an-
ders aufarbeiten, zielgruppen- und kanal-
gerecht. Wir müssen niedrigschwellige An-
gebote formulieren und dann den Preis er-
höhen, je nach Wertigkeit. Wir müssen
Leute auf den Haken nehmen und dann
anfangen zu ziehen. In anderen Industrien
ist das selbstverständlich, beim seriellen
Erzählen in den Streamingdiensten zum
Beispiel. Die erste Episode ist frei. Die
zweite vielleicht auch.
SPIEGEL: Serielles Erzählen von Wirklich-
keit?
Holger Friedrich:Was mit dem BER pas-
siert ist, ist eine schöne Sitcom. Die läuft
immer weiter. Oder das Berliner Museum
der Moderne, wieso ist das jetzt doppelt
so teuer? Wieso gewöhnen wir uns an die-
se Sachen? Wer hat das zu verantworten?
Das wollen die Leute lesen.
SPIEGEL: Gibt es dafür Vorbilder bei an-
deren Zeitungen?
Silke Friedrich:Nein.
Holger Friedrich:Ich habe mir mal die
IT-Architektur der »New York Times« an-
geguckt. Allerfeinste Technik. Großes
Kompliment. Aber fünf, sechs Jahre alt.
Das ist nicht mehr nützlich. Wir fangen
von vorn an. Wir sind auf so etwas trai-
niert, wir haben in unserem Thinktank die
besten Softwarearchitekten, die man sich
vorstellen kann.
SPIEGEL: Können Sie das mit den Mit -
arbeitern umsetzen, die hier sind?
Silke Friedrich:Im Moment sieht es so
aus. Die Leute wirken erlöst, und wir la-
den alle ein mitzugehen. Wir wollen bis
Weihnachten herausfinden, wie viel Per-
sonal wir brauchen, mit welchen Fähigkei-
ten. Und die, die nicht mitmachen wollen
oder können, gehen irgendwann von
selbst. Sie haben jetzt niemanden mehr,
hinter dem sie sich verstecken können. So
war es an unserer Schule auch. Aber es
gibt dort eben auch Lehrer, die nach zwölf
Jahren noch dabei sind.
SPIEGEL:Kann man eine Schule mit einer
Zeitung vergleichen?

76 DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019

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HERMANN BREDEHORST / DER SPIEGEL
Ehepaar Friedrich, SPIEGEL-Redakteur*
»Keine Hierarchien, keine Autoritäten«

Titel einer »Berliner Zeitung«-Ausgabe
»Über die Jahre gequält«
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