Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

I


rgendwann kommt der Moment, an
dem Jan Böhmermann doch seine
Maske fallen lässt. Es geschieht an
einem Freitagmittag in einem Café
in Köln-Ehrenfeld. Böhmermann schnei-
det Grimassen, er streckt die Zunge raus,
strahlt übers ganze Gesicht, es ist ein herz-
liches, warmes, unverstelltes Lachen. Es
gilt einem sieben Monate alten Kind am
Nachbartisch.
In diesem Augenblick fällt alles Ange-
strengte, Kontrollierte von ihm ab, ebenso
der Zyniker und Besserwisser. Er muss
jetzt nicht so tun, als wäre er schon drei
Gedanken voraus, wie er das im Fernsehen
macht und auch im persönlichen Umgang.
Er ist einfach nur: Mensch.
Es ist die Mischung aus Komik und
Ernst, die Böhmermanns Kunst ausmacht.
Zuletzt hat der Entertainer und Selbstdar-
steller vor allem als politischer Aktivist von
sich reden gemacht. Der hat den Komiker
verdrängt, das war nicht immer gut. Was
es etwa mit Böhmermanns Bewerbung für
den SPD-Vorsitz auf sich hatte, hat keiner
mehr so recht verstanden. Deutschland
wartet noch auf die Pointe. Einen Tag,
nachdem die Kandidatur gescheitert ist,
erläutert er beim Abendessen in Köln sei-
ne Ambitionen. Und je länger er das tut,
desto weniger begreift man. Böhmermann
kann einen schwindlig reden.
Erst sagt er, dass er natürlich nicht SPD-
Chef werden wollte. Dann, dass er es auf
jeden Fall noch werden wolle. Wenn Olaf
Scholz das anstrebe, dann könne er das
auch. Aktionen wie seine Kandidatur seien
getragen von »Idealismus, Naivität, Dumm-
heit und großem Ernst«. Was mit der Sozial -
demokratie passiere, sei ihm im Grunde
egal. Der SPD doch auch. Noch Fragen?
Böhmermann, 38, ist eine Größe im
deutschen Fernsehen. Talente wie ihn gibt
es alle ein, zwei Dekaden. Die letzten sei-
nes Kalibers waren Harald Schmidt und
Stefan Raab. Als er sich 2016 mit einem
Schmähgedicht den türkischen Präsiden-
ten Recep Tayyip Erdoğan zum Feind
machte, war das Land in Aufruhr. Für
seine junge urbane Kernzielgruppe ist er
nicht nur TV-Star, sondern moralische
Instanz, vor allem dank seiner Twitterei
gegen rechts.
Zuletzt aber zündeten seine Gags nicht
mehr so recht. Vermutlich waren die Er-


wartungen zu hoch. Der Hype um Böh-
mermann hatte eine Dimension erreicht,
die nichts mehr mit seinen Fähigkeiten zu
tun hatte. Ihm wurde sogar zugetraut,
Drahtzieher der Ibiza-Affäre zu sein. Da-
bei hatte er nur früh Kenntnis von den
Filmaufnahmen, die im Mai Österreichs
Regierung gesprengt haben.
Mitunter wirkt es, als hätte Böhmer-
mann seine beste Zeit hinter sich, aber das
kann täuschen. Ein neuer Geniestreich,
und die Welt sieht wieder anders aus. Das
ZDF jedenfalls hat noch viel vor mit ihm,
vom kommenden Jahr an sogar im Haupt-
programm.
Es ist Mittwochabend, kurz vor acht,
Böhmermann hat im Kölner Studio König
das »Neo Magazin Royale« aufgezeichnet.
Bevor er hinausgeht ins Foyer, prüft er, ob
alle Zuschauer weg sind. Er ist nicht gern
»unter Menschen«, wie er sagt. Für Selfies

zu posieren ist ihm suspekt. Er trägt jetzt
einen Kapuzenpulli. Anzug und Krawatte
hat er gleich nach der Aufzeichnung ab -
gelegt, sie gehören zur Kunstfigur Böhmer-
mann, nicht zum Privatmann.
Die Beziehung zwischen beiden ist
schwierig. Auch für ihn. Er sagt, er habe
lange damit gefremdelt, wenn sein Name
in der Zeitung stand. Weil der Böhmer-
mann, über den dort geschrieben werde,
nur eine Behauptung sei. Äußere er sich
in privaten SMS über die Figur Jan Böh-
mermann, benutze er bis heute Anfüh-
rungszeichen. »Es ist, als wäre man nicht
man selbst. Wie ein Lähmungspatient, der
nur die Augen bewegen kann. Die Leute
beugen sich über einen, reden über einen,
und man denkt: Ich bin doch hier!«
Wenn er twittere, sei das eine Mischung
aus »Kunstfigur, Mensch und Bullshit«.
Genauer mag er es nicht erklären, »Be-
triebsgeheimnis«. Auf Twitter prangert er
an, führt Leute vor, befindet über richtiges
und falsches Verhalten. Ein ähnliches Sen-
dungsbewusstsein wie er zeigt auf Twitter

allenfalls »Bild«-Chef Julian Reichelt, nur
mit anderen Vorzeichen. In seiner Blase
ist Böhmermann ein König, ein Retweet
von ihm gilt als Ritterschlag.
Es ist kein Zufall, dass Böhmermanns
Aufstieg mit dem der AfD zusammenfällt.
Je mehr die Rechtspopulisten auf einen
Schlussstrich unter der Nazizeit drängen,
desto gründlicher will er aufarbeiten. Er
redet über AfD-Politiker, aber nicht mit
ihnen. In seine Sendung lässt er sie nicht
hinein. Er findet auch, sie sollten nicht in
politische Talks eingeladen werden. Das
Argument, dass es sich um gewählte Volks-
vertreter handelt, lässt er nicht gelten. Böh-
mermann will bestimmen, wer in Deutsch-
land mit am Tisch sitzen darf. Und wer
nicht.
Sich Böhmermann zu nähern ist schwer.
Über Privates spricht er nicht, so hat er
das immer gehalten, auch sonst bleibt er
einem fremd. Er ist freundlich, aber auf
Distanz, als trennte ihn eine Glasscheibe
von seiner Umgebung. Das mag an der
Art liegen, wie er redet.
Böhmermanns Sätze sind gebaut wie
Labyrinthe, Gedanken werden angerissen
und nicht beendet. Die Kernaussagen
muss man herausschälen aus einem Wust
von Einschüben. Zunächst scheint es, als
wollte er einen damit verwirren. Aber wo-
möglich denkt er so verschlungen, wie er
spricht. »Ich würde gern einfache Antwor-
ten liefern«, sagt er. »Aber das ist nicht im-
mer möglich. Es wäre auch nicht richtig.«
Geht es um Politik, setzt er zu Monolo-
gen an. Er redet sich in Rage, schraubt sich
hinein in seine Gedanken. Er kann ver-
bohrt sein. Und dogmatisch. Man dringt
dann nur mit Argumenten zu ihm durch,
die seine Weltsicht bestätigen. Das geht
auch Leuten so, die ihn privat erleben.
Ein Abend in einem Kölner Brauhaus.
Böhmermann hat ein Kölsch, eine Cola
und einen Hering vor sich. Es geht um
Deutschland. »27 Prozent wählen in Sach-
sen Rechtsextreme. Das sind keine Protest-
wähler. Das sind entweder alles schlechte
Satiriker oder eben Rechtsextreme, die von
sich glauben, nicht rechts extrem zu sein«,
sagt er. »So haben selbst die angeklagten
Hauptkriegsverbrecher der Nürnberger
Prozesse argumentiert: Niemand von uns
war ein Nazi, niemand hatte was zu sagen,
wir haben bloß, ohne darüber nachzuden-

86 DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019


Medien

Der Narr macht Ernst


UnterhaltungJan Böhmermann hat sich vom Entertainer zum
politischen Aktivisten gewandelt. Er wurde so zur Ikone der Linken und zur Hassfigur

der Rechten – doch wie witzig kann eine moralische Instanz noch sein?


»Ich würde gern
einfache Antworten
liefern. Aber das
ist nicht immer möglich.«
Free download pdf