Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

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Freiheit kontra Wirksamkeit


LeitartikelDie neuen Klimagesetze werden zeigen, wie gut unsere Demokratie ist.


K


limapolitik endet nicht. Ein Programm, egal wie
gestrickt, kann nur ein Versuch sein, den Klima-
wandel zu bremsen. Es folgt eine Phase der Beob-
achtung: Wie wirksam sind die Maßnahmen, wie
reagiert die Gesellschaft? Vielleicht muss das Programm
angepasst werden, wahrscheinlich folgt ein weiteres und
dann noch eins.
Das Thema lässt uns nicht mehr los, so viel ist gewiss.
Eine größere Aufgabe hat sich der Menschheit vielleicht
nie gestellt. Alle sind betroffen,
auch fast alle Lebensbereiche,
Arbeit und Freizeit, Ernährung
genauso wie Urlaub wie Trans-
port wie Konsum generell. Damit
es nicht noch viel wärmer wird
auf der Erde, mit fatalen Konse-
quenzen, muss sich eine Menge
ändern, gerade in Bereichen, an
denen Lebensfreuden hängen.
Höhere Kosten, ein anderes Ver-
halten, beides wird sich nicht ver-
meiden lassen, bevor nicht neue
Technologien die Probleme lösen.
Eine wirksame Klimapolitik ist
unabweisbar, und das schafft gera-
de für Demokratien viele Proble-
me. Allein diese Staatsform beruht
auf dem Gedanken der Freiheit,
und sie braucht die Zustimmung
einer großen Mehrheit, um beste-
hen zu können. So dringlich das
Klimaproblem ist, Demokratien
können sich nicht nur für die Wirksamkeit von Maßnahmen
entscheiden, sie müssen bei allem, was sie tun, die eigenen
Prinzipien bewahren.
Eines heißt Toleranz. Die Klimafrage hat ein ähnlich
hohes Potenzial, eine Gesellschaft zu spalten, wie die
Flüchtlingspolitik. Auch hier lassen sich Gut und Böse vor-
dergründig leicht zuordnen. Der eine verzichtet aufs Auto,
aufs Fliegen, auf Fleisch. Der andere macht weiter wie
bisher und setzt sich dem Verdacht aus, damit seinen Nach-
barn und der Welt insgesamt zu schaden.
Mit Moralisieren kommt man hier nicht weiter. Auch
wer ein dickes Auto fährt, verdient es nicht, geächtet oder
stigmatisiert zu werden. Umgekehrt gilt zu verstehen,
dass Kritik nicht auf Denk- oder Sprechverbote hinausläuft.
Alle Bürger sind gefordert, Widersprüche auszuhalten,
auch die eigenen, und miteinander im Gespräch zu bleiben.
Alles andere hilft vor allem der AfD. Sie freut sich schon
darauf, jene Bürger einzusammeln, die den Klimawandel
nicht als Problem erachten und sich schnell stigmatisiert
fühlen. Mit ihnen könnten die Rechtspopulisten ihr Wähler-
potenzial erheblich vergrößern.

Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Al -
lens bach sieht eine Mehrheit der Deutschen die Klima -
bewegung »Fridays for Future« positiv. Es gibt aber auch
eine Mehrheit, die es ablehnt, mit den Kosten einer Klima-
politik belastet zu werden. Tut was, aber behelligt mich
nicht – das ist ein schwieriger Auftrag an die Politik in
einem Bereich, in dem ein jeder Akteur ist, weil jeder CO²
produziert. Es wird aber keine wirksame Klimapolitik
geben, die nicht ins Leben der Menschen eingreift. Ein
autoritärer Staat kann das ver-
ordnen, für eine Demokratie
ist das schwieriger, weil sie ein
Wertefundament hat.
Zu den Prinzipien, die sie ver-
teidigen muss, gehört die Rechts-
staatlichkeit. Angesichts der Grö-
ße des Klimaproblems mögen
politische Streiks dem einen oder
anderen angemessen erscheinen.
Aber sie kollidieren mit unserer
Rechtsordnung, und so sollte
man nicht anfangen. Ist diese Tür
geöffnet, wird sie mit wachsen-
der Dringlichkeit der Probleme
immer weiter aufgestoßen. Am
Ende stünde die Klimadiktatur.
Zudem kann eine Demokratie
die Freiheit der Bürger nicht all-
zu stark einschränken, sonst ver-
liert sie ihre Grundlage. Politiker
müssen die Wirksamkeit von
Klimaschutz, Freiheit und Ge -
rechtigkeit miteinander ver söhnen. Sie dürfen sich aber
nicht davor scheuen, den Bürgern etwas zuzumuten und
Politik gegen Widerstände durchzusetzen. Das hat es
immer gegeben, ob beim Nato-Doppelbeschluss oder bei
Hartz IV. Es kommt dann darauf an, unablässig um Zustim-
mung zu werben.
Gerade in der Klimapolitik werden sich Erfolge erst lang-
fristig zeigen. Die Erderwärmung wird nicht sofort aufge-
halten, weil sich Deutschland Klimaprogramme verordnet.
Es geht künftig darum, Frust auszuhalten, schlechte Nach-
richten, die Unentschiedenheit oder Verweigerung anderer
Nationen. Vorbild sein, mindestens nicht zurückzufallen
hinter die Programme anderer – das zählt schon.
Die kommenden Jahre und Jahrzehnte werden aus all
diesen Gründen zu einer riesigen Herausforderung. Aller-
dings haben Demokratien schon bei einem anderen exis-
tenziellen Thema gelernt, mit einem ewigen Widerspruch
umzugehen. Das ist der von Freiheit und Sicherheit. Nun
ist der Widerspruch zwischen Freiheit und der Wirksam-
keit von Klimapolitik hinzugekommen. Wieder geht es
darum, die richtige Balance zu finden. Dirk Kurbjuweit

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DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019

SACHELLE BABBAR / PICTURE ALLIANCE / DPA
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