Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

V


or einigen Tagen ist bei mir zu
Hause das Regal in der Wasch -
küche zusammengekracht. Ich
räumte die Sauerei auf und fand,
inmitten eines rosafarbenen Weichspü -
lersees, einen Fusselrasierer, ein kleines
Elektrogerät, mit dem man die hässlichen
Knötchen, die sich an Wollpullovern bil-
den, wegschreddern kann. Eine nützliche,
ja, ei ne nachhaltige Sache, denn so blei-
ben Kleidungsstücke länger ansehnlich
und werden nicht so schnell ausgemustert.
Freudig legte ich das Gerät zur Seite.
Zugegeben: Ich hatte das Ding ganz ver-
gessen. Aber am Abend, das nahm ich mir
vor, sollte es mal zum Einsatz kommen.
Ich feudelte weiter. Und fand noch ei-
nen Fusselrasierer. Und kurz darauf noch
einen. Ungläubig reihte ich die drei Geräte
nebeneinander auf. Da war es nun, das
Mahnmal meiner Schwäche: der Beleg ei-
ner unkontrollierten Ressourcenverschwen-
dung, mein Beitrag zum Abschmelzen der
Polkappen.
Eines sei gleich gesagt: Ich bin keine
unglückliche Frustkäuferin auf der Suche
nach Ersatzbefriedigung, egal, was die Hirn-
forscher zu Konsumverhalten sagen mögen.
Mein Leben ist schön und in vielen Teilen
nachhaltig. Ich fahre einen Kleinstwagen.
Habe Solarpanels auf dem Dach. Meine
Wäsche trocknet im Freien. Ich fliege wenig
und fahre kaum in den Urlaub. Ich ziehe
alte Tomatensorten im unbeheizten Treib-
haus und Salate im Hochbeet. Für die Bie-
nen habe ich eine Streuobstwiese angelegt.
Der gesamte Garten wird bio gedüngt.
Niemand muss mir erzählen, wie nach-
haltiges Leben geht. Ich kaufe Lebensmit-
tel  im Ökoladen und das Fleisch direkt
beim  Demeter-Bauern. Statt Frischhalte-
folie benutze ich ein in Bienenwachs ge-
tränktes Tuch. Ich trenne meinen Müll und
träume nicht einmal heimlich davon, zum
Trotz gegen die um sich greifende Öko -
korrektheit eine Flasche Grünglas in den
Container für Weißglas zu stecken.


Ein Besucher, der den Aufkleber »Fuck
you Greta« am Auto hat, bekam bei mir
Parkverbot. Noch Fragen?
Ja, die eine: Was zum Teufel treibt mich
immer wieder in die Discounter? Das
Grundsortiment lockt mich wenig, im Ge-
genteil: Die unanständig billigen Fleisch-
angebote halte ich für verbrecherisch, Tief-
kühlfertiggerichte lassen mich kalt.
Es ist wie eine Sucht. Eigentlich will ich
nach der Arbeit nur schnell bei Aldi ein
paar Katzensticks holen und den leckeren
griechischen Joghurt in den mitgebrachten
Weidenkorb packen. Doch dann erwischt
mich ein magischer Sog, zieht mich hinein
in den Gang mit der Aktionsware, in eine
Welt voller Versuchungen, Verheißungen,
Versprechen auf ein schöneres, ein leich-
teres, ein exklusiveres Leben – und das
alles zum Schnäppchenpreis.

Es gibt nichts, was es nicht gibt: den
Gartenpavillon und das Stand-up-Padde-
ling-Board, das Schrauberbit- und Rat-
schenset und den bestickbaren Tischläu-
fer, die Nähmaschine, das hörgerätekom-
patible Großtastentelefon, den Rasenro-
boter. Und, natürlich, den Fusselrasierer.
Ich kenne die Tricks und falle trotzdem
drauf rein. Um den Jagdtrieb anzustacheln,
wird jedes Produkt nur an bestimmten
Tagen und nur für kurze Zeit angeboten.
Wirkliche Schnäppchenprofis studieren
die Prospekte und machen Zeitpläne, um
im richtigen Moment loszuschlagen.
Täglich erliegen Millionen Kunden die-
ser Verführung der Discounter. Einschließ-
lich mir. Ich gestehe: Ich bin ein Opfer des
Aldi-Mittelgangs, eine Gefangene der Tchi-

bo-Welten, ein willenloser Spielball der
Lidl-Sonderposten.
Es ist der Ramsch, der mich schwach wer-
den lässt. Diese teuflisch unwiderstehliche
Mischung aus Sinn und Unsinn, die die Dis-
counter in ihren überbordenden Nonfood-
Abteilungen anbieten. Beim Durchforsten
des herrlichen Plunders packt mich eine
Sehnsucht nach Produkten, von deren Exis-
tenz ich Minuten vorher noch nichts ge-
ahnt habe, ohne die ich aber keine Sekun-
de länger leben will.
Etwa die elektrische Reinigungsbürste
für Kachelfugen mit ergonomisch geform-
tem Griff. Der Autoinnenscheibenreini-
ger mit schwenkbarer Wischerplatte. Das
Ultraschallschmuckreinigungsgerät. Der
Wäschekorb mit ausklappbaren Beinen.
Beidseitig verwendbare Kochlöffel. Das
Pflanzenzwiebel-Ensemble, das samt Papp-
tablett verbuddelt wird. Der Drucklufthem-
denbügler. Wer braucht zum Kloentlüften
noch einen Gummipümpel, wenn es jetzt
für 8,99 Euro einen Pressluftrohrreiniger
gibt? Und über den leuchtenden Nagel-
knipser lacht nur, wer noch keine Blutfle-
cken auf der teuren Sofagarnitur hatte, auf
der – seien wir ehrlich – gern mal die Fuß-
pflege stattfindet.
Eine eigentümliche Heiterkeit überfällt
mich, wenn ich am Aktionswarentisch auf
solch skurrile Dinge treffe wie einen
Kunststoffständer in Tulpenform, eigens
designt  zum Trocknen von Babyfläsch-
chenzubehör, oder – für Sadisten – eine
fleischfressende Pflanze im Glas, in dem
man ab und zu mal eine Fliege dem Tode
weiht. Für fortgeschrittene Tierquäler bie-
tet Netto einen Antimilbensauger mit
UV-C-Licht, mit dem man den kleinen
Viechern eine tödliche Dosis Sonnenbrand
verpassen kann. Ist das Leben nicht schön?
Und wer seine Nachbarn zur Weißglut
treiben will, kauft sich erst einen Laubblä-
ser, dann einen LED-Motivstrahler, der
jede Nacht das Logo des geliebten Fußball-
vereins auf die Häuserwand projiziert.

84 DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019


Öko im Ramsch-Rausch


KonsumVor dem Betreten des Discounters ist der Kunde ein bewusstes Wesen mit
Haltung und Würde. Doch nähert er sich den Regalen mit den Sonderposten,

setzt das Gewissen aus. Bekenntnisse eines Aldi-Mittelgang-Opfers. Von Michaela Schießl


sumenten ihr Verhalten ändern können, welche
Unter nehmen wirklich umdenken und was die
Politik tun muss. Welche Ideen gibt es, Ökologie
und Ökonomie zusammenzudenken?

Nachhaltig leben (X) Der Klimawandel ist zur
entscheidenden politischen und ökonomischen
Frage geworden. Der SPIEGEL widmet dem Thema
deshalb eine Sommerserie: Wir fragen, wie Kon -


Wer verzehrt sich
sehnlichst nach einem
mit Tonperlen
gefüllten Aromakissen?
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