Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

ken, gedacht, was alle anderen gedacht
haben. Albert Speer war überzeugt, kein
echter Nazi zu sein.«
Trägt es nicht zur Verhärtung bei, jeden
Menschen, der mit der Flüchtlingspolitik
der Kanzlerin hadert, als Rechten zu stig-
matisieren? »Du wirst nicht deswegen zum
Nazi, weil dir jemand beweist, dass dich
das, was du eben denkst und tust, als Nazi
qualifiziert. Das passiert leider vorher.
Man hätte den Nationalsozialismus nicht
verhindert, wenn man aufgehört hätte, Hit-
ler einen gefährlichen Nazi zu schimpfen
und ihn stattdessen zu Maischberger oder
zum ›NZZ‹-Interview eingeladen hätte.
Damit er mal seine Sicht der Dinge erklärt.
So funktioniert das nicht.«
Böhmermann sagt, man solle ihn nicht
als Hofnarr bezeichnen. Das Wort sei von
rechten Kreisen »in den Diskurs geschos-
sen worden«. So wie »Systemmedien«
oder »Gutmensch«. Es diene der Disqua-
lifizierung von kritischer Kunst. »Narr ist
okay, meinetwegen auch Idiot oder Blöd-
mann, Hofnarr nicht.«
Aber ist er überhaupt noch Narr oder
längst Aktivist?
Die »Zeit« hat einmal geschrieben, Böh-
mermann sei der Bademeister des deut-
schen Humors. Der Vergleich gefalle ihm.
»Wenn jemand ins Becken kackt, dann ke-
scher ich gut gelaunt die Wurst raus.«
Böhmermann hat jetzt Ringe unter
den Augen, der Tag war lang, morgen
muss er seine Sendung aufzeichnen. Er
schaut zur Wand, wo Schwarz-Weiß-Auf-
nahmen vom historischen Köln hängen,
und sagt: »So schön war Köln früher. Alles
kaputt. Dieser verdammte Krieg.«
Es gab eine Zeit, da war Böhmermann
unbeschwert, zumindest öffentlich. Im
WDR-Radio verulkte er den Fußballer
Lukas Podolski, bis der gegen ihn klagte,
so begann seine Karriere. Das WDR-Fern -
sehen testete ihn daraufhin als Moderator
von Shows, war aber unzufrieden, weil er
sich zu sehr in den Vordergrund schob, an-
statt seine Gäste glänzen zu lassen.
Schon damals war klar: Böhmermann
ist kein Entertainer für die Massen. Er
umarmt sein Publikum nicht, ihm fehlt das
Herzliche. Aber er war lustig, verwegen,
anarchisch, einer, dem nichts heilig war.
Erst in den vergangenen Jahren wurde
der Narr moralisch.
Das liegt an ihm und an der aufgeheiz-
ten Stimmung im Land. Der Aktivist Böh-
mermann hat sich vor den Satiriker ge-
schoben. Er setzte sich für den Journalis-
ten Deniz Yücel ein, als der in der Türkei
inhaftiert war, und sammelte gemeinsam
mit ProSieben-Moderator Klaas Heufer-
Umlauf eine Million Euro Spenden für See-
notretter ein. Böhmermann reiht sich ein
in die Gruppe der neuen Helden der Pro-
testkultur, zu der Klimaaktivistin Luisa
Neubauer, Kapitänin Carola Rackete oder


YouTuber Rezo zählen. Er war eine Vor-
hut dieser Generation. Nun ist er ihr Elder
Statesman.
Fürs ZDF ist das nicht immer einfach.
Eine öffentlich-rechtliche Anstalt ist zur
Neutralität verpflichtet. Böhmermann darf
Aktivist sein, aber nur privat. Sonst hat
der Programmdirektor schnell den Fern-
sehrat im Nacken. Es ist ein dauerndes Rin-
gen zwischen ihm und dem Sender. Aber
man weiß, was man aneinander hat. Der
Vertrag mit Böhmermann wird verlängert,
die Aufgaben werden größer. Im Dezem-
ber wird die letzte Ausgabe von »Neo Ma-
gazin Royale« ausgestrahlt. Danach wol-
len Böhmermann und sein Team die Show
weiterentwickeln. Sie soll politischer wer-
den, relevanter.
Die Entscheidung ist nicht ohne Risiko.
Denn bisweilen schlägt sein Engagement
auch in moralische Überheblichkeit um.
Wie im vorigen Jahr, als er dem »Zeit«-
Redakteur Jochen Bittner eine Reise nach
Auschwitz empfahl, nachdem der es ge-
wagt hatte, ihm in einer Kolumne »Dis-
kurserstickung« vorzuwerfen.

Böhmermann war in Auschwitz, zwei-
mal, um zu begreifen, was ihn seit seiner
Kindheit beschäftigte.
Er war elf Jahre alt, als er zum ersten
Mal vom Holocaust hörte. Böhmermann
nennt es »den Moment, als ich geschnallt
habe, dass irgendwas nicht in Ordnung
ist«. Da war die Großmutter, die ihm er-
zählte, wie sie als Kind die Deportation
ihrer Nachbarn mitbekam, von einem Tag
auf den anderen waren sie verschwunden.
Da war der Geschichtslehrer, der den Schü-
lern erklärte, dass dort, wo heute der Spiel-
platz ist, ein Konzentrationslager stand.
Mit zwölf sah Böhmermann mit seiner
Klasse im Kino »Schindlers Liste«. An
manchen Schülern mag so etwas abtrop-
fen. In Böhmermann begann es zu arbei-
ten. Er sagt, womöglich sei er durchlässiger
als andere.
Mit 18 begann er zu erforschen, was sei-
ne Vorfahren in der Nazizeit getan hatten.
Er stieß auf Urgroßvater Hinrich Böhmer-
mann. Der war Kraftfahrer bei der Wehr-
macht gewesen und hatte ein Abzeichen
für mutiges Kraftfahren unter Feindbe-

88 DER SPIEGEL Nr. 39 / 21. 9. 2019

Satiriker Böhmermann mit Foto des Urgroßvaters, in Einspielfilm in Köln:»Hä, was?«

Medien
Free download pdf